Deutsche Geschichte (Band 1-3). Ricarda Huch
Читать онлайн книгу.dieser kürzlich einem Geistlichen, dessen Haus an die Stadtmauer stieß, erlaubt, eine Tür darin anzubringen; durch diese entkam er. Auf dem Lande hatte er Vasallen und Anhänger, die bereit waren, ihn zurückzuführen und die aufrührerische Stadt zu züchtigen. Wenn es den Kaufleuten leicht gewesen war, einen Aufstand herbeizuführen, so trauten sie sich doch nicht zu, dem heranrückenden Heer zu widerstehen; sie unterwarfen sich und baten um Gnade. Ein Geschichtsschreiber der Zeit berichtet, 600 Kaufleute hätten aus Furcht vor der Rache des Beleidigten die Stadt verlassen. Ist die Zahl auch zu hoch gegriffen, so waren es doch sicher viele, die flüchteten, und daß sie den Erzbischof richtig beurteilt hatten, zeigte die Folge. Anno strafte härter, als man es mit der christlichen Milde eines Bischofs verträglich hielt: der Sohn des Kaufmanns und andere Rädelsführer wurden geblendet, Geldstrafen wurden verhängt, die Güter der Entflohenen wurden eingezogen. Indessen bedeutete die Verödung der Stadt durch die Abwesenheit ihrer reichsten Bewohner, die Stockung von Handel und Verkehr, für den Stadtherrn einen so empfindlichen Verlust, daß er schon nach einem Jahre die Entflohenen zurückrief und ihnen ihre Güter wiedergab. Der Kaiser, den sie nach ihrer Flucht aufgefordert hatten, die Stadt zu besetzen, war nicht darauf eingegangen, so folgten sie dem Rufe des Erzbischofs.
So bedürftig der Kaiser auch der Hilfe war, dachte er doch kaum auch nur einen Augenblick ernstlich daran, die Partei der flüchtigen Bürger zu ergreifen. Die Bürger waren nicht eins mit der Stadt, eher war es der Bischof; es war nicht geraten, aufrührerische Untertanen gegen mächtige Kirchenfürsten zu unterstützen, auf denen seit hundert Jahren die Macht des Königs hauptsächlich beruht hatte. Im Laufe eines Menschenalters aber gewann die Stadt als Gesamtheit der Bürger mehr und mehr Gestalt. Die Richerzechheit, die vereinigten reichen Kaufleute, die Schöffen, die Urteilfinder des erzbischöflichen Hochgerichts und die hohen Beamten des Erzbischofs näherten sich einander, und die Handwerker, die Gewerbetreibenden und Ackerbürger, die in der westlichen Stadt saßen, fühlten sich zu ihnen gehörig. Mehr gemeinsame Interessen wirkten sich aus zwischen den Bewohnern derselben Stadt als zwischen ihnen und dem Erzbischof, der oft abwesend war, der Dienste verlangte, und der besonders dann als gegensätzliche Macht erschien, wenn er sich gegen den Kaiser, die höchste Macht, wendete. Zwischen der Gemeinde, nämlich den Handwerkern und den Ackerbürgern, und den Kaufleuten, den erzbischöflichen Beamten und dem erzbischöflichen Dienstadel bildete sich ein Vertrauensverhältnis, in der Art, daß die Großen, die Reichen und Angesehenen, die man zusammenfassend die Geschlechter nannte, als Vertreter der Gemeinde und Träger des allgemeinen Willens angesehen wurden, wobei Voraussetzung war, daß sie in wichtigen Fällen die Willensmeinung der Gemeinde einholten. Es gab eine Bürgerschaft, die sich als Stadt fühlte, die auch ohne den Erzbischof als Ganzes, als die Stadt handelte.
Als im Jahre 1104 der Sohn Heinrichs IV., Heinrich, gegen seinen Vater ausgespielt und von den Fürsten zum König gewählt wurde, begab sich Heinrich IV. an den Rhein, wo er Anhänger hatte. Unter anderen Vorwürfen wurde auch der gegen ihn erhoben, daß er den Adel zurückgesetzt und Leute von niedriger Lebensstellung zu höchsten Ehren erhoben habe. Eine grundsätzliche Bevorzugung der Städte oder abhängiger Schichten läßt sich kaum bei Heinrich IV. nachweisen; aber die Bestrebungen des Gottesfriedens, die er in seinen letzten Regierungsjahren förderte, kamen allerdings den Bürgern und Bauern zugute, während der Adel die Friedenserrichtung als einen Eingriff in sein Fehderecht ansah. In Mainz, dessen Bischof zum neuen König übergangen war, wurde der alte Kaiser mit Jubel empfangen, die Bürgerschaft erklärte sich bereit, für ihn zu kämpfen. Dem Kaiser jedoch, den der nochmalige Abfall eines Sohnes schwer verwundet hatte, gab die Unternehmungslust der Städte keinen Aufschwung. Mit gebrochenen Schwingen schleppte sich der alte Adler, der in unzähligen Kämpfen und Stürzen nie ermattet war, jammervoll am Boden hin. Der Tod sickerte durch seinen Körper, wenn es auch niemand sah und er selbst es nicht wußte. Die Hilfe, die der Herzog von Nieder-Lothringen, der Bischof von Lüttich und die Städte am Rhein ihm stürmisch anboten, wehrte er müde ab; er wollte auf die Krone verzichten, er wollte keine Schlacht mit seinem Sohne, er glaubte nicht mehr an die Möglichkeit des Sieges. Allzu vertrauend ließ er sich von seinem Sohn zu einer Zusammenkunft bereden und wurde gefangengenommen. Nachdem es ihm geglückt war, zu fliehen, ging er nach Köln, wo die Geschlechter voll Teilnahme ihn wieder vergeblich zur Aufnahme des Kampfes zu ermutigen suchten; anstatt dessen folgte er einer Einladung des Bischofs von Lüttich. Unwillig mußten die Kölner erleben, daß der Gegenkönig, vom Erzbischof gerufen, in die Stadt einzog. Da begab es sich, daß der Herzog von Nieder-Lothringen und der Bischof von Lüttich über das Heer des Gegenkönigs einen Sieg erfochten und daß der an Erfolge nicht gewöhnte Kaiser noch einmal Mut schöpfte. Als sich Heinrich V. von Aachen aus, wohin er sich begeben hatte, nach Köln wandte, um dort Ostern zu feiern, verschloß ihm die Stadt, nun die Stadt der Bürger, die selbständige, selbstherrliche, dem alten Kaiser treu, die Tore. Aber inmitten dieses herrlichen Aufschwungs den Rhein entlang blieb Heinrich IV. müde und hoffnungslos; er sah, daß das Glück sich ihm zuwendete, aber sein Herz blieb schwer. Soweit gab er seinen Freunden nach, daß er nach Köln ging, sich mit der Bürgerschaft verbündete, die Befestigung leitete. Dem Gegenkönig, der im Sommer mit einem Heere anrückte, gelang es weder in die Stadt einzudringen, noch ihr den Strom zu sperren, noch sie an Ausfällen zu hindern; er brach die Belagerung ab. Die Stadt der Bürger hatte sich erprobt, und als der unglückliche Kaiser starb, setzte sie, obwohl ganz ohne Haupt, ein stolzes Glied des Reiches, dem König, der nun als der rechtmäßige galt, immer noch Widerstand entgegen. Soviel Achtung flößten die Herren von Köln Heinrich V. ein, daß er, als die Stadt dem Falle nah war, sie nicht bestrafte, sondern sie mit einer Geldzahlung Frieden und Versöhnung erkaufen ließ.
Welfen und Staufer
Mit Lothar von Süpplingenberg kam noch einmal ein Kaiser aus sächsischem Stamme auf den Cäsarenthron. Lothars Vater, Graf Gebhard, fiel 1075 in einer Schlacht gegen Heinrich IV., der Sohn übernahm sein Rebellentum. Durch seine Heirat mit Richenza, einer reichen Erbin, der Schwester Eckberts von Meißen, der einer der mächtigsten Gegner Heinrichs IV. und auf seine Veranlassung, wie man sagte, ermordet war, verstärkte sich ihm die kaiserfeindliche Tradition. Trotzdem erhob ihn Heinrich V., als im Jahre 1106 die Billunger ausstarben, zum Herzog von Sachsen, um den nicht verächtlichen Feind zu gewinnen. Aber der Ausspruch Herzog Bernhards, zwischen einem Erzbischof von Bremen und einem Herzog von Sachsen könne so wenig Freundschaft sein wie zwischen Feuer und Wasser, konnte man auch auf den Kaiser und Sachsen anwenden: es kam bald wieder zu Feindseligkeiten und im Jahre 1115 zu der furchtbaren Schlacht am Welfesholze, wo Graf Hoyer von Mansfeld, der Ungeborene, Niebesiegte, der auf kaiserlicher Seite focht, fiel, und durch welche Heinrich V. aus Sachsen verdrängt wurde. Sein Tod verhinderte ihn, das aufrührerische Land zu unterwerfen, das unter Lothar selbständiger als je war. Lothar verstärkte die herzogliche Gewalt über die Großen, wählte mit kundigem Blick geeignete Personen für die wichtigen Stellungen und betrieb erfolgreich was jetzt für Sachsen die Hauptaufgabe war, die Eroberung des slawischen Gebiets. Fast wie ein Kaiser des Nordens stand er dem salischen Kaiser gegenüber und war für dessen Gegner der gegebene Prätendent. Daß die Erzbischöfe von Köln und Mainz sich ihm verbanden, verschaffte ihm die Wahl im Gegensatz zum Herzog Friedrich von Schwaben, der als Neffe Heinrichs V. sich zur Nachfolge berechtigt fühlen durfte. Friedrich war der Sohn der Agnes, der einzigen Tochter Heinrichs IV., die er seinem Anhänger, dem Grafen Friedrich von Büren, zur Frau gegeben hatte. Indessen, während herkömmlicherweise das Wahlrecht der Fürsten durch Berücksichtigung der Verwandtschaft beschränkt wurde, betonten jetzt die Fürsten gern ihr Wahlrecht, indem sie die Verwandten übergingen. Denjenigen Fürsten, der als Schwiegervater Herzog Friedrichs von Schwaben naturgemäß auf staufischer Seite stand, der als mächtiger Herr ein gefährlicher Gegner war, Herzog Heinrich den Schwarzen von Bayern, gewann Lothar dadurch, daß er ihm die Hand seiner einzigen Tochter und Erbin, Gertrud, für seinen Sohn versprach. Durch diese Heirat verdichtete sich der Gegensatz zwischen dem Norden und Süden Deutschlands zum Gegensatz zwischen den Familien der Welfen und Staufer, der jahrhundertelang Deutschland und auch Italien zerrissen hat. Die Welfen, ursprünglich ein schwäbisches Geschlecht, führten ihren Ursprung tief in die Vergangenheit zurück: ihre Stammväter sollen unter Odoaker gegen den letzten römischen Kaiser gefochten haben. Zu Karls des