Deutsche Geschichte (Band 1-3). Ricarda Huch

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Deutsche Geschichte (Band 1-3) - Ricarda Huch


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Chronik Kampf und Sieg über alle, die sie unterwerfen wollten. Viele Grafen von Holland, die die Friesen als ihre Untertanen betrachteten, fanden in ihren Sümpfen ihr Grab. Wie die Möwen, die sich kreischend vor gieriger Lust in den Sturm werfen, wenn sie am Strande gehen, etwas von gemütlichen Enten haben, so sagt man von den Friesen, daß sie daheim stumpfsinniger Untätigkeit verfallen; aber wenn eine Sturmflut Deich oder Vieh bedroht, oder auf dem Meere, stürmen sie furchtlos in die Gefahr, ringen sie wie ein unbändiges Element mit den Elementen. Dieser Friesenstolz war allen Nordleuten bis zu hohem Grade eigen. Man hat bemerkt, daß die Sprache der Friesen der englischen näher als der deutschen verwandt ist, von der sie sich stärker als ein Dialekt unterscheidet, und daß sie auch im Charakter den Engländern gleichen; allein auch den Sachsen waren sie so ähnlich, daß es schwer ist, eine bestimmte Grenze zwischen Sachsen und Friesen zu ziehen. Waren doch auch die Engländer damals unvermischte Sachsen, vielleicht schon mit Friesen verschmolzene. Meeranwohner waren sie alle, als Kinder des Meeres einander verschwistert. Sachsen und Friesen waren viel eher Christen geworden als die Skandinavier; aber wie diese waren jene durch die wilde Taufe des Meeres gefeit, ein Geschlecht, das mitten im Untergang, wenn Erde und Sterne wanken, die Wonne seiner Kraft am sichersten fühlte. Auf den ewig von Stürmen umsausten Dünen wuchsen keine Bäume, gab es keine heiligen Haine; heilig war dort die Freiheit. Noch jahrhundertelang beteten auf den friesischen Inseln die Pfarrer selbst um gesegneten Strand, nämlich daß viele Schiffe scheiterten. Als die Blutrache längst nicht mehr im Schwange war, schlugen die Angehörigen eines Getöteten noch mit dem Schwert an die Kirchhofspforte und an die Tür des Mörders und murmelten: Rache! Rache! Die Weisen, die beim friesischen Festmahl zur Harfe gesungen wurden, waren bald stürmisch, bald unsäglich süß und zwangen alt und jung zu tanzen, tolle, heidnische Tänze, bis sie besinnungslos hinfielen. Die nordischen Glaubenshelden behielten als Christen ihre schwungvolle Faust. Bischof Evermod von Ratzeburg wollte einmal einen vornehmen Dithmarschen, dem ein Verwandter erschlagen worden war, bewegen, von der Rache abzustehen. Vergebens predigte er ihm die Grundsätze christlicher Nächstenliebe, vergebens drang er mit Bitten und Flehen auf den Unversöhnlichen ein, endlich fiel er ihm zu Füßen. Der Dithmarsche verschwur sich mit schrecklichen Eiden, sich niemals mit dem Beleidiger zu versöhnen. Da holte der Bischof aus und versetzte dem Manne einen gewaltigen Backenstreich, worauf der Dithmarsche nachgab und verzieh. Außerordentlich stark und verwegen war Dankbrand, der Sohn eines sächsischen Grafen. Nachdem er wegen eines schönen Mädchens mit einem dänischen Großen in Streit geraten war und ihn erschlagen hatte, floh er nach England und wurde dort Kaplan des berühmten norwegischen Königs Olaf Tryggvason, der soeben mit der ungestümen Leidenschaft, die ihm eigen war, das Christentum ergriffen hatte. Olaf Tryggvason war ein König nach dem Herzen der Nordleute: fröhlich, prächtig, glücklich und gütig, im Zorne unaufhaltsam zerstörend wie das Feuer. Er begann sofort die Heiden zu bekehren und schickte den kühnen Dankbrand zu diesem Zwecke nach Island. Einige Heiden, die sich der Taufe widersetzten, schlug Dankbrand sofort tot, einem besonders starken Helden erbot er sich, die Überlegenheit seines Gottes im Zweikampf zu beweisen. Trotz mancher auf diese Art errungenen Erfolge hielten es die erstaunten Isländer für ratsam, den gefährlichen Missionar aus ihrem Lande zu verbannen. So waren die nordischen Küstenbewohner: funkelnd vor Kraft und Übermut und Grausamkeit wie das Meer, halb Kinder, halb Riesen.

      Meerkönig im Norden zu werden, die verschiedenen, das friesische Meer begrenzenden Länder zu einem Reich zusammenzufassen, war eine Lockung für Erobererherzen. Dänen und Deutsche kamen dabei hauptsächlich in Betracht, Dänemark und Deutschland haben jahrhundertelang um die Beherrschung der Nord- und Ostsee gerungen, bald kämpfend, bald sich vertragend. Der erste, der die Aufgabe mit großem Sinn erfaßte, war der König von Dänemark, Knut, der im Beginn des 11. Jahrhunderts England mit seinem Lande vereinigte und musterhaft regierte. Sein Ansehen war so überzeugend, daß Konrad II., der damalige Kaiser, es für das beste hielt, in Freundschaft mit ihm auszukommen, ihm das Land zwischen Eider und Schlei abtrat, seinen Sohn Heinrich mit Knuts Tochter verheiratete. Auch Erzbischof Unwan von Bremen, ein Nachkomme Widukinds und Vetter des Bischofs Meinwerk von Paderborn, dem er darin glich, daß er angestammten Reichtum seinem Bistum zugute kommen ließ, unterhielt mit Knut freundschaftliche Beziehungen. Er empfing ihn in Hamburg, wo er gern Hof hielt, um ihn zu ehren, zugleich aber auch, ihm einen Eindruck von seiner fürstlichen Macht zu geben. Die Erzbischöfe von Hamburg-Bremen waren die größten Herren im deutschen Norden, mächtiger als die Herzöge von Sachsen, die eifersüchtig sie zu schädigen trachteten. Es war deshalb natürlich, daß einem von ihnen die Vision des Nordischen Reiches aufging, wenn sie es auch nur in kirchliche Grenzen bannen konnten.

      Nachdem Knut und Unwan gestorben waren, ernannte Heinrich III. Adalbert, einen Grafen von Goseck, zum Erzbischof von Bremen. Gegenüber von Naumburg sind noch Reste seiner Stammburg erhalten, die er und seine Brüder in ein Kloster verwandelten. Von allen Leidenschaften, die diesen ungewöhnlichen, hochbegabten Mann bewegten, war Ruhmbegierde die stärkste. Man hätte denken können, ihr wäre Genüge getan, als der Kaiser, der ihn hochschätzte, ihn zum Papst machen wollte; aber er lehnte es ab, um ein Patriarchat im Norden zu errichten. So sehr hatte der Norden seinen Sinn berückt. Allerdings konnte er im Norden unabhängiger sein als ein vom Kaiser ernannter Bischof von Rom. Um die nordischen Angelegenheiten bekümmerten sich die Kaiser wenig: es war keine Unterstützung, aber auch keine Einmischung von ihnen zu erwarten. Hier war alles neu und fremd, Abenteuer, unbegrenzte Möglichkeit. Der Blick des jungen Mannes, der in den thüringischen Wäldern gefangen gewesen war, schweifte entzückt über das britannische und das baltische Meer, über nie gesehene Inseln bis dahin, wo in Dunkel und Grauen die Erde endet. Diese Länder waren zum Teil noch heidnisch, zum Teil noch nicht im Christentum befestigt; durch lebhafte Missionstätigkeit konnte die Kirche von Bremen hoffen, sie sich kirchlich unterzuordnen, war sie doch mit Hinblick auf diese Aufgabe gegründet, die nur durch unglückliche Umstände und durch die Nachlässigkeit mancher Bischöfe nicht erfüllt war. Es war ein ähnlicher Gedanke, wie im Südosten des Reiches Bischof Pilgrim von Passau ihn gehegt hatte.

      Aus eigener Anschauung hatte Adalbert keine Kenntnis der nordischen Länder; aber er sammelte so viel Nachrichten über sie wie möglich. Mit den Slawen, die Mecklenburg und Pommern bewohnten, gab es Beziehungen, denn an der Mündung der Oder lag Jumne, die reichste Handelsstadt der Welt, wo kostbare Erzeugnisse ferner Länder getauscht wurden. Es war bekannt, daß man von dort zu Lande nach Griechenland gelangen konnte, wenn auch dieser Weg wegen der unberechenbaren Sinnesart der anwohnenden Völker vermieden wurde. Weiterhin nach Osten warf das Meer den goldgelben Bernstein ans Ufer, mit dem die Frauen des Südens sich schmückten, und noch weiter oben lag das seltsame Land der Amazonen, von denen man sagte, daß sie durch ein Wasser, das dort fließe, schwanger würden, andere meinten durch vorüberreisende Kaufleute, die sie gefangennähmen und nach dem Gebrauch wieder verstießen. Sie erzeugten Mädchen von wunderbarer Schönheit und Söhne mit Hundeköpfen. Zur Zeit des Erzbischofs Alebrand, der vor Adalbert regierte, taten sich einige vornehme Friesen zusammen, um zu erkunden, ob es wahr sei, daß man von der Mündung der Weser aus immer nordwärts fahrend zum grenzenlosen Weltmeer komme. Nachdem sie sich eidlich miteinander verbunden hatten, fuhren sie ab, ruderten an Dänemark, Schottland und Island vorüber und gerieten plötzlich in den Nebel des weltendenden Meeres. Dort riß sie ein Strudel mit, der ihrer Meinung nach dadurch entstanden sei, daß dort alle Strömungen Ursprung und Ausmündung hätten, verschlang einige Schiffe und spie andere wieder aus. Sie kehrten nach Bremen zurück und erzählten dem Erzbischof ihre Erlebnisse. Bei Island, sagten sie, sei das Eis des Ozeans schwarz und so trocken vor Alter, daß es angezündet brenne. Sicherere Nachrichten gab es über die skandinavischen Länder. Nicht nur daß schon der heilige Ansgar am Mälarsee gewesen war, Adalbert stand in freundschaftlicher Beziehung zum schwedischen König Sven Esthritson, in dessen Gedächtnis die Geschichte der nordischen Völker wie in einem Buche geborgen war. Man kannte Fünen mit der großen Stadt Odense, Seeland mit Röskilde, dem dänischen Königssitz, Schonen mit Lund, die fruchtbarste dänische Landschaft, wo es schon 300 Kirchen gab. Schweden schilderte der König als ein ebenfalls an Vieh, Früchten und Honig reiches Land, dem auch viel Waren aus der Fremde zugeführt würden; herrlich sei der goldene Tempel von Uppsala, wo alle neun Jahre, zur Zeit der Frühlings-Tagundnachtgleiche alle schwedischen Völker zusammenkämen und ein Fest feierten. Norwegen dagegen sei rauh, ungeheuer kalt, unfruchtbar, arm. Das Volk lebe von Viehzucht, nur an Milch und Wolle sei es reich. Er erzählte von den schwarzen


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