Die phantastische Welt der Literatur: 90+ Romane, Märchen & Zauberhafte Geschichten. Gustav Weil
Читать онлайн книгу.beruhigt und erzählte dem König getreu alles, was ihr in jener Nacht widerfahren, als sie dachte, den Herzog ihren Gemahl nebst seinen beiden vertrauten Rittern bei sich zu sehen, wie sie dann mit ihrem vermeinten Gemahl die Nacht zugebracht, des anderen Tages aber, als er schon wieder von ihr geschieden, die Nachricht erhalten habe, daß er in der vorigen Nacht, anstatt bei ihr zu sein, auf dem Schlachtfelde umgekommen sei; »und so«, fügte sie hinzu, »weiß ich nicht, wem das Kind zugehört.« – »Süße Freundin«, antwortete der König hierauf, »ich bitte Euch, übergebt dieses Kind dem, der kommen wird, es zu holen, oder wem ich es geben mag, damit wir nie von ihm reden hören.« – »Sire«, erwiderte Yguerne, »mit mir wie mit allem, was mir gehört, tut nach Euerm Wohlgefallen.«
Des andern Morgens erzählte der König dem Ulsius, was zwischen ihm und seiner Gemahlin nachts geredet worden war. »Nun könnt Ihr wohl gewiß sein«, sprach Ulsius, »daß die Königin eine sehr fromme, weise und treugesinnte Dame ist, weil sie Euch in dieser so wichtigen Sache keine Unwahrheit sagte, sondern es wagte, ganz die Wahrheit zu sprechen.«
Nach sechs Monaten kam Merlin zu Ulsius, bezeigte ihm seine Zufriedenheit mit allem, was geschehen; sandte ihn darauf zum König, der sogleich kam und sich sehr freute, Merlin wiederzusehen. Darauf sprach Merlin zum König: »Nicht weit von hier wohnt ein edler Biedermann, mit Namen Anthor, dessen Gemahlin ist die verständigste und gottesfürchtigste Frau im ganzen Land, sie ist von untadelhaften Sitten, in allem Guten sehr wohl unterrichtet und von vortrefflicher Gemütsart. Diese Frau ist kürzlich mit einem Sohn niedergekommen; der biedere Anthor gehört aber nicht zu den reichsten. Ich rate Dir, daß Du zu ihm sendest, ihn zu Dir rufen läßt und ihm Geld und Gut hinreichend gibst, damit er anständig leben mag; bittest ihn aber nachher, daß er ein Kind, welches man ihm bringen würde, an seiner Ehefrauen Brust erziehen und von ihrer Milch ernähren lasse; dann laß ihn einen heiligen Eid ablegen, daß er dies sicher halten wolle, seinen Sohn einem andern zur Erziehung zu geben und an dessen Statt den Sohn, den man ihm bringen würde, als den seinigen zu erziehen und zu halten.« – »Ich will«, sagte der König, »alles pünktlich ausführen, wie Du vorgeschrieben.«
Merlin ging zurück zum Meister Blasius, und der König ließ den braven Anthor zu sich rufen. Anthor kam sogleich, und war nicht wenig verwundert, als der König ihn mit besondrer Freundlichkeit empfing und ihm viel Ehre erzeigte, konnte auch nicht begreifen, warum dies wohl geschehen möchte. »Mein Freund«, fing der König an, »ich will Dir ein Geheimnis entdecken, hüte Dich aber bei Deinem Leben, daß Du es niemand sagst; Du bist mein Untertan und mein Lehnsmann; Du bist es also Gott und mir schuldig, mein Geheimnis fest zu bewahren und mir, was ich Dir sagen werde, ausführen zu helfen.« – »Sire«, antwortete Anthor, »Ihr könnt mir nichts gebieten, was ich nicht mit Freuden zu tun Willens wäre; sollte ich es aber nicht tun können, so ist Euer Geheimnis doch auf jeden Fall sicher bei mir verwahrt.«
»So höret, mein Freund, was mir neulich, als ich schlief, für ein Gesicht erschien. Ich sah einen Mann vor mir, der mir sagte, Ihr, Anthor, wäret einer der biedersten und ehrenhaftesten Männer in der Welt; Ihr«, fuhr er fort, »habt ein Kind erzeugt, welches Eure Frau zu dieser Stunde mit ihrer Milch ernährt. Dieser Mann gebot mir, Euch zu sagen, daß Ihr mir zuliebe dieses Euer Kind einer andern zu ernähren, und zu erziehen gebt, und dafür von Eurer Frau ein Kind an ihrer Brust tränken lasset, welches Euch ein fremder Mann überbringen wird, und daß Ihr dieses fremde Kind als das Eurige erzieht und haltet.« – »Sire«, fing Anthor wieder an, »es ist ein Großes, was Ihr von mir verlangt, daß ich mein eignes Kind einer fremden Frau zu säugen gebe, und mich eines fremden dafür annehme; doch, was mich betrifft, so will ich Euch gehorchen, im Fall, daß es meine Frau zufrieden ist; doch verspreche ich Euch, daß ich sie ersuchen werde, darin einzuwilligen. Sagt mir nun, mein König, ob das Kind schon geboren ist, und wann ich es erhalten soll.« – »Ich weiß es nicht«, antwortete der König; gab ihm aber eine große Summe Goldes und vielen Reichtum und Güter, worüber der biedere Anthor sehr erfreut war. Dann ging er zu seiner Frau nach Hause und erzählte ihr, was zwischen ihm und dem König vorgefallen; es kam ihr dies aber sehr befremdend vor.
»Wie sollt ich wohl«, sagte sie, »mein eignes Kind weggeben können, um ein fremdes zu nähren?« – »Es gibt nichts«, sprach Anthor, »was wir nicht schuldig wären, für unsern Landesherrn zu tun. Du siehst, daß er mir schon viel gegeben, und noch mehr hat er zu tun versprochen, so daß wir niemals eine Armut werden zu befürchten haben; wir müssen also auch alles tun, was er von uns verlangt. Mein Wille ist, so es Dir gefällt, daß Du das Kind, welches uns gebracht wird, säugst und erziehst, gleich wie das unsre.« – »Ich gehöre Euch«, sagte die Frau, »und auch mein Kind gehört Euch zu, tut an uns nach Eurem Wohlgefallen.« Der wackere Anthor war über diese Antwort seiner Frau sehr vergnügt.
XXIX. Wie ein fremder alter Mann das Neugeborene in Empfang nahm und Anthor es dann auf den Namen Artus taufen ließ
Den Tag vor der Niederkunft der Königin kam Merlin zu Ulsius und sprach: »Ich bin zufrieden mit den Anstalten, welche der König getroffen. Geh, sag ihm, er solle die Königin vorbereiten, sie würde morgen nach Mitternacht entbunden werden«; und wie sie gleich nach ihrer Entbindung das Kind dem Manne übergeben müsse, den sie beim Hinausgehen aus ihrem Zimmer erblicken würde. Ulsius fragte ihn, ob er nicht selber mit dem König sprechen wolle, er sagte aber: »Nein, nicht zu dieser Stunde.«
Ulsius bestellte dem König alles, was Merlin ihm aufgetragen, und der König ging sogleich zur Königin. »Morgen nach Mitternacht«, sagte er ihr, »wirst Du entbunden sein; ich bitte Dich aber, und verlange es ausdrücklich, daß Du das Kind gleich nach der Geburt Deiner vertrautesten Kammerfrau gibst, mit dem ausdrücklichen Befehl, es dem Mann zu geben, der es ihr beim Hinausgehen aus dem Zimmer abfordern wird. Auch mußt Du allen denen, welche bei der Niederkunft zugegen sein werden, bei ihrem Leben verbieten, niemandem zu sagen, daß Du niedergekommen bist, weil viele glauben möchten, das Kind sei nicht von mir; auch kann es wohl in Wahrheit nicht von mir sein.« – »Ich sagte es Euch ja«, erwiderte die Königin, »daß ich nicht weiß, wer Vater dieses Kindes ist; ich will tun mit ihm, was Ihr verlangt.« Sie war aber so beschämt, daß sie den König nicht ansehen konnte, sondern ihre Augen niederschlug.
Um die bestimmte Stunde kam sie nieder, worüber sie sehr verwundert war, daß der König die Stunde ihrer Entbindung vorhergesagt. Es geschah auch alles so, wie der König ihr befohlen hatte. »Traute Freundin«, sagte sie zur Kammerfrau, »nimm das Kind und gib es dem Mann, der vor der Zimmertür es Dir abfordern wird; gib aber genau Acht, wer dieser Mann ist.«
Die Kammerfrau wickelte das Kind in reiche Windeln und trug es hinaus; als sie die Tür öffnete, kam ihr ein sehr alter, schwacher Mann entgegen. »Worauf wartet Ihr hier?« fragte sie. »Auf das, was Ihr bringt«, antwortete der Alte. – »Wer seid Ihr? was soll ich meiner Gebieterin sagen, wem ich es gegeben?« – »Bekümmere Dich nicht darum, tue, was Dir befohlen, und was Du tun mußt.« Darauf reichte sie ihm das Kind, er nahm es, und in demselben Moment verschwand er damit, so daß die Kammerfrau nicht wußte, wo er hingekommen. Als sie nun wieder zur Königin ins Zimmer trat und ihr erzählte, wie sie das Kind einem fremden sehr alten Mann habe geben müssen, der in dem Moment, als er es erhielt, damit verschwunden sei, fing die Königin bitterlich an zu weinen.
Der Alte ging mit dem Kind hinaus, um es dem frommen Anthor zu bringen, begegnete ihm aber auf der Gasse, als er eben zur Messe gehen wollte. »Anthor«, redete er ihn an, »ich bringe Dir ein Kind, das Du wie das Deinige erziehen und ernähren sollst. Wenn Du das treulich tust, wird das Gute, das Dir und den Deinen daraus entstehen wird, unermeßlich und Dir kaum glaublich sein. Der König wie auch jeder edle Mann und jede edle Frau bitten Dich, es gut zu halten. Auch ich bitte Dich darum; meine Bitte muß Dir so viel wie die des reichsten Mannes gelten.« Anthor nahm das Kind, sah es an und fand es wohlgebildet und von großer Schönheit. »Ist es getauft?« fragte er den Alten. »Nein«, sagte dieser, »Du magst es sogleich in der Kirche taufen lassen, wo Du vorhattest, zur Messe zu gehen.« – »Welchen Namen soll ich ihm geben?« – »Nenn es Artus. Du wirst bald gewahr werden, welch ein großes Gut Du mit ihm erhältst, denn Du und Deine Frau,