Infiziert. Teri Terry

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Infiziert - Teri Terry


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aber ihre verhindern, dass Luft von außen einströmt – alles für den Fall, dass es, was auch immer es ist, durch Wände, Handschuhe und Schutzanzüge dringt. Hinter den Atemgeräten können sie sich noch murmelnd verständigen und bilden sich ein, sie könnten per Knopfdruck entscheiden, ob ich mithöre. Das können sie sich sparen. Ich höre genug. Mehr, als mir lieb ist.

      Meine Maske ist anders. Sie lähmt meine Zunge. Ich kann zwar atmen, aber nicht sprechen, als wären meine Worte gefährlich.

      Wie ich hierhin gekommen bin, weiß ich nicht mehr, auch nicht, wo ich vorher war. Aber ich erinnere mich, dass ich Callie heiße und zwölf Jahre alt bin und dass die Wissenschaftler glauben, ich könnte ihnen Antworten auf ihre Fragen geben. Wenn es ganz schlimm wurde, habe ich mich an meinem Namen festgehalten, mir im Kopf immer wieder Callie, Callie vorgesagt. Solange ich meinen Namen noch weiß, spielt es keine Rolle, dass ich alles andere vergessen habe. Jedenfalls rede ich mir das ein. Solange ich noch einen Namen habe, gibt es mich. So lange bin ich noch ich. Auch wenn mich hier niemand Callie nennt.

      Und noch etwas weiß ich. Heute werde ich geheilt.

      Mein Rollstuhl und ich stecken in einer riesigen Blase, die mich komplett umschließt. Die Tür geht auf. Dr. 6 kommt herein und schiebt mich im versiegelten Rollstuhl nach draußen, begleitet von Schwester 11 und Dr. 1.

      Die Ärzte und Schwestern sind beeindruckt, dass Dr. 1 dabei ist. Er hat eine Stimme wie Samt, wie Schokolade, Sahne und ein Weihnachtsmorgen zusammengenommen. Sobald er etwas sagt, springen alle. Wie ich ist er nur unter einer Nummer bekannt. Alle anderen haben Namen, aber ich habe sie durchnummeriert. Wenn die mich hier Subjekt 369 X nennen, ist das nur fair, finde ich.

      Ich kann laufen, das würde ich ihnen auch sagen, wenn ich sprechen könnte, doch so werde ich im Rollstuhl durch die Gänge geschoben. Schwester 11 scheint aufgebracht, sie macht kehrt. Läuft dorthin zurück, wo wir hergekommen sind.

      Dann bleiben wir stehen. Dr. 1 drückt einen Knopf an der Wand und Metalltüren öffnen sich. Dr. 6 fährt mich hindurch. Die Ärzte folgen, die Türen schließen sich hinter uns, eine weitere geht auf und noch eine, bis sie mich in einen dunklen Raum schieben. Die Ärzte gehen hinaus. Zischend schließt sich die Tür und ich bleibe allein im Dunkeln zurück.

      Kurz darauf leuchtet eine Wand auf. Erst nur ein wenig, dann stärker, bis ich etwas erkennen kann. Ich befinde mich in einem kleinen quadratischen Raum. Leer. Ohne Fenster. Außer der leuchtenden Wand gibt es hier nichts. Keine Arzneimittel, keine Ärzte, keine Nadeln, keine Messer. Darüber bin ich froh.

      Aber dann beginnt die Behandlung.

      Ich würde schreien, wenn ich könnte.

      Callie, Callie, Callie, Callie

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      KILLIN, SCHOTTLAND

      Time Zero: 31 Stunden

      Als ich mich im Coop-Markt hinter die Regale verdrücke, ist es bereits zu spät, da haben sie mich schon entdeckt.

      Ich stürze nach links davon, stoppe. Duncan steht am Ende des Ganges. Ich wirble herum, flitze in die andere Richtung, wieder zu spät. Duncans zwei Kumpane, die ich vorhin schon über die Regale hinweg erspäht habe, stehen jetzt dort. Gar nicht gut. Ansonsten ist niemand in Sicht.

      »Sieh an, sieh an. Wenn das nicht My Sharona ist.« Duncan stolziert auf mich zu, während die anderen beiden Jungen das Lied anstimmen und entsprechende Bewegungen mit dem Becken vollführen. Nett. Als wir letztes Jahr nach Schottland gezogen sind, hatte ich gehofft, dass hier niemand meinen richtigen Namen erfährt. Und wenn, dass dann zumindest keiner das Lied kennt. Wie alt ist My Sharona? Eine Million Jahre? Doch als wäre ich nicht schon seltsam genug, hat einer es herausbekommen und ein anderer das Lied im Schulbus gespielt. Damit war ich unten durch.

      »When you gonna give to me, give to me?«, singt Duncan und lacht sich halb tot.

      »Wenn du Eier in der Hose hast, Loser.« Mit finsterer Miene versuche ich, mich an ihm vorbeizudrängen, aber so leicht macht er mir das nicht.

      Er packt mich am Arm und stößt mich gegen das Regal. Ich stehe ihm gegenüber und ringe mir ein Lächeln ab. Überrascht lächelt Duncan zurück, und da werde ich so sauer, weil ich mich von diesem Loser einschüchtern lasse. Und diese Angst und Wut nutze ich und ramme ihm mit Wucht das Knie in den Schritt.

      Duncan geht zu Boden, krümmt sich stöhnend.

      »Sorry, habe mich geirrt, Mann. Hast wohl doch welche.«

      Im Ausgang remple ich fast eine alte Dame um, die sich mit ihrem Rollator durch die Tür schiebt. Dabei knalle ich gegen die Wand.

      Der Typ hinter der Kasse funkelt mich böse an. Als ich mir die schmerzende Schulter reibe, bemerke ich, dass ich das Schwarze Brett umgerissen habe. Ich schaue mich um, von den anderen keine Spur. Duncans Kumpane helfen ihm wohl noch auf.

      »Sorry, tut mir leid.« Ich bücke mich und stelle das Schwarze Brett wieder auf. Beim Sturz sind einige Zettel abgefallen, aber ich muss jetzt schleunigst raus hier.

      Da sehe ich sie.

      Das Mädchen. Sie blickt mich von einem Zettel am Boden aus an.

      Langes dunkles, fast schwarzes Haar. Unvergessliche blaue Augen, zum einen, weil sie nicht zu dem dunklen Haar passen, und zum anderen, weil sie so gehetzt wirken – auf dem Bild und auch damals, als sie mich angesehen hat. Nicht die Spur eines Lächelns.

      Hinter mir nehme ich Bewegungen wahr, ich stecke den Zettel ein und stürme hinaus. Ich sprinte über die Straße zu meinem Rad, fummle hektisch am Schloss herum. Endlich springt es auf. Sie sind mir schon auf den Fersen. Ich schwinge mich aufs Rad und trete wie verrückt in die Pedale. Sie kommen näher, eine Hand greift nach mir, gleich haben sie mich.

      Angst treibt mich an, lässt mich schneller treten. Ich entkomme ihnen.

      Als ich mich umdrehe, haben sie die Verfolgung aufgegeben. Hinter ihnen kommt Duncan langsam angetrabt.

      Ich fahre lieber direkt nach Hause, falls sie einen Wagen dabeihaben und mir den Weg abschneiden wollen. Von der Straße wechsle ich auf den Radweg und fahre dann querfeldein durch den Wald den Berg hinauf, hoch und immer höher.

      Das Radfahren tut mir gut und nach ein paar Kilometern beruhige ich mich wieder. Aber jetzt mal im Ernst, was hat sich meine Mutter nur dabei gedacht, mich Sharona zu nennen? Das habe ich mich schon oft gefragt. Als würde ich nicht schon so genug herausstechen, mit meinem Londoner Akzent und all dem Kram, den ich weiß und in der Schule besser nicht äußern sollte, was ich aber oft einfach vergesse. Zum Beispiel ist mir nun mal klar, dass sich Quanten, diese winzig kleinen Partikel, gleichzeitig als Wellen und Teilchen bewegen können. Verrückt. Aber mein derzeitiges Lieblingsfeld ist der Auf bau der DNA – dieser verdammte genetische Code, der dafür verantwortlich ist, dass ich dunkles, lockiges Haar habe und Duncan so ein Arsch ist. Und als wäre es nicht schon schlimm genug, dass Mum mich Sharona genannt hat, bindet sie nun auch noch jedem auf die Nase, dass der Name von diesem Lied stammt. Weil ich auf einem Feld hinter einem Knack-Konzert gezeugt wurde.

      Auch wenn ich alle immer wieder darum bitte, mich Shay zu nennen, können selbst meine Freunde dem Namen Sharona nicht widerstehen. Sobald ich achtzehn bin, also in einem Jahr, vier Monaten und sechs Tagen, ändere ich offiziell meinen Namen.

      Kurz vor dem Gipfel steige ich ab. Die Nachmittagssonne verblasst, es wird kühler. Lange kann ich nicht bleiben, aber ich halte immer hier an.

      Da fällt mir das Mädchen wieder ein. Der Zettel, den ich mir vorhin in die Tasche gestopft habe.

      Hier habe ich sie vor einem Jahr gesehen. An genau diesem Baum mit dem Ast, der sich so gut als Lehne eignet, habe ich gestanden. Mein Fahrrad wie jetzt neben mir.

      Dann fiel mir ein Punkt ins Auge, der hin und wieder zwischen


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