Zersplittert. Teri Terry

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Zersplittert - Teri Terry


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verfolgt.

      Ich fange gemächlich an und halte mich im Dorf im Dunkeln, für den Fall, dass irgendwelche schlaflosen Bewohner an den Fenstern stehen. Es gibt einen brenzligen Moment, als ein verschlafener Hund ein paar Mal halbherzig bellt. Doch keine Tür geht auf und es bleibt weiterhin ruhig. Sobald ich den Fußweg am Ende des Dorfes erreicht habe, laufe ich los. Langsamer als normalerweise und ich passe dabei auf, im fahlen Mondlicht nicht über Wurzeln zu stolpern, aber allmählich gewöhnen sich meine Augen an das Licht.

      Diesen Pfad sind Ben und ich gemeinsam hochgegangen.

      Am Aussichtspunkt haben wir über den nebelverhangenen, nicht vorhandenen Ausblick gelacht, und er wollte mich gerade küssen, als Wayne uns gestört hat.

      Bevor Bens Level fiel und er ohne die illegalen Happy Pills sicher ohnmächtig geworden wäre. Eigentlich waren die Pillen schuld an allem. Und das nur wegen Waynes Angriff und der Tatsache, dass Ben sich nicht dagegen wehren konnte. Was wäre wohl passiert, wenn Amy und Jazz uns nicht geholfen hätten? Wären meine Erinnerungen schon damals zurückgekehrt? Mir wird ganz anders.

      Doch nun brauche ich vor nichts mehr Angst zu haben.

      Nicht, seit mir wieder eingefallen ist, was Nico mir beigebracht hat. Wayne hat es am eigenen Leib erfahren.

      Ziemlich bald gabelt sich der Pfad. Den linken Weg kenne ich – er führt zurück zum anderen Ende des Dorfes. Der rechte ist neu und wird mich heute zum Ziel bringen.

      Das Laufen, die Dunkelheit, die Nacht – einfach wunderbar! Viel zu lange war ich eingeschlossen. Die kalte Luft, der Rhythmus meiner Beine und der weiße Atemhauch erfüllen meinen ganzen Körper, bis es nur noch das Laufen gibt.

      Aber als ich mich meinem Ziel nähere, kommen mir Bedenken. Was soll ich machen, wenn ich dort bin? Was wird Bens Mutter denken, wenn ich um vier Uhr früh bei ihr an die Hintertür klopfe? Was soll ich zu ihr sagen?

      Es gibt nur einen Weg, damit umzugehen, ich muss die Wahrheit sagen. Ich muss ihr erzählen, was wirklich passiert ist.

      Und sie soll wissen, dass ich Ben liebe. Ich würde ihm niemals wehtun, nicht um alles in der Welt.

      Aber das hast du.

      Nein! So war es nicht. Er hätte sich das Levo sowieso abgeschnitten. Ich habe noch versucht, ihn aufzuhalten.

      Dann hättest du dir mehr Mühe geben müssen.

      Da ist die knallharte Wahrheit: Ich hätte mir mehr Mühe geben müssen. Schließlich wurden wir immer gewarnt, dass jeder Schaden am Levo tödlich endet. Dennoch war Ben so wild entschlossen, sich von seinem Levo zu befreien, dass er nicht auf mich gehört hat! Und obwohl ich ihn schrecklich vermisse, ist die Erkenntnis, dass es mir nicht gelungen ist, ihn aufzuhalten, viel schlimmer.

      Damals hielt ich es für das Beste, ihm zu helfen, denn so standen seine Überlebenschancen besser. Ohne mich wäre er garantiert gescheitert.

      Er ist trotzdem gescheitert, oder nicht?

      Ist er das? Mit der Flex hatte ich das Levo ziemlich schnell durch. Danach hat er noch gelebt. Aber der Schmerz. Die leichteste Berührung an einem funktionierenden Levo tut so weh, als würde jemand einem mit einem Vorschlaghammer auf den Kopf hauen; der Schnitt durch das Levo muss sich wie eine Amputation ohne Narkose angefühlt haben.

      Ich kann nicht ausblenden, was anschließend passiert ist: Bens Mutter kam unerwartet nach Hause und fand Ben in meinen Armen vor, wo er sich vor Schmerzen wand. Sein Gesicht war tränenüberströmt, das Levo abgeschnitten und sein Körper zuckte in Krämpfen. Für Fragen blieb keine Zeit. Seine Mutter hat die Sanitäter gerufen und mich fortgeschickt, damit ich nicht noch damit in Verbindung gebracht werde. Und ich bin gegangen, um mich selbst zu retten. Ben lag mit grauenhaften Schmerzen da, die schönen Augen fest zusammengepresst. Zumindest hat er nicht gesehen, wie ich ihn einfach verlassen habe.

      Dann kamen die Lorder und haben ihn mitgenommen.

      Ich blinzele die Tränen weg und konzentriere mich beim Laufen auf meine Füße, den Pfad, die Nacht und darauf, standhaft zu bleiben. Bens Mutter verdient es, die Wahrheit zu erfahren.

      Ihr Haus ist jetzt nah, aber irgendetwas stimmt nicht. Es riecht seltsam. Zuerst nur ein bisschen, dann stärker.

      Rauch?

      Der Geruch wird immer intensiver, und ich werde langsamer, bis ich schließlich nur noch gehe.

      Jetzt ist er sehr stark – die Luft ist dick und trüb, verdeckt das Mondlicht. Meine Augen brennen und ich kämpfe gegen den Hustenreiz.

      Vorsichtig. Lautlos weitergehen.

      Jetzt ist Bens Straße zu sehen, dunkle Häuser hinter Zäunen und Hecken zu beiden Seiten. Langsam steigt Rauch auf und dreht sich im Wind, unwirklich, silbrig und rot, oben vom Mond erleuchtet, unten von der roten Glut. Doch dort steht kein Haus mehr. Als ich näher komme, erkenne ich das ganze Ausmaß der Zerstörung. Vor mir befinden sich nur noch die Überreste eines Hauses – eine Ruine.

      Das kann unmöglich Bens Haus sein! Ich suche die Häuser links und rechts ab. Keines sieht aus wie das seiner Familie, mit der Werkstatt nebenan, in der seine Mutter die Metallfiguren gebaut hat. Es muss sein Haus sein.

      Der Wind dreht sich und ich ziehe mir den Pullover als Atemschutz übers Gesicht. Mir wird schlecht und nun kann ich das Husten nicht länger unterdrücken. Es sind keine Feuerwehrleute da, niemand ist zu sehen. Vom Haus sind nur noch Trümmer und glühende Asche übrig. Rauch. Wie …?

      Im Hintergrund bleiben. Geh nach Hause. Sicher beobachtet jemand das hier.

      Ist es wirklich Bens Haus? Kann das sein? Was ist nur geschehen?

      Verschwinde. Hier gibt es nichts mehr zu tun.

      Gar nichts. Wenn sich jemand im Haus aufgehalten hat, dann …

      Ich starre auf die Ruine. Die Nachbarhäuser sind unversehrt, aber Bens ist vollkommen zerstört. Darin konnte niemand überleben. Niemand.

      Seinen Vater habe ich nie kennengelernt, aber seine Mutter war so voller Leben, so erfüllt von ihrer Kunst. Und dann von dem Schmerz um Ben.

      Jetzt nicht mehr.

      Verschwinde von hier.

      Ich bekomme es mit der Angst zu tun, ich muss hier schleunigst weg. Meine Füße treten den Rückmarsch an und im Schutz der Bäume laufe ich den Kanalweg entlang. Bestimmt wird hier heute Nacht alles überwacht.

      Ich bleibe stehen. Es geht ein wenig bergauf, von hier habe ich einen besseren Blick.

      Versteck dich!

      Wenn ich von oben alles sehen kann, kann man mich auch von unten erspähen. Schnell tauche ich im Schatten der Bäume ab.

      Jeder meiner Instinkte schreit mir zu, dass ich wegrennen soll, mich verstecken, aber ich kann nicht nicht wegsehen! Kann die Augen nicht von dem rauchenden Gemäuer abwenden. War jemand im Haus? Sind Bens Eltern etwa darin verbrannt? Mich schaudert. Ich bin fassungslos …

      Jemand packt mich von hinten an den Schultern.

      Mit Wucht ramme ich den Ellbogen in die Person hinter mir, die daraufhin japsend gegen einen Baum prallt. Ich fahre herum, trete mit dem Fuß zu, die Faust erhoben, um den Schädel meines Gegners gegen den Baum zu schmettern und …

      Überrascht lasse ich die Hände sinken.

      Vor mir steht ein Mädchen zusammengekrümmt da und hält sich keuchend den Bauch. Lange schwarze Haare fallen in ihr Gesicht. Auch wenn in diesem Licht kaum etwas zu erkennen ist, kommt mir das Haar irgendwie bekannt vor.

      »Tori?«

      Sie blickt auf. Vertraute, makellose Züge, schöne Augen. Doch es sind nicht dieselben. Sie sind leer und voller Tränen.

      »Tori?«, frage ich wieder. Mit einem schwachen Nicken sinkt sie zu Boden. »Was machst du denn hier? Wie …?«

      Sie


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