Zersplittert. Teri Terry

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Zersplittert - Teri Terry


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genau wie wir. Ich habe sie kaum gekannt, aber Ben ist vor mir mit ihr zusammen gewesen, auch wenn er das nie zugeben wollte. Angeblich hätten sie sich nie geküsst, aber das habe ich ihm nie so ganz abgekauft. Wer könnte Tori schon widerstehen? Doch dann wurde sie von den Lordern abgeholt: Niemand kehrt je von dort zurück.

      »Du Schlampe«, bringt sie schließlich hervor. »Warum hast du das getan?«

      »Ich wusste doch nicht, dass du das bist«, flüstere ich. »Sprich leise. Wie bist du …«, setze ich an, aber meine Stimme versagt. Ich weiß nicht, wo ich überhaupt anfangen soll.

      »Ich bin abgehauen und wollte zu Ben. Aber er …« Ihre Stimme bricht und Tränen laufen ihr über die Wangen.

      Verschwinde von hier! Das ist nicht sicher!

      »Tori, wir müssen weg. Hier können wir nicht bleiben, sonst schnappen sie uns.«

      »Was ändert das jetzt noch? Ohne Ben bin ich …« Und sie schüttelt den Kopf. »Sie sind alle tot. Sie haben niemanden gerettet. Ich habe alles gesehen!«

      Weg von hier!

      Aber vorher muss ich es erfahren. »Erzähl mir, was passiert ist.«

      »Ich bin vor ein paar Stunden hier angekommen. Das Haus hatte gerade angefangen zu brennen, und ich habe mich versteckt, weil Feuerwehrautos mit lauten Sirenen angerast kamen. Aber sie haben nicht eingegriffen.«

      »Warum nicht?«

      »Die Lorder waren schon da. Die Feuerwehrleute mussten zusehen, wie das Haus abgebrannt ist. Sie haben nur dafür gesorgt, dass das Feuer nicht auf die Nachbarschaft überspringt. Ich habe ihre Schreie gehört, Kyla. Und ich habe nicht geholfen. Einer von den Feuerwehrleuten hat mit den Lordern gestritten und sie haben ihn einfach erschossen.«

      »Sie haben was?«

      »Sie haben ihn einfach erschossen.« Sie schluchzt lauter. »Ben ist tot und ich habe nichts dagegen unternommen.«

      Ich weiß, wie schrecklich diese überwältigenden Schuldgefühle sind. In Bezug auf Ben kann ich sie aber beruhigen.

      »Tori, er war nicht im Haus. Er war nicht hier.« Ihre Schultern beben und sie nimmt meine Worte nicht wahr. »Hör mir zu: Ben war nicht da. Okay?«

      Langsam dringen meine Worte zu ihr durch. Sie blickt auf. »War er nicht? Wo ist er dann?«

      »Ich erzähle dir alles. Aber erst müssen wir hier weg.«

      »Wo soll ich denn hin? Nach Hause kann ich nicht, da suchen sie als Erstes nach mir. Ich habe doch sonst niemanden.«

      »Komm mit.«

      Ich ziehe Tori mühsam auf die Beine. Sie ist in keiner guten Verfassung. Sie trägt dämliche Sommerschuhe, bibbert in ihrer zerrissenen Kleidung und kann sich nur humpelnd vorwärtsbewegen. Ihre nackten Arme glänzen im Mondlicht wie Leuchtfeuer. Ich nehme sie an der Hand, um sie weiterzuziehen, greife ihr dann unter den Arm: Ihre Haut ist eiskalt. Schließlich lege ich einen Arm um ihre Hüfte, um sie beim Gehen zu stützen.

      »Was ist mit dir passiert?«

      »Mir ging’s ganz gut, bis du deine Karateübungen an mir ausprobiert hast.«

      »Lügnerin.«

      »Ich bin sehr weit gelaufen. Ich kann nicht mehr weiter.« Ihre Stimme ist schwach und ihr federleichter Körper hängt wie ein Mehlsack an mir.

      »Halt an, ich brauche eine Pause«, sagt Tori.

      »Wir können jetzt nicht anhalten. Los, komm, Tori«, flehe ich sie an, aber sie sackt einfach zusammen. Es gelingt mir gerade noch, sie aufzufangen und langsam auf den Boden zu setzen.

      Wo soll ich mit ihr hin? Sie ist von den Lordern abgehauen – jeder, der ihr hilft, macht sich strafbar. Allein schon in ihrer Nähe zu sein, ist gefährlich.

      Lass sie. Survival of the fittest!

      Nein, das kann ich nicht. Das werde ich nicht!

      Ich denke an Cams Zeichnungen und Nico, den Höhlenmenschen. Haben wir denn überhaupt eine Wahl? Selbst wenn sie bis zu mir nach Hause laufen könnte, kann ich sie nicht dorthin mitnehmen. Das kann ich Mum nicht antun. Selbst wenn sie bereit wäre, Tori zu helfen, könnte Amy nie ein Geheimnis bewahren, und es ihr zu verheimlichen, wäre unmöglich. Und wenn Dad heimkäme … ich zittere. Als Ben verschwunden ist, hatte er mich im Verdacht und hat mir damit gedroht, mich zu den Lordern zurückzuschicken, sollte ich noch einmal aus der Reihe tanzen. Das wäre ein guter Grund für ihn, mich endlich loszuwerden. Vielleicht könnten Jazz und sein Cousin Mac helfen. Aber ich habe keine Möglichkeit, sie zu kontaktieren oder dort hinzukommen. Zu Fuß wäre es viel zu weit für sie. Bleibt nur noch Nico.

      Er wird rasen vor Wut.

      Nicos Wut darf man nicht unterschätzen. Aber er hat gesagt, dass ich ihn rufen soll, wenn ich Hilfe brauche. Schließlich hat er mir das Gerät doch für Notfälle gegeben.

      Ich fummle im Dunkeln unter meinem Levo herum, bis ich den Knopf an dem Kom finde. Bitte sei wach, Nico!

      Sekunden später antwortet er alarmiert: »Ich hoffe, du hast einen guten Grund.«

      »Das war dumm von dir, Rain.« Nico hievt Tori auf den Rücksitz seines Autos. »Was soll ich mit ihr machen?«

      Ich gebe keine Antwort, weil ich nicht daran denken will, was er vorschlagen könnte. Ich steige vorn neben ihm ein, ziemlich erschöpft, weil ich die halb bewusstlose Tori im Dunkeln den Fußweg hinaufschleppen und ihr ständig gut zureden musste, um sie bis zur ersten Kreuzung mit einem Feldweg zu bringen, dem hastig arrangierten Treffpunkt mit Nico.

      »Danke«, sage ich zu ihm und meine es mit jeder Faser meines Körpers. Ich war so erleichtert, ihn zu sehen, dass ich mich ihm am liebsten in die Arme geworfen hätte. Aber er war nicht in Kuschelstimmung.

      Schnurrend nimmt der Wagen den Berg, auch wenn er nicht danach aussieht, hat er einen starken Motor. Nico hält Augen und Ohren offen, als wir auf die Hauptstraße abbiegen. Welche Erklärung könnten wir für die mittlerweile bewusstlose Tori auf dem Rücksitz haben? Wir müssten die Flucht ergreifen.

      »Du riechst nach Rauch.«

      »Wirklich? Wie spät ist es?«

      »Fast fünf.«

      »Ich muss bald daheim sein, sonst fliege ich auf. Mum ist immer früh wach.«

      »So wie du riechst, kannst du nicht nach Hause.«

      Nico fährt jetzt schnell. Tori wimmert und ist dann wieder still. Wir erreichen ein dunkles Haus auf einem Hügel mit einer seitlichen Auffahrt, die hinter das Gebäude führt. Nachbarn gibt es keine.

      Nico legt sich Tori über die Schulter und trägt sie ins Haus. Ich folge ihm. Die Räume sind klein, modern und sauber. Nicht das übliche Free-UK-Versteck.

      »Hier wohnst du also?«, frage ich überrascht.

      Er funkelt mich an. »Wir hatten schließlich keine Zeit, sie irgendwo anders hinzubringen.«

      Er legt Tori auf die Couch und zieht die schweren Vorhänge vor den Fenstern zu, ehe er das Licht einschaltet.

      Erst jetzt sehe ich, in was für einem Zustand sie wirklich ist. Dünne, bunte Kleider hängen in Fetzen an ihr herunter, als wollte sie zu einer Party gehen, anstatt so weit durch die Kälte zu laufen. Ihre Haut ist voller Kratzer und blauer Flecken. Ein Knöchel ist geschwollen – ein Wunder, dass sie überhaupt noch gehen konnte.

      Sie bewegt sich. Ihre Augenlider flattern und öffnen sich ein wenig – und dann ganz, als sie Nico entdeckt. Mit panischem Gesichtsausdruck setzt sie sich auf.

      Ich nehme ihre Hand.

      »Tori, alles in Ordnung. Das ist …« Und ich unterbreche mich, weil ich nicht weiß, welchen Namen er benutzen will. »Ein Freund. Er kümmert sich um dich.«


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