Leichen bluten nicht - Roland Benito-Krimi 6. Inger Gammelgaard Madsen

Читать онлайн книгу.

Leichen bluten nicht - Roland Benito-Krimi 6 - Inger Gammelgaard Madsen


Скачать книгу

      »War da nicht was, dass ein Serienmörder in der Regel in einem bestimmten Radius der Tatorte wohnt? Ich meine, das lehren sie an der FBI Academy in Quantico«, sagte Mikkel und prüfte die Karte.

      »Wieder Serienmord. Man spricht nicht von Serienmord, bevor nicht mindestens vier Menschen getötet wurden«, kam es erneut belehrend von Kim.

      »Wer guckt jetzt zu viele Krimis?« Mikkel schaute Kim höhnisch an.

      »Schluss damit! Wir reden nicht von einem Serienmörder. Der Mann scheint von Vergewaltigungen getrieben zu sein, das ist doch ganz sicher ein sexuelles Motiv.« Roland wusste genau, dass die Hitze allen zu schaffen machte, sie wurden gereizt und bissig und wer würde auch nicht lieber zu Hause im Garten sitzen, die Füße in einem Bottich mit kaltem Wasser und ein frisch gezapftes Bier vor sich.

      »Was meinst du, Isabella?« Es gefiel ihm nicht, dass sie so schweigsam war. Das sah ihr nicht ähnlich, erst recht nicht, wenn sich die Jungs in den Haaren lagen, aber sie saß bloß da und starrte auf die Fotos der beiden jungen Frauen.

      »Es gibt ja auch den Begriff des Serienvergewaltigers. Der Amager-Mann ist uns allen ja noch frisch im Gedächtnis und vielleicht haben wir es hier mit so einem Typen zu tun«, sagte sie nachdenklich.

      »Dann muss er trotzdem noch zwei weitere erwischen, bevor man es als Serie bezeichnen kann«, kommentierte Mikkel mit einem spöttischen Blick zu Kim.

      »Und das müssen wir verhindern«, beeilte sich Roland einzugreifen, bevor Kim zurückschlug.

      »Warum nimmt er die Stricke wieder mit? Und was ist wohl bei Maja schief gelaufen? Sie hat er ja nicht getötet. Also falls es der gleiche Täter ist«, schloss Isabella.

      »Isabella und Mikkel, versucht die Nachbarn, Familien und Freunde der beiden zu erreichen. Findet heraus, ob die Mädchen etwas gemeinsam hatten. Kim, überprüf’ alle Vergewaltiger aus unserer Kartei. Sie müssen ein Alibi für jede Millisekunde des Todeszeitpunkts haben. Und dann kannst du Natalie und das Kriminaltechnische Zentrum kontaktieren und alle möglichen Zusammenhänge beider Tatorte auflisten, die untersucht werden sollen. Es muss auch bald eine Rückmeldung von Tanjas Obduktion kommen. Niels ist dabei.«

      »Niels? Warum bist du nicht … was machst du dann?«, wollte Isabella wissen, während alle drei auf einmal aufstanden.

      Roland schaute auf die Uhr. »Ich habe eine wichtige Verabredung mit Irene. Sie hat mich gebeten, bei einem Gespräch dabei zu sein. Es geht um eine Untersuchung, für die sie letzte Woche in einer Privatklinik war.«

      Es war ein schwieriges Thema für alle in der Abteilung, dass seine geliebte Ehefrau im Rollstuhl saß. Vor allem, weil er selbst nicht besonders offen damit umging. Er hatte nur notgedrungen ein wenig von der kleinen Besserung erzählt, die es im letzten Jahr gegeben hatte. Tatsächlich, seit Irene zum zweiten Mal Oma geworden war und sich aus ihrem Rollstuhl erhoben hatte, um es ihm durchs Fenster im zweiten Stock nach unten in den Garten zuzurufen. Man wusste ja nie, ob es vielleicht bloß ein Reflex gewesen war und es dennoch nie wieder besser als jetzt werden würde. Die Ärzte hatten sich skeptisch und verwundert ihren Bericht darüber angehört, was an dem Wintertag passiert war, als Olivias Zwillinge geboren worden waren, denn dass eine reine Emotion solche Wunder bewirkte, war höchst unwahrscheinlich. Irenes Wirbelsäule hatte dauerhaft Schaden genommen und sie war für den Rest ihres Lebens an den Rollstuhl gefesselt. Aber Roland hatte nie die Hoffnung verloren. Man hörte so viel über kleine Wunder, die passierten, und die nur zeigten, dass die Ärzte nicht immer Recht hatten. Der Wille war der größte Faktor für eine Genesung, meinte er. Leider hatte Irene den nach den vielen Rückschlägen, die sie erlitten hatte, verloren. Aber er würde alles dafür tun, dass Irene ihr Leben zurückbekäme. Es war einfach nicht gerecht, dass ein Verrückter es innerhalb weniger Sekunden zerstören konnte, bloß, weil er unzufrieden mit der Entscheidung seiner Sozialarbeiterin war.

      »Habt ihr angefangen, Privatkliniken zu konsultieren?«, fragte Isabella vorsichtig.

      »Die öffentlichen haben ja aufgegeben und sagen, dass sie nicht mehr tun können, was blieb uns also anderes übrig?«

      Er konnte an ihren Gesichtern ablesen, was sie dachten, aber er würde sich nie mit dieser Tatsache abfinden.

      »Können die in der Privatklinik Irene denn helfen?«, erkundigte sich Mikkel.

      »Das werden wir heute vielleicht wissen.«

      Die neue Privatklinik lag in Skejby, hatte aber nichts mit der Uniklinik in Skejby zu tun. Es war jedoch eine gute Adresse. Irene hatte die Anzeige in der Zeitung gesehen und er hatte sie natürlich darin bestärkt, es dort mit einer Untersuchung zu probieren. Das Gebäude war ganz neu und modern. Es herrschte eine angenehme und beruhigende Atmosphäre, sobald sie die helle, barrierefreie Vorhalle betraten. Ein Arzt mittleren Alters empfing sie und nahm sie mit in sein Sprechzimmer, in dem man durch große Fenster einen Ausblick auf den Egå Engsø hatte. Er bat Roland, Platz zu nehmen, und setzte sich mit einem freundlichen Lächeln in dem sonnengebräunten Gesicht ihnen gegenüber an den Schreibtisch. Er trug einen schimmernden Ehering, der ganz neu aussah, wie das Interieur, und strahlte auf Anhieb Autorität und Kompetenz aus. Roland sah sofort, dass Irene es ebenso auffasste und wusste, welch große Bedeutung es für den Ausgang dieses Gesprächs haben würde. Er selbst fühlte sich ein bisschen nervös. Worüber wollte der Arzt mit ihnen sprechen? Rolands Hände lagen auf der blankpolierten Armlehne des Stuhls.

      »Willkommen in der Privatklinik Mollerup. Ja, sie ist weder nach dem Wald noch nach dem Golfplatz benannt«, bemerkte er mit einem Schmunzeln. »Der Gründer der Klinik heißt Carsten Mollerup. Ich heiße Kenneth Rissvang und bin gerade erst aus den USA zurückgekehrt, wo ich neun Jahre lang als Chirurg tätig war. Haben Sie etwas dagegen, wenn wir uns duzen?«

      Chirurg? Roland wunderte sich einen Augenblick lang darüber, dass das Gespräch mit einem Chirurgen und nicht mit einem Allgemeinmediziner stattfand, aber er nickte und Irene antwortete, dass es nichts ausmachte, wenn sie nicht formell seien, im Gegenteil.

      Kenneth Rissvang schaltete einen großen, modernen Bildschirm hinter sich an. Wilhelm Conrad Röntgens Erfindung im Jahre 1895 war natürlich auch digitalisiert worden. Roland konnte Schatten auf dem dunkelgrauen Röntgenbild erkennen, und er verstand nicht viel von dem, was er sah.

      »Ja, ich weiß, das sagt euch wohl nicht so viel, aber wie ihr vielleicht sehen könnt, ist die Verletzung von Irenes Wirbelsäule hier.«

      Er deutete auf eine Stelle, die Roland deutlich sehen konnte, jetzt, wo explizit darauf hingewiesen wurde.

      »Rückenmarkverletzte können in zwei Gruppen eingeteilt werden: die Paraplegiker und die Tetraplegiker. Die Erstgenannten haben Verletzungen unter dem siebten Rückenwirbel, wie es auch bei Irene der Fall ist. Eine Verletzung, die Lähmungen in den Beinen, in der Blase und im Darm verursacht und oft auch die Sexualfunktion stören kann. Diese Verletzung bewirkt, dass du nicht laufen kannst. Du gehörst also zu der Gruppe der Paraplegiker«, sagte er und schaute Irene freundlich und direkt an. »Ansonsten bist du völlig gesund. Dein Herz arbeitet perfekt und all die übrigen Organe sind ja fast wie bei einer Zwanzigjährigen.«

      Irene erwiderte das Lächeln geschmeichelt. Diese Art Komplimente bedeuteten einer Frau über 50 sicher eine Menge. Roland überlegte, ob er wohl den gleichen Bescheid bekommen würde, wenn er sich zu einer gründlichen Untersuchung seines nicht allzu trainierten Körpers durchränge. Das Schwimmen in Ballehage war bestimmt nicht genug, selbst wenn das Winterbaden das Herz stärkte, das redete er sich jedenfalls ein, und die Wanderungen mit Angolo trugen sicher auch nicht außerordentlich zu seiner Gesundheit bei. Aber immerhin besser als nichts.

      »Aber was ist mit der Verbesserung, die wir an dem Tag gesehen haben, als Irene aus dem Rollstuhl aufgestanden ist?«, fragte er und nahm unwillkürlich Irenes Hand, die schlaff auf der Armlehne des Rollstuhls lag.

      »Ja, das hat sicher viele Ärzte im Krankenhaus verwundert, kann ich mir vorstellen, aber mich nicht«, erklärte der Chirurg. »Das sagt mir, dass Irenes Rückgrat geheilt werden kann. Es gibt Impulse, die bei Beeinträchtigungen funktionieren, und das gilt es auszunutzen.« Er lächelte freundlich und Roland musste ganz automatisch


Скачать книгу