Leichen bluten nicht - Roland Benito-Krimi 6. Inger Gammelgaard Madsen

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Leichen bluten nicht - Roland Benito-Krimi 6 - Inger Gammelgaard Madsen


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drehte sich zu seinem Computerbildschirm und gab etwas in den Computer ein. Sie sahen nur die Rückseite des Bildschirms.

      »Wie ich sehe, ist es ungefähr zwei Jahre her, dass du durch das Projektil verletzt wurdest. Das ist eine lange Zeit, aber ich erzähle euch mal eine kleine Geschichte. Wollt ihr übrigens etwas Kaltes trinken? Das ist ja eine ganz schöne Hitze im Moment.«

      Er hatte einen Minikühlschrank in seinem Büro, aus dem er eine Karaffe mit stillem Wasser holte.

      »Eingerichtet aufgrund der großen Nachfrage bei den Temperaturen«, bemerkte er lächelnd er und schenkte in drei Gläser ein. Eine halbe Zitronenscheibe schwamm in der Karaffe und gab dem Wasser einen leichten Zitrusgeschmack. Roland leerte das Glas gierig in einem Zug. Er war durstig und seine Gemütslage ließ ihn die Regeln der Höflichkeit vergessen.

      Der Chirurg stellte die Karaffe auf den Tisch und setzte sich wieder ihnen gegenüber, mit einer Miene, als wolle er zwei gespannt wartenden Kindern ein Märchen erzählen.

      »Als ich in den USA war, gab es dort einen viel diskutierten Fall, der die Auffassung dessen, wann alle Hoffnung vergebens ist, auf den Kopf gestellt hat. Es handelte sich um einen sechsjährigen Jungen aus Arizona, der eine Querschnittslähmung davontrug, als das Auto seiner Familie von einem anderen Auto gerammt wurde, dessen Fahrer während des Fahrens eine SMS geschrieben hatte. Dieser kleiner Junge landete wie du, Irene, im Rollstuhl und war darauf gefasst, dass er nie wieder ein normales Kind sein würde.«

      Er schaute nur Irene an, und das irritierte und freute Roland zugleich, denn er konnte sehen, dass Irene bereits von der Geschichte fasziniert war und ihre Augen vor Hoffnung und Erwartung glänzten.

      »Der Junge ging zur Physiotherapie, wie du auch. Eines Tages sagten die Ärzte, sie könnten nichts mehr für den Jungen tun. Aber seinen Eltern fiel es schwer, das zu akzeptieren.« Jetzt wurden die freundlichen hellbraunen Augen auf Roland gerichtet.

      »Sie kämpften weiter und fanden eine Möglichkeit. Stammzellentherapie. Aber die Behandlung war in den USA nicht möglich, sodass sie in Panama vorgenommen wurde. Sie kostete ungefähr 180.000 dänische Kronen, die die Familie nicht aufbringen konnte, aber mithilfe von Fundraising und der Unterstützung großzügiger Menschen bekamen sie das Geld zusammen. Der Sohn wurde behandelt und machte so große Fortschritte, dass die Eltern nicht daran zweifeln, dass er eines Tages tatsächlich wieder laufen wird. Es ist nur eine Frage der Zeit.«

      Roland sah, dass Irene Tränen die Wangen hinunterliefen und er drückte ihre Hand noch fester, auch, um sie in die Wirklichkeit zurück zu holen. Es ging um sie, nicht um einen kleinen Jungen in Arizona, der vielleicht einfach nur Glück gehabt hatte.

      »Aber muss ich dann nach Panama?«, fragte sie endlich bewegt, als ob das die größte Herausforderung wäre.

      Kenneth Rissvang lächelte und legte eine sonnengebräunte Hand auf ihren Arm.

      »Nein, das ist die gute Nachricht. Die Operation kann hier in Dänemark vorgenommen werden. Hier in der Klinik. Ich kann sie vornehmen.«

      Roland lehnte sich auf dem Stuhl zurück und wusste nicht, was es für Gefühle waren, die in seinem Magen und Brustkorb rotierten. Eine Operation an der Wirbelsäule. Dem Rückenmark. Das klang so schrecklich lebensgefährlich.

      Irene schaute ihn an und an diesen Blick würde er sich bis ans Ende seiner Tage erinnern, so viel Freude und Hoffnung hatte er noch nie zuvor bei irgendeinem Menschen gesehen.

      »Gibt es da kein Risiko?«, fragte er den Chirurgen, obwohl er genau wusste, dass es Irenes Freude trüben könnte.

      »Bei Operationen gibt es immer Risiken. Wie immer im Leben. Aber seit diesem Fall, den ich gerade geschildert habe, wurden eine Menge dieser Operationen durchgeführt, sie sind allesamt erfolgreich verlaufen und hatten eine Menge positiver Resultate. Die Patienten hatten danach eine viel bessere Lebensqualität.«

      Irene schaute den Arzt mit großer Bewunderung im Blick an.

      »Und du meinst, mir kann auch geholfen werden?«

      »Ganz sicher. Wenn die Impulse da sind, müssen wir lediglich einen Spender finden.«

      Roland hatte gewusst, dass es ein Aber gab. Spender fielen nicht vom Himmel, sie waren Mangelware und viele Patienten warteten jahrelang vergeblich auf ein neues Organ.

      »Es gibt leider nicht viele Spender«, bestätigte der Arzt Rolands Gedanken. »Die gute Nachricht ist, Irene, dass ich schon einen Spender für dich habe. Aber …«

      »Aber …«, wiederholte Irene, als ob ihr wieder alle Hoffnung genommen wurde.

      »Aber wir müssen auch über den finanziellen Aspekt sprechen«, fuhr der Chirurg fort und schaute wieder Roland an, der sich unter seinem Blick wand.

      »Alles in allem beläuft es sich mit Spender, Operation und Nachsorge auf ungefähr 200.00 Kronen.«

      »Ja, aber wir bezahlen unsere Steuern, wir sind krankenversichert und wir …«

      »Nun ist es so, dass die Öffentlichen Kassen diese Behandlung in Dänemark nicht unterstützen. Also zumindest noch nicht, daher …«

      »Wir sprechen hier doch wohl nicht von einer experimentellen Behandlung?« Alles in Rolands Körper sträubte sich gegen diesen Gedanken. Irene sollte kein Versuchskaninchen für eine illegale Operation werden, da machte er ganz sicher nicht mit. Schon gar nicht zu diesem Preis. Woher sollten sie all das Geld nehmen?

      »Nein, nein, überhaupt nicht! Ich habe viele von diesen Behandlungen in den USA durchgeführt und mit den allerbesten Forschern zusammengearbeitet. Das ist kein Hokuspokus, aber die dänischen Behörden sind ja immer skeptisch, wenn es um neue Behandlungsmethoden geht. Ethik und so etwas. Dänische Forscher verfolgen diese Behandlungsform mit großem Interesse, und wenn sie die Ergebnisse in den USA und in Asien sehen, dann wird es nicht mehr lange dauern. China ist am weitesten damit, diese Art von Behandlungen durchzuführen, sie können wirklich gute Resultate vorweisen.« Kenneth lächelte und erhob sich. Er nahm eine Broschüre aus einem Regal hinter sich und reichte sie Irene.

      »Jetzt könnt ihr mal hineinschauen, darin steht alles über die Transplantation, sodass ihr ganz in Ruhe herausfinden könnt, ob das nicht die Lösung ist, um Irene wieder ein besseres Leben zu geben.« Wieder schaute er zu Roland, der sich beeilte, Irene über die Schulter und auf die Broschüre zu gucken, in der sie bereits eifrig blätterte.

      »Ich lasse euch einen Augenblick alleine, ich komme gleich wieder.« Der Arzt verließ sein Büro mit dem obligatorischen aufmunternden Lächeln und schloss die Tür hinter sich.

      »Guck, Rolando, das klingt gar nicht so gefährlich, es wird ein paar Monate dauern, aber stell dir vor, wenn nun …«

      Sie schaute ihn an und all seine Gegenargumente waren kurz davor, zusammenzubrechen.

      »Ja, aber Irene … wir wissen doch nicht, ob es hilft. Das ist viel Geld und die Methode ist illegal. Ich bin Polizist, und …«

      Seine Stimme wurde immer schwächer, da er selbst hörte, wie er bloß Wort für Wort die Hoffnung zerstörte, die er die ganze Zeit versucht hatte, in Irene keimen zu lassen. Jetzt, wo sie wieder welche hatte, versagte er. Wut blitzte in ihren Augen auf – oder war es Enttäuschung? Tiefe Enttäuschung.

      »Du denkst jetzt also nur an deinen Job. Mal wieder! Und Geld? Ist es nicht wichtiger, dass ich hier rauskomme?« Sie schlug so heftig mit den Handflächen auf die Armlehnen des Rollstuhls, dass Roland zusammenzuckte. »Wenn ich einfach aufstehen könnte, wie damals an dem Tag, könnte ich viele Dinge endlich wieder allein tun. Unter anderem auf die Toilette gehen. Wenn du wüsstest, wie erniedrigend es jedes Mal ist, wenn … jedes Mal …« Sie schnaubte und schüttelte bloß den Kopf. »Ist dir das wirklich nicht wichtiger als dein Polizeijob und das verdammte Geld?«

      Ihre Worte trafen ihn wie ein Schlag. Wäre ihm damals, an diesem Abend, sein Job nicht wichtiger gewesen, würde sie vielleicht überhaupt nicht da sitzen. Wenn er da gewesen wäre, um sie zu retten, wenn …

      »Die Antwort


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