Das Evangelium nach Lukas. Ambrosius von Mailand
Читать онлайн книгу.rein von der Befleckung des Ehebruches halten; denn „wer einer Buhlerin anhängt, ist* ein* Leib mit ihr"225. So wird denn in Joseph überall der Nimbus und die Rolle des Gerechten gewahrt, um ihn als Zeugen zu empfehlen; denn „des Gerechten Mund kennt nicht Lüge, und seine Zunge spricht Gerechtigkeit"226, seine Gerechtigkeit spricht Wahrheit. Es darf dich auch nicht beirren, daß die Schrift häufig von einer Vermählten spricht; denn damit ist keine Aufhebung der Jungfräulichkeit, sondern nur eine Bezeugung der Ehe, der Vollzug der Vermählung klar ausgesprochen. So entläßt ja niemand ein Weib, das er nicht heimgeführt. Das Vorhaben der Entlassung schließt darum ein Geständnis der Heimführung in sich.
6.
[Forts. ] Zugleich auch darf es nicht befremden, daß der Evangelist schreibt: „Er erkannte sie nicht, bis sie den Sohn gebar"227. Diese Redeweise nämlich erklärt sich entweder aus dem Sprachgebrauch der Schrift ― so liest man anderswo: „Und bis ihr altert, bin ich derselbe"228. Hat nun etwa Gott nach deren Altwerden zu sein aufgehört? Und in den Psalmen: „Es sprach der Herr zu meinem Herrn: setze dich zu meiner Rechten, bis daß ich mache deine Feinde zum Schemel deiner Füße"229. Wird er etwa nachher nicht mehr thronen? ― oder daraus, daß ein Anwalt, der eine Sache vertritt, es für genügend hält, vorzubringen, was zur Sache gehört: was darüber hinausliegt, kümmert ihn nicht; denn er beschränkt sich auf den Nachweis der Sache, die er übernommen hat; den neuen Rechtsfall, der anhängig wird, schiebt er hinaus. Darum glaubte auch der Evangelist, der den Nachweis des unversehrten Geheimnisses der Menschwerdung übernommen hatte, nicht weiter den Nachweis der Jungfräulichkeit Marias führen zu sollen, um nicht mehr als Anwalt der Jungfrau denn als Verteidiger jenes Geheimnisses angesehen zu werden. Sicherlich aber hat er, da er Joseph für einen Gerechten erklärte, hinreichend klar ausgesprochen, daß derselbe unmöglich den Tempel des Heiligen Geistes, die Mutter des Herrn, den Schoß des Geheimnisses (der Menschwerdung) verletzen konnte.
7.
Wir haben den Wortlaut der Wahrheit230 vernommen, wir haben den beabsichtigten Zweck derselben vernommen: nun laßt uns den mystischen Sinn derselben vernehmen! Mit gutem Grund ist Maria eine Vermählte, zugleich aber auch Jungfrau; denn sie ist Vorbild der Kirche, die makellos ist, aber auch Braut. Als Jungfrau hat diese uns vom Geiste empfangen, als Jungfrau gebiert sie uns ohne Schmerzenslaut. Und vielleicht war die heilige Maria deshalb einem anderen verlobt, von einem anderen (mit der Leibesfrucht) erfüllt, weil auch die einzelnen Kirchen vom Geiste und von der Gnade erfüllt werden, gleichwohl aber äußerlich einem sterblichen Priester angetraut sind.
8.
[Forts. ] * „Und der Engel trat zu ihr hinein und sprach: Gegrüßt seist du, voll der Gnade, der Herr ist mit dir, du bist gebenedeit unter den Weibern. Sie aber ward, sobald sie seiner ansichtig wurde, verwirrt bei seinem Eintritte"*231.
Studiere die Jungfrau in ihrem sittlichen Wandel, studiere die Jungfrau in ihrem züchtigen Verhalten, studiere die Jungfrau in ihrer Rede, studiere sie in ihrem geheimnisvollen Wesen! Es ist Jungfrauenart, zu erzittern und bei jedem Eintritte eines Mannes zu erbeben, vor der Anrede durch einen Mann zu erröten. Möchten die Frauen das Ideal der Keuschheit, das sie vor Augen haben, nachahmen lernen! Allein weilt sie in ihrem Gemache, so daß keine Mannsperson sie sehen, nur der Engel sie antreffen konnte. Allein ohne Begleiter, allein ohne Zeugen, daß kein unartiges Wort sie entweihe, trifft sie des Engels Gruß. Lerne, Jungfrau, schlüpfrige Reden meiden! Maria errötete sogar vor dem Gruße des Engels.
9.
„Sie dachte indes nach, was das für ein Gruß sei "232.
Im Bunde mit ihr erscheinen sonach Schüchternheit, insofern sie erschrak, und Klugheit, insofern sie verwundert über den neuen Segensgruß nachdachte, den man nie gelesen, nie vordem vernommen hat233. Maria allein blieb dieser Gruß vorbehalten; denn sie allein wird mit Recht „voll der Gnade" geheißen, insofern sie allein die Gnade erlangte, der keine andere gewürdigt war, daß sie vom Urheber der Gnade erfüllt wurde. ― Es errötete auch Elisabeth. So laßt uns denn den Unterschied zwischen der Züchtigkeit einer Frau und einer Jungfrau kennen lernen! Erstere errötete aus einem sachlichen Anlaß, letztere aus Zartgefühl; bei der Frau haben wir die Schamhaftigkeit in einem eingeschränkten234, bei der Jungfrau das zarte Schamgefühl in einem höheren Maß.
10.
„Und der Engel des Herrn sprach zu ihr: Fürchte dich nicht, Maria; denn du hast Gnade gefunden bei Gott. Und sieh, du wirst empfangen im Schoße und einen Sohn gebären, und du sollst seinen Namen Jesus heißen. Dieser wird groß sein"235.
Auch von Johannes wurde zwar vom Engel versichert: „Er wird groß sein"236 . Doch dieser war groß als Mensch, jener groß als Gott; denn „groß ist der Herr und lobwürdig überaus, und seiner Größe ist kein Ende"237. Ja fürwahr, auch Johannes war groß; denn „keinen größeren Propheten gibt es unter den von Weibern Geborenen als Johannes den Täufer"238. Doch einen Größeren noch hat er (über sich); denn „der Geringste im Reiche Gottes ist größer als er"239. Groß war Johannes. Indes vor dem Herrn trinkt auch der große Johannes nicht Wein und starkes Getränk240, dieser aber ißt und trinkt mit den Zöllnern241. Jener sollte sich durch Fasten Verdienst sammeln, weil er von Natur nichts vermochte. Warum aber hätte Christus, dem die Gewalt der Sündenvergebung von Natur eignete, jene (Zöllner) meiden sollen, die er zu besseren Menschen machen konnte, als selbst Aszeten waren?
11.
[Forts. ] Zugleich hat das eine mystische Bedeutung, daß der Herr das Gastmahl derer nicht verschmäht, denen er sein Geheimnis darbieten will. Er ißt, jener (Johannes) fastet: Vorbilder der beiden Völker! In letzterem fastet das Volk, in ersterem speist es. Doch hat auch Christus gefastet, daß du dem (Fasten-) Gebote nicht abspenstig würdest; er hat mit Sündern gegessen, daß du seine Huld ersehest, seine Macht erkennest. ― Groß war auch Johannes. Doch seine Größe hat einen Anfang und hat ein Ende. Der Herr Jesus aber ist zugleich „der Anfang und das Ende", zugleich „der Erste und der Letzte"242. Nichts kommt vor dem Ersten, nichts nach dem Letzten.
12.
Der herkömmliche menschliche Zeugungsvorgang darf dich nicht zur falschen Auffassung verleiten, er könne nicht „der Erste" sein, weil er der Sohn ist. Folge der Schrift, um nicht irren zu können! Der Sohn wird hier „der Erste" genannt. So steht auch vom Vater zu lesen, er sei „allein": „Der allein die Unsterblichkeit hat und in unnahbarem Lichte wohnt"243, wie du auch (vorher) gelesen: „Dem unsterblichen alleinigen Gott"244. Indes ist weder „der Erste" vor dem Vater, noch der „Alleinige" ohne den Sohn. Verneinst du das eine, bejahst du das andere. Beidem geh nach ― und beides bestätigst du! Er sprach nicht: „Ich bin der Erstere und ich bin der Letztere", sondern: „Ich bin der Erste und ich bin der Letzte". „Der Erste" ist der Sohn und darum gleichewig; denn er hat den Vater, mit dem er ewig ist. Ich wage zu sagen: „der Erste" ist der Sohn, aber „der Alleinige" ist er nicht, und mit gutem Grund sage ich’s und in religiöser Gesinnung sage ich’s. Was spitzt ihr, Häretiker, die Ohren auf gottloses Gerede. Ihr seid ins Netz geraten, das ihr selbst ausspannt. „Der Erste" ist der Sohn, doch „der Alleinige" ist er nicht: „der Erste", weil er immer mit dem Vater ist; nicht „der Alleinige", weil er nimmer ohne den Vater ist. Nicht ich sage dies, sondern er selbst hat gesagt: „Und ich bin nicht alleinig, denn der Vater ist bei mir"245. Alleinig ist der Vater, weil nur* ein* Gott ist; alleinig ist der Vater, weil es allein nur eine Gottheit des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes gibt. Und was einzig ist, das ist alleinig. Alleinig ist der Vater, alleinig der Eingeborene, alleinig auch der Heilige Geist. Denn der Sohn ist nicht auch der Vater, oder der Vater auch der Sohn, oder der Heilige Geist auch der Sohn. Ein anderer ist der Vater, ein anderer der Sohn, ein anderer der Heilige Geist; denn wir lesen: „Ich werde den Vater