Das Evangelium nach Lukas. Ambrosius von Mailand
Читать онлайн книгу.Herr ist, durch den alles ist247. Das ‚allein' bedingt die Gottheit; ‚Zeugung' weist ebenso auf den Vater wie den Sohn, so daß nirgends der Sohn ohne den Vater, oder der Vater ohne den Sohn erscheint. Er ist also nicht allein, weil er auch nicht allein unsterblich ist und nicht allein in unnahbarem Lichte wohnt; denn „Gott hat niemand je gesehen außer der eingeborene Sohn, der im Schoße des Vaters ist"248, der zur Rechten des Vaters sitzt. Und diesem soll, so wagen einige zu behaupten, das Licht unnahbar sein, in welchem der Vater wohnt? Ist etwa das Licht besser als der Vater? Welches Licht aber soll dem unnahbar sein, dem selbst der Vater nicht unnahbar ist? Er gerade ist das wahre Licht und der Erzeuger des ewigen Lichtes, von dem geschrieben steht: „Das war das wahre Licht, das jeden Menschen erleuchtet, der in diese Welt kommt"249. Sieh, ob nicht dies das „unnahbare Licht" ist, in welchem der Vater wohnt, aber auch der Sohn wohnt, weil der Vater im Sohne und der Sohn im Vater ist250.
13.
[Forts. ] Mit Recht denn „groß"; denn weit erstreckt sich Gottes Macht, weit reicht der himmlischen Wesenheit Größe. Kein Gebot, keine Schranke, kein Maß, kein Ende hat die Trinität. Nicht raumgebunden ist sie, unbegreiflich dem Denken, unfaßbar dem Urteil, unwandelbar an Jahren. Es verlieh zwar der Herr Jesus auch Menschen eine Größe; denn „über die ganze Erde geht aus ihr Schall, und bis an des Erdballs Grenzen ihre Rede"251 ― aber nicht bis an die Grenzen der Welt, nicht bis an die Grenzen des Himmels, nicht über die Himmel hinaus. Dagegen ist im Herrn Jesus „alles erschaffen, was im Himmel und auf Erden ist, das Sichtbare und das Unsichtbare; und er ist vor allem, und alles besteht in ihm"252. Blicke auf zum Himmel: Jesus weilt dort. Schaue zur Erde: Jesus ist da. Steig kraft des Wortes zum Himmel auf, steig kraft des Wortes zur Unterwelt hinab: Jesus ist da. Denn ob du zum Himmel emporsteigst: Jesus ist dort; ob du zur Unterwelt hinabsteigst: er ist da253. Jetzt, da ich spreche, ist er bei mir da an diesem Punkte, in diesem Augenblick. Und wenn in Armenien eben jetzt ein Christ spricht, ist auch dort Jesus zugegen; denn niemand kann sagen: „Herr Jesus, außer im Heiligen Geiste"254. Du magst dich in Gedanken hinabversetzen in die Abgründe, du wirst auch dort Jesus wirken sehen; denn es steht geschrieben: „Sage nicht in deinem Herzen: Wer steigt hinauf in den Himmel? d. i. um Christus herabzuholen, oder: Wer steigt in den Abgrund? d. i. um Christus von den Toten heraufzurufen"255. Wo also wäre er nicht, der alles erfüllt, was im Himmel, unter der Erde und auf der Erde ist? Mit Recht denn „groß", dessen Macht die Welt erfüllt, der überall ist und immer sein wird; denn „seines Reiches wird kein Ende sein"256.
14.
* „Es sprach aber Maria zum Engel: Wie wird dies geschehen, da ich einen Mann nicht erkenne?"*257 Es könnte den Anschein erwecken, als ob hier Maria nicht geglaubt hätte, wenn man nicht genau zusähe; denn es wäre nicht recht, die Auserkorene zur Mutter des eingeborenen Gottessohnes sich ungläubig zu denken. Wie doch hätte es geschehen können ― unbeschadet freilich der Prärogative der Mutter, der gewiß größere Rücksicht gebührte: je größer indes das Vorrecht, umso größer das Glaubensmaß, das ihm entsprechen soll ― wie also hätte es geschehen können, daß Zacharias, der nicht geglaubt hatte, zum Verstummen verurteilt, Maria aber, wenn sie wirklich nicht geglaubt hätte, durch die Eingießung des Heiligen Geistes hoch begnadigt wurde? Nein, Maria durfte weder ungläubig, noch verwegen und anmaßend sein: nicht ungläubig sein gegen den Engel, nicht Göttliches sich anmaßen. Nicht leicht nämlich war erkennbar „das Geheimnis, das von Ewigkeit in Gott verborgen war"258, das nicht einmal die höheren Mächte zu erkennen vermochten259. Und dennoch versagte sie nicht den Glauben, verweigerte sie nicht den Dienst, sondern zeigte sich gern bereit und gelobte Gehorsam. Ihre Frage: „Wie wird dies geschehen?" war keine Zweifelsfrage über das Daß des Geschehens, sondern ein Sicherkundigen nach dem Wie des Geschehens.
15.
Wie bescheiden klingt nicht diese ihre Frage im Vergleich zu den Worten des Priesters (Zacharias)? Sie spricht: „Wie wird dies geschehen?" Er erwiderte: „Woran soll ich das erkennen?"260 Sie geht sogleich auf die Sache ein, er zweifelt noch an der Botschaft. Seinen Unglauben nur verrät sein Bekenntnis des Nichtwissens und seine Forderung gleichsam nach einer weiteren Gewähr für seinen Glauben; jene erklärt sich bereit zum Handeln und zweifelt nicht am Geschehen; sie fragt nur, wie es geschehen könne. Denn so liest man: „Wie wird das geschehen, da ich einen Mann nicht erkenne?" Die unglaubliche und unerhörte Art der Zeugung mußte erst vom Ohre vernommen werden, um Glauben zu finden. Eine Jungfrau-Mutter ist Zeichen eines göttlichen, nicht menschlichen Geheimnisses. So heißt es denn auch: „Nimm dir hin ein Zeichen: Sieh, eine Jungfrau wird empfangen im Schoße und einen Sohn gebären"261. Das hatte Maria gelesen, darum glaubte sie an dessen künftige Erfüllung. Doch wie es geschehen würde, hatte sie vorher nicht gelesen; denn selbst einem so großen Propheten war das Wie des Geschehens nicht geoffenbart worden. Ein so wunderbarer, geheimnisvoller Auftrag durfte nicht aus Menschen-, sondern sollte aus Engelsmund mitgeteilt werden. Jetzt zum ersten Mal vernimmt das Ohr: „Der Heilige Geist wird auf dich herabkommen"262. Das Ohr vernimmt es, und es findet Glauben.
16.
[Forts. ] Da spricht sie denn:* „Sieh, die Magd des Herrn, mir geschehe nach deinem Worte"*263. Sieh die Demut, sieh die Gottergebenheit! „Magd des Herrn" nennt sie sich, die zur Mutter Erwählte. Sie ließ sich durch die völlig unerwartete Verheißung nicht zu Selbstüberhebung hinreißen. Zugleich erhob sie als „Magd" keinen Anspruch auf irgendwelche Bevorzugung infolge der so großen Gnadenauszeichnung: sie wollte nur tun, was ihr befohlen wurde. Zur Mutter dessen bestimmt, der „sanftmütig und demütig" war264, mußte auch sie Demut zur Schau tragen. „Sieh, die Magd des Herrn, mir geschehe nach deinem Worte!" Da hat man ihre Dienstbeflissenheit, da sieht man ihren Wunsch: „Sieh, die Magd des Herrn" besagt ihre Dienstbereitschaft; „mir geschehe nach deinem Wort" den Wunsch, den sie hegte.
17.
Wie schnell nun leistet Maria Glaubenszustimmung selbst angesichts der Ungleichartigkeit der Voraussetzungen! Denn was wäre so ungleichartig wie der Heilige Geist und der (menschliche) Leib? Was so unerhört als eine Jungfrau in gesegneten Umständen wider das Gesetz, wider die Sitte, wider die Keuschheit, deren Pflege einer Jungfrau das Teuerste ist? Zacharias hingegen verweigerte nicht anbetrachts der ungleichartigen Natur, sondern anbetrachts des greisen Alters den Glauben. Die entsprechende natürliche Voraussetzung war ja gegeben: Von Mann und Weib geht in der Regel die Zeugung aus, und sobald die erforderliche Voraussetzung da ist, soll man nicht mehr Unglaubhaftes annehmen. Da nämlich das Alter zur Natur, nicht die Natur zum Alter hinzutritt, kommt es so manchmal vor, daß das Alter die Natur behindert. Gleichwohl widerspricht es nicht der Vernunft, daß die geringere Ursache einer größeren weicht und eine höhere Kraft, welche die Natur auszeichnet, die Folgen, welche das geschwächtere Alter gewöhnlich mit sich bringt, aufhebt. Dazu kommt, daß Abraham und Sara ebenfalls im hohen Alter einen Sohn empfangen hatten265 und Joseph „ein Sohn des Alters"266 war. Wenn nun Sara getadelt wird, weil sie lachte267: noch gerechtere Verurteilung verdiente, wer weder dem (Engels-) Wort noch (Schrift-) Beispiel glaubte. Maria aber hat mit den Worten: „Wie wird das geschehen, da ich einen Mann nicht erkenne" augenscheinlich nicht nach dem Daß, sondern nur nach dem Wie des Geschehens gefragt; denn es geht deutlich hervor: sie war von der Notwendigkeit des Geschehens überzeugt, wenn sie auch über das Wie desselben um Aufklärung bat. Darum ward sie auch gewürdigt zu hören: „Selig, die du geglaubt hast!"268 Ja wahrhaft selig, die besser tat denn der Priester! Während der Priester sich ablehnend verhalten hatte, verschaffte sich die Jungfrau über das Unverstandene Klarheit. Kein Wunder auch, wenn der Herr, da er daranging, die Welt zu erlösen, sein Werk bei Maria begann, damit eben sie, durch deren Vermittlung allen das Heil bereitet wurde, als erste die Frucht des Heiles aus ihres Kindes Hand genösse.
18.
[Forts. ] Und mit Recht fragt sie, wie das geschehen werde. Denn sie hatte wohl gelesen, daß eine Jungfrau gebären werde, nicht aber, wie