Das Evangelium nach Lukas. Ambrosius von Mailand
Читать онлайн книгу.dem Fleische nach geboren wurde. Will man hingegen über seine himmlische Zeugung Auskunft, lese man das Evangelium des heiligen Johannes319, der vom Himmlischen ausgehend zum Irdischen niederstieg. Da wird man finden, wann er war und wie er war und was er war, was er gewirkt hatte, was er fort und fort wirkte, und wo er war und wohin er gekommen, wie er gekommen, zu welcher Zeit er gekommen, aus welchem Grund er gekommen ist. „Im Anfang", heißt es, „war das Wort": da hat man, wann er war. „Und das Wort war bei Gott": da hat man, wie er war. Auch was er war, hat man: „und Gott", fährt er fort, „war das Wort"; was er gewirkt hatte: „alles ist durch dasselbe gemacht worden"; was er fort und fort wirkte: „das war das wahre Licht, welches jeden Menschen erleuchtet, der in diese Welt kommt"; und wo er war: „er war in der Welt"; wohin er gekommen ist: „er kam in sein Eigentum"; wie er gekommen ist: „das Wort ist Fleisch geworden"; wann er gekommen ist, darüber gibt Johannes Zeugnis, wenn er von ihm bekennt: „Dieser ist es, von dem ich gesagt habe: der nach mir kommt, ist mir vorgegangen; denn er war eher als ich"320. Über den Grund seiner Ankunft bezeugt eben Johannes: „Sehet, das Lamm Gottes, sehet, welches hinwegnimmt die Sünde der Welt!"321 Haben wir nun die zweifache Geburt kennen gelernt und die* eine* Person in beiden322, und haben wir den Grund erfahren, warum er gekommen ist, um nämlich die Sünden der untergehenden Welt auf sich zu nehmen und die Sündenmakel und den Tod aller an sich, dem Unbesieglichen zu tilgen, so ist es nur folgerichtig, daß uns jetzt auch der heilige Evangelist Lukas die Wege lehrt und zeigt, die der Herr, da er seiner Menschheit nach heranwuchs, wandelte.
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Niemand darf sich daran stoßen, wenn die Kindheit des Johannes aus einer höheren Absicht, wie bemerkt, übergangen, hingegen die Kindheit Christi, wie wir dartun wollen, näher beschrieben wurde. Nicht alle können eben sprechen: „Den Schwachen bin ich ein Schwacher geworden, um die Schwachen zu gewinnen; allen bin ich alles geworden"323. Und von keinem anderen kann so gesprochen werden: „Er ist verwundet worden um unserer Missetat willen und entkräftet worden um unserer Sünde willen"324. Er ward ein Kindlein, er ward ein Knäblein, daß du ein vollkommener Mann sein könnest; er lag in Windeln, daß du frei seiest von des Todes Banden; er lag in der Krippe, daß du am Altare stehest; er war auf Erden, daß du im Sternenbereiche weilest; er hatte kein anderes Plätzchen in jener Herberge, daß du viele Wohnungen im Himmel habest325. „Da er reich war," heißt es, „ist er euretwillen arm geworden, damit ihr durch seine Armut reich würdet"326. Meinen Reichtum also bedeutet jene Armut und die Schwachheit des Herrn meine Kraft. Für sich wählte er die Entbehrung, um allen seine überreiche Fülle zu bieten. Mich waschen jene Tränen des wimmernden Kindes rein, meine Sünden haben jene Zähren abgewaschen. Mehr also, Herr Jesus, danke ich als Erlöster deinen Leiden, denn als Geschöpf deinen Werken. Nichts fruchtete deine Geburt ohne die Frucht der Erlösung.
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[Forts. ] Doch niemand spanne die ganze Gestalt der Gottheit in den engen Rahmen des Leiblichen! Anders ist die Natur des Fleisches, anders der Gottheit Herrlichkeit. Deinetwegen ist er Schwachheit, in sich Kraft; deinetwegen Dürftigkeit, in sich Reichtum. Urteile nicht nach dem Augenschein, erkenne vielmehr deine Erlösung! Daß er in Windeln liegt, siehst du, daß er im Himmel ist, nicht; des Kindes Wimmern hörst du, des Rindes Brüllen nicht, das den Herrn erkennt; denn „es erkennt das Rind seinen Eigentümer und der Esel die Krippe (praesepe) seines Herrn"327, oder vielmehr ‚praesepium', wie ich nach der Lesart des Übersetzers328 hätte sagen sollen; mir liegt nämlich an einer unterschiedlichen Ausdrucksweise nichts, solange sie keine Sinnverschiedenheit einschließt. Denn wenn schon einer von jenen Rednern, die dem äußeren Redeprunk nachhängen, betonte, die Geschicke Griechenlands hingen nicht davon ab, ob man sich dieser oder jener Redeweise bediene, es sei vielmehr auf die Sache zu sehen329; wenn selbst Philosophen in Zirkeln, die ganze Tage in Streitreden vergeuden, weniger die im Lateinischen gebräuchlichen Wendungen gebrauchten, um sich lieber der eigenen zu bedienen, wieviel mehr sollten wir vom Wortlaut absehen und das Augenmerk auf die Geheimnisse lenken, für deren Wiedergabe die Zweckdienlichkeit des Ausdruckes entscheidend ist, weil die göttlichen Wunderwerke keineswegs im Glanze schöner Worte, sondern im Lichte ihrer Wahrheit aufstrahlten! So gab auch jener Eselin im übertragenen Sinn die heilige Krippe nicht Scheingenuß, sondern den Reingenuß natürlicher Speise zu kosten.
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Das ist der Herr, das die Krippe, durch welche uns das göttliche Geheimnis kund getan ward, daß die Heiden, die nach Brauch unvernünftiger Tiere an Krippen lebten, mit der Fülle heiliger Nahrung gesättigt werden sollten. Es erkannte die Eselin, das Bild und der Typus der Heiden, die Krippe ihres Herrn. Und darum ruft sie aus: „Der Herr ist mein Hirt, und nichts wird mir mangeln"330. Oder sind es etwa schwache Anzeichen, die ihn als Gott erweisen? Engel dienen331, Weise beten an332, Märtyrer bekennen333. Aus dem Mutterschoße kommt er hervor, doch aus dem Himmel strahlt er; in irdischer Herberge liegt er, doch in himmlischem Lichte glänzt er; eine Vermählte hat ihn geboren, doch eine Jungfrau empfangen; eine Vermählte ihn empfangen, doch eine Jungfrau ihn geboren. Der heilige Matthäus nämlich belehrte uns über dieses nicht geringe Geheimnis, das der heilige Lukas, weil bereits erschöpfend dargelegt, stillschweigend übergehen zu dürfen glaubte; er hielt sich für reich genug bedacht, wenn er von allen Dingen die Krippe des Herrn sein eigen nennen dürfe.
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Jenem Kindlein nun, das du in deinem Unglauben für ein gewöhnliches hältst, gingen die Weisen aus dem Morgenlande eine so weite Wegstrecke nach, „fielen nieder und beteten an", nannten es König und bezeugten, indem sie von ihren Schätzen Gold, Weihrauch und Myrrhe darbrachten, seine künftige Auferstehung334. Welches sind nun diese Gaben des wahren Glaubens? Das Gold gilt dem König, der Weihrauch dem Gotte, die Myrrhe dem Toten. Etwas anderes nämlich ist das Abzeichen des Königs, etwas anderes das Opfer der göttlichen Macht, etwas anderes ein ehrendes Begräbnis, das den Leib des Toten nicht der Verwesung anheimgeben, sondern davor bewahren soll. Auch wir, Brüder, wollen, da wir dies hören und lesen, von unseren Schätzen solche Gaben hervorlangen! Denn „wir haben einen Schatz in irdenen Gefäßen"335. Wenn du nun schon an dir, was du bist, nicht nach dir, sondern nach Christus beurteilen mußt, wieviel mehr mußt du an Christus nicht was dein, sondern was Christi ist, beurteilen!
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[Forts. ] Die Weisen bringen von ihren Schätzen Gaben dar. Wollt ihr wissen, einer wie schönen Auszeichnung sie gewürdigt wurden? Der Stern ist nur für sie sichtbar, wo Herodes haust, unsichtbar; wo Christus weilt, wird er wiederum sichtbar und weist den Weg. So ist dieser Stern also Weg, der Weg Christus336, weil Christus im Geheimnisse der Menschwerdung der Stern ist; denn „ein Stern wird aufgehen aus Jakob, und ein Mann aufstehen aus Israel"337. So ist denn, wo Christus ist, auch der Stern; denn er ist „der helleuchtende Morgenstern"338. Mit dem eigenen Lichte weist er sonach auf sich.
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[Forts. ] Vernimm eine weitere Lehre! Auf einem anderen Wege kamen die Weisen, auf einem anderen kehren sie zurück. Nachdem sie nämlich Christus geschaut, Christus erkannt hatten, traten sie besser fürwahr, als sie gekommen waren, den Rückweg an. Zwei Wege gibt es ja, einen, der zum Verderben führt, einen, der zum Reiche führt339. Jener ist der Sündenweg, der zu Herodes führt, dieser Weg ist Christus, auf dem man ins Vaterhaus zurückgelangt; denn hier ist nur ein vorübergehendes Verweilen, wie geschrieben steht: „Gar lange schon war meine Seele (in der Fremde) weilend"340. So laßt uns denn dem Herodes, dem vorübergehenden Träger weltlicher Macht, aus dem Wege gehen, um zur ewigen Wohnstätte des himmlischen Vaterlandes zu gelangen!
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Nicht Auserlesenen allein sind diese Belohnungen vorgesetzt, sondern allen, weil „alles und in allen Christus ist"341. Du siehst nämlich, wie nicht umsonst unter den Chaldäern, die in der Zahlenlehre für besonders bewandert gelten, Abraham „Gott glaubte", oder