Das Evangelium nach Lukas. Ambrosius von Mailand
Читать онлайн книгу.Oktavtag der Beschneidung auch die künftige Reinigung von aller Schuld im Auferstehungszeitalter364 vorgebildet. Das nämlich besagt die Vorschrift: „Alles Männliche, das den Mutterschoß öffnet, wird heilig dem Herrn genannt werden"365. Es lag nämlich in den Gesetzesworten die Verheißung der Jungfraugeburt ausgesprochen366. Ja „heilig" fürwahr, weil makellos. Daß er es war, den das Gesetz bezeichnete, bekundet denn auch gleicherweise die wiederholte Erklärung des Engels: „Das Heilige, das aus dir geboren werden soll, wird der Sohn Gottes genannt werden"367. Denn nicht eines Mannes Beischlaf öffnete das stille Heiligtum des Jungfrauschoßes, sondern der Heilige Geist senkte den unbefleckten Samen ihrem unversehrten Schoße ein. Unter den vom Weibe Geborenen ist nämlich nur der Herr Jesus allein schlechthin heilig. Nur er blieb infolge der makellosen Geburt von den Befleckungen des irdischen Verderbnisses unberührt und tilgte sie kraft seiner himmlischen Erhabenheit.
57.
Wenn wir nur dem Literalsinn folgten: wie wäre denn da jede männliche Person heilig, da es doch bekanntlich viele Schwerverbrecher gegeben hat? Oder war etwa ein Achab heilig? Waren etwa die Falschpropheten heilig, die auf das Gebet des Elias das himmlische Rachefeuer zur Strafe für ihr Unrecht verzehrte?368 Nein, jener war heilig, durch welchen die frommen Vorschriften des göttlichen Gesetzes ihre vorbildliche Bedeutung für das künftige Geheimnis empfingen, insofern er allein den stillen Mutterschoß, den unbefleckt befruchteten, der heiligen Jungfrau-Kirche zur (Wieder-) Geburt des Gottesvolkes öffnete. Er allein öffnete auch sich den Mutterschoß. Und kein Wunder. Denn nur er, der zum Propheten gesprochen hatte: „Ehe ich dich bildete im Mutterleibe, kannte ich dich, und im Mutterschoße heiligte ich dich"369, der sonach den Mutterschoß einer anderen heiligte, daß ein Prophet geboren würde, ist es, der auch den Schoß seiner Mutter öffnete, um makellos daraus hervorzugehen.
6. Symeon und Anna, Luk. 2, 25―38
Auch Greise und Gerechte Zeugen der Menschwerdung des Welterlösers. Symeon, der „Gerechte“ (58), ein Vorbild der Vorbereitung auf einen seligen Tod (59), ein Prophet (60); das seeledurchbohrende Schwert seiner Prophetie das Wort Gottes (61). Die Prophetin Anna, die Vertreterin des Witwenstandes; die 84 Jahre ihrer Witwenschaft wohl eine „heilige Zahl“ (62).
58.
[Forts. ] * „Und sieh, es war ein Mann in Jerusalem, und dieser Mann war gerecht und gottesfürchtig, harrend auf den Trost Israels"*370. Nicht bloß von Engeln und Propheten, von Hirten und Verwandten, sondern auch von Greisen und Gerechten empfängt die Geburt des Herrn ihre Bezeugung. Jedes Alter und beide Geschlechter sowie die wunderbaren Ereignisse begründen den Glauben. Die Jungfrau empfängt, die Unfruchtbare gebiert, der Stumme redet, Elisabeth weissagt, der Magier betet an, der im Mutterleibe Eingeschlossene hüpft freudig auf, die Witwe bekennt, der Gerechte harrt. Und mit gutem Grund „der Gerechte"; denn nicht für sich, sondern für das Volk begehrte er die Gnade, voll Verlangen, aus den Banden der leiblichen Gebrechlichkeit erlöst zu werden, doch voll Erwartung, den Verheißenen zu schauen. Er wußte ja: „Selig die Augen, die sehen würden!" 371
59.
„Jetzt entlaß deinen Diener!"372 Sieh, wie es den in der Körpermasse wie in einem Kerker eingeschlossenen Gerechten darnach verlangt, aufgelöst zu werden, um anzufangen, bei Christus zu sein; denn „aufgelöst werden und bei Christus sein ist weitaus das Bessere"373. Doch in den Tempel komme, der entlassen zu werden wünscht! Nach Jerusalem komme er, des Gesalbten des Herrn harre er, das Wort Gottes nehme er in die Hände und umfange es gleichsam mit den Armen seines Glaubens! Dann wird er entlassen werden, so daß er den Tod nicht schaut, nachdem er das Leben geschaut hat374.
60.
[Forts. ] Ein reicher Gnadenstrom ward, wie man sieht, mit der Geburt des Herrn über alle ausgegossen und die Gabe der Weissagung wohl den Ungläubigen, nicht den Gerechten vorenthalten. Sieh, auch Symeon weissagt, „zum Falle und zur Auferstehung gar vieler"375 sei der Herr Jesus erschienen, um der Gerechten und Ungerechten Verdienste zu scheiden und als wahrhafter und gerechter Richter nach der Beschaffenheit unserer Werke Strafen oder Belohnungen zu verhängen.
61.
[Forts. ] * „Und deine eigene Seele wird ein Schwert durchdringen"*376. Weder eine schriftliche noch eine geschichtliche Nachricht berichtet von einem leiblichen Martertode, mit welchem Maria aus diesem Leben geschieden sei; nicht die Seele, sondern nur der Leib kann ja mit einem physischen Schwerte durchbohrt werden. Der Evangelist weist darum auf die Einsicht Marias hin, die über das himmlische Geheimnis nicht im Unwissenden war. „Denn lebendig ist das Wort Gottes und gewaltig und schärfer denn das schärfste Schwert; durchdringend, bis es Seele und Geist, Gelenk und Mark scheidet, erforscht es die Gedanken des Herzens und das Verborgene des Geistes"377. Alles nämlich, was der Geist einschließt, liegt bloß und offen vor dem Sohne, dem das Verborgene des Gewissens nicht entgeht.
62.
Symeon hat geweissagt, die Verheiratete hatte geweissagt, die Jungfrau hatte geweissagt: auch die Witwe sollte es, damit kein Stand oder Geschlecht fehle. Und so wird denn Anna in ihrem Witwenberuf und Wandel so eingeführt, daß sie ganz und gar für würdig erachtet werden muß, die Ankunft des Erlösers allen zu verkünden. Da wir aber ihre Verdienste an einer anderen Stelle, in unserem Mahnwort an die Witwen378, gewürdigt haben, glauben wir sie an dieser nicht nochmals besprechen zu sollen, weil wir rasch auf anderes übergehen möchten. Gleichwohl (die Bemerkung): nicht umsonst hob der Evangelist ausdrücklich die 84 Jahre ihrer Witwenschaft hervor, da augenscheinlich sowohl sieben Dutzend als auch zwei Quadragesen eine heilige Zahl bezeichnen.
7. Der zwölfjährige Jesus im Tempel, Luk. 2, 41―50
Mystische Auslegung der Zwölfzahl der Jahre, der Ignorierung der Eltern, des Triduums im Tempel (63). Die zweifache Geburt Christi. Das Außerordentliche seines Lebens Ausfluß seiner Gottheit. Maria in der Schule Jesu (64).
63.
[Forts. ] * „Als nun zwölf Jahre für ihn abgelaufen waren"*379. Mit dem zwölften Jahre, wie wir lesen380, nahm die Lehrtätigkeit des Herrn ihren Anfang. Dieser Zahl an Verkündigern des Evangeliums bedurfte nämlich die Predigt des Glaubens. Nicht umsonst sodann ist er, der doch fürwahr auch seiner Menschheit nach von der Weisheit und Gnade Gottes erfüllt war, um seine menschlichen Eltern unbekümmert, läßt nach drei Tagen sich im Tempel finden zur Versinnbildung, daß er drei Tage nach jenem glorreichen Leiden auf dem himmlischen Throne und in göttlichen Ehren als Auferstandener sich unserem Glauben offenbaren werde, nachdem man ihn eben noch tot glaubte.
64.
* „Warum habt ihr mich gesucht? Wußtet ihr nicht, daß ich in dem sein muß, was meines Vaters ist?"*381 Zwei Zeugungen gibt es in Christus, die eine aus dem Vater, die andere aus der Mutter. Die aus dem Vater ist die in höherem Grade göttliche, die aus der Mutter führte ihn herein in unser Erdentum und Mühen. Darum ist, was über die Natur, über das Alter, über das gewöhnliche Erleben hinausgeht, nicht menschlicher Kraft zuzuschreiben, sondern auf göttliche Macht zurückzuführen. An einer anderen Stelle382 drängt ihn die Mutter zu höherem Wirken, hier wird sie zurechtgewiesen, weil sie noch Menschliches forderte. Da er indes hier erst als zwölfjährig dargestellt, dort bereits im Kreise der Jünger vorgeführt wird, so leuchtet ein, daß die Mutter (inzwischen) vom Sohne gelernt hatte, so daß sie von ihm im späteren Alter ein geheimnisvolles Wunder verlangte, während sie an ihm in jüngeren Jahren nur ein Wunder anstaunte.