Das Evangelium nach Lukas. Ambrosius von Mailand
Читать онлайн книгу.Jesus den Eltern, wie auch dem himmlischen Vater aus Pietät, nicht Inferiorität gehorsam. Der Knabe Jesus das Ideal der Kindespflicht und -liebe (65—66).
65.
„Und er kam nach Nazareth und war ihnen untertan"383. Was hätte denn der Lehrer der Tugend erfüllen sollen als die Kindespflicht? Und dürfen wir uns wundern, wenn er, welcher der Mutter untertan ist, auch dem Vater willfährig sich erweist? Auf keinen Fall ist diese Unterwürfigkeit ein Zeichen der Schwäche, sondern nur der Pietät, mag auch der Drache des Unglaubens aus finsterem Versteck heraus das Haupt erheben und Gift aus seiner Schlangenbrust dagegen ausspeien. Spricht der Sohn, er sei gesendet, nennt der Häretiker den Vater größer, um den Sohn als unvollkommen hinzustellen, nachdem er einen Größeren über sich haben kann; um ihn als fremder Hilfe bedürftig zu erklären, da er gesendet wird. Bedurfte er etwa auch menschlicher Hilfe, um einem mütterlichen Befehle sich zu unterwerfen? Er war willfährig einem Menschen, willfährig einer Magd ― sie selbst spricht nämlich: „Sieh, eine Magd des Herrn!"384 ― willfährig einem Putativvater: und du wunderst dich, daß er Gott willfährig war? Oder ist Willfährigkeit gegen den Menschen Pietät, Willfährigkeit gegen Gott Schwäche? So mache doch wenigstens vom Menschlichen einen Schluß auf das Göttliche und erkenne, was dem Vater an Liebe gebührt! Der Vater verherrlicht den Sohn385: willst du nicht, daß der Sohn den Vater verherrliche?386 Der Vater beteuert mit der Stimme vom Himmel sein Wohlgefallen am Sohne387: willst du nicht, daß der Sohn im Kleide des menschlichen Leibes, mit menschlicher Stimme, mit menschlichem Empfinden rede und den Vater größer nenne?388 Wenn „groß der Herr und preiswürdig überaus und seiner Größe kein Ende ist"389, so hat doch seine Größe, die kein Ende hat, auch keine Mehrung. Doch warum sollte ich nicht mit frommem Ohre vernehmen, daß der Sohn dem Vater in der Menschwerdung gehorsam ward, wenn ich frommes Sinnes vernehme, daß der Vater dem Sohn willfahrte?
66.
Zieh dir lieber daraus Lehren, die dir frommen, erkenne darin Beispiele der Kindesliebe! Lerne, was du deinen Eltern schuldest, wenn du liest, wie der Sohn nicht im Willen, nicht im Wirken, nicht in der Zeit vom Vater abweicht! Sind sie auch zwei an Personen, an Macht sind sie eins. Und fürwahr doch, kein Leid erwuchs jenem himmlischen Vater aus der Zeugung; du aber bist deiner Mutter zuleid schuld an der Verletzung ihrer Scham, der Einbuße ihrer Jungfräulichkeit, der Gefährdung bei ihrer Niederkunft, an einer langen Kette von Beschwerden für die Mutter390, an einer langen Kette von Gefahren für die Mutter, die bedauernswerte, für welche die größte Gefahr gerade in der sehnlichst erwünschten Leibesfrucht liegt und welche, wenn sie den ersehnten Liebling ins Dasein gesetzt hat, wohl der Geburt, nicht der Besorgnis ledig ist. Was soll ich erinnern an die ängstliche Sorge der Eltern für die gedeihliche Entwicklung der Kinder, an die Mehrausgaben für anderweitige Bedürfnisse, an die Samenaussaat des Landmanns, die in späten Jahren erst den Nachkommen zugute kommen wird? Muß nicht doch mindestens williger Gehorsam die Gegenleistung hierfür bilden? Warum soll einem ruchlosen (Kinde) des Vaters Leben zu lang und der Anteil des gemeinschaftlich verteilten väterlichen Erbes zu karg dünken, nachdem doch auch Christus Miterben nicht ausschließt?391
9. Johannes der Täufer, Luk. 3, 1―20
Das Wort Gottes wirkt im Täufer die Anfänge der Heidenkirche (67). Der Bußprediger Johannes Typus des Gesetzes, des „Heroldes der Kirche“ (68). Schon seine Kleidung aus Kamelhaaren (69), sein Ledergurt (70), seine Nahrung von Heuschrecken (71) und Waldhonig symbolische Hinweise auf die Erlösung der Heidenwelt (72). Johannes „die Stimme“ des Wortes Gottes (73). Seine Strafpredigt, bezw. göttliche Erleuchtung weist vergeblich die Juden auf den rettenden Weg der Buße (74). Den Verdienst- (Nachahmung Abrahams), nicht Geburtsadel (Abstammung von Abraham) sollten die Juden als ihr Vorrecht ansprechen. Die Steine (Luk. 3, 8) die in Sünden verhärteten Heiden (75). Die im Heil fortschreitende Heidenwelt unter dem Bild der Bäume (76). Besondere Standespflichten; die Barmherzigkeit die Pflicht aller (77). Des Täufers Herzenskenntnis ein göttliches Charisma. Auch die Juden bekunden in ihrer Art die Ankunft Christi (78). Des Täufers Bußtaufe nur Ablutionsritus, Christi Gnadentaufe Ablution und Heiligung (79). Christus „der Mächtigere“ schlechthin (80). Als Repräsentant des Judenvolkes spricht der Täufer: „Er muß wachsen, ich abnehmen“. Die Schuhe Christi Symbol der Predigt des Evangeliums (81), die Wurfschaufel Sinnbild der Richtergewalt Christi (82).
67.
[Forts. ] * „Es kam das Wort Gottes über Johannes, den Sohn des Zacharias, in der Wüste"*392. Da der Sohn Gottes darangeht, die Kirche zu gründen, ist er vorerst in seinem Diener wirksam. Darum die zutreffende Bemerkung des heiligen Lukas: „Es kam das Wort Gottes über Johannes, den Sohn des Zacharias, in der Wüste". Nicht von einem Menschen, sondern vom Wort nahm also die Kirche ihren Anfang. Sie ist nämlich das verlassene Land (Wüste): „Denn die Verlassene hat mehr Kinder als die, welche einen Mann hat"393. So ergeht auch an sie das Wort: „Freue dich, Unfruchtbare"394 und „frohlocke, Wüste!"395 Denn noch war sie durch keine Werke des Volkes, das sich sammelte, bebaut. Noch trugen die Bäume, soweit sie Fruchtbäume waren, ihre stolzen Wipfel nicht voll von Verdienstesfrüchten. Noch war keiner da, der sprechen konnte: „Ich aber gleiche einem fruchtbeladenen Ölbaume im Hause des Herrn"396. Noch bot jener himmlische Weinstock397 seinen Rebzweigen keine Früchte aus der Triebkraft seiner Worte. „Da nun kam das Wort", daß die vordem wüste Erde uns Frucht erzeugte. „Es kam das Wort", die Stimme (des Rufenden) folgte; denn erst muß das Wort im Innern wirksam sein, dann folgt der Stimme Dienst. Darum versichert auch David: „Ich habe geglaubt, darum gesprochen"398. Erst glaubte er, um sprechen zu können.
68.
„Es kam aber das Wort", damit der heilige Täufer Johannes Buße predige. Darum erblickt man zumeist im heiligen Johannes einen Typus des Gesetzes, weil das Gesetz die Sünde wohl aufdecken konnte, nicht vergeben konnte399. Denn das Gesetz rief einen, der den Weg der Heiden einschlug, nur zurück, hielt ihn von Verbrechen ab, mahnte ihn zur Buße, um Gnade finden zu können. „Das Gesetz aber und die Propheten reichten bis auf Johannes"400. Johannes aber ist der Herold Christi. So ist das Gesetz der Herold der Kirche und der Bußweg zur Gnade. Eine kurze, zutreffende Wendung des heiligen Lukas: mit den Worten „es sei gekommen über ihn Gottes Wort" erklärt er ihn als Propheten. Anderes fügt er nicht bei. Niemand nämlich, der des Wortes Gottes voll ist, bedarf seinerseits einer Beglaubigung. Mit der Hervorhebung der einen Tatsache erklärt er alles.
69.
[Forts. ] Dagegen wollten ihn der heilige Matthäus und Markus auch auf Grund der Kleidung und des Gürtels sowie der Speise als Propheten erweisen, insofern er „ein Kleid von Kamelhaaren trug und einen ledernen Gürtel über seinen Lenden, seine Speise aber Heuschrecken und Waldhonig waren"401. Der Vorbote Christi wollte nämlich nicht einmal Haut und Haar unreiner Tiere zugrunde gehen lassen; wollte schon mit der Kleidung auf den kommenden Erlöser hinweisen, der das tierische, unseren Mißverdiensten entsprechende, schmutzgewirkte Sündenkleid des unreinen Heidentums an sich nahm, um dann dieses Gewand unseres Fleisches an jenem Triumphbalken des Kreuzes auszuziehen.
70.
Was aber will die Schürzung mit dem Ledergurt anderes sagen, als daß dieses unser Fleisch, das zuvor den Geist schwer zu behindern pflegte, nach der Ankunft des Herrn nicht mehr als hemmende Schleppe, sondern als Gurt dient? Denn nach David „hingen wir unsere Harfen an die Weiden"402 und nach dem Apostel „haben wir kein Vertrauen auf das Fleisch" und „haben wir hinwiederum Vertrauen auf den Leib"403: haben keines auf dessen Lüste, haben eines auf dessen Leiden; denn im Feuer des Geistes soll das Herz sich stählen; zu jeglicher Befolgung der himmlischen Vorschriften sollen wir uns schürzen, auf die Frömmigkeit des