Das einfache Leben. Ernst Wiechert

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Das einfache Leben - Ernst Wiechert


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als ob der Mensch hier mehr auf ei­ge­ner Kraft und im eig­nen In­ne­ren be­ru­hen müs­se, ohne die ge­dan­ken­lo­se Un­ter­stüt­zung der Mas­se, die ihm wo­an­ders, zu­mal in den Städ­ten, so leicht und so ver­häng­nis­voll zu­fal­le.

      Doch schi­en ihm vor al­lem der Him­mel über alle Ma­ßen groß und ge­wal­tig. Ge­schwa­der von Wol­ken zo­gen ru­he­voll an sei­ner Wöl­bung ent­lang, aber selbst sie mü­he­los ge­ord­net in dem un­er­mess­li­chen Raum, und ihre schwe­ren Schat­ten stie­ßen sich nir­gends auf den noch bräun­li­chen Fel­dern. Auf den Hü­geln der Äcker stan­den ein­zel­ne Bäu­me, das Ast­werk ohne Hin­der­nis aus­ge­brei­tet oder von im­mer we­hen­den Win­den nach ei­ner Sei­te ge­beugt, und da sie fast alle ohne Hin­ter­grund vor dem lee­ren Him­mels­raum stan­den, so tru­gen die Fel­der in al­ler Karg­heit ein Ge­sicht des Stol­zes, als lä­gen sie noch da wie zu Be­ginn der Schöp­fung und nie­mals sei an­de­res als Wind oder Re­gen oder eine küh­le Son­ne über sie hin­ge­gan­gen.

      Auch der Schrei der Vö­gel dünk­te ihn hel­ler und wil­der zu sein, und nir­gends glaub­te er so vie­le Raub­vö­gel ge­se­hen zu ha­ben, die spä­hend über den Fel­dern hin­gen oder in Krei­sen sich un­ter die Son­ne scho­ben. Doch ver­knüpf­te ihr Bild sich ihm im­mer mehr mit der Er­schei­nung der großen Wäl­der, de­nen er zu­fuhr und die ihm als die ei­gent­li­che Hei­mat al­les des­sen er­schie­nen, was sich hier spie­lend oder beu­te­su­chend un­ter dem Him­mel be­weg­te.

      Kam er so auch nicht zu der ge­wünsch­ten Klar­heit sei­ner Ge­dan­ken und blieb die Ur­sa­che sei­nes Ge­fühls der Frei­heit ihm im Letz­ten noch ver­bor­gen, so nahm er doch mit Be­glückt­heit war, dass sein gan­zes We­sen vor­wärts ge­wen­det war. be­strebt, Kom­men­des und Neu­es in sich auf­zu­neh­men, und dass die grü­beln­den Ge­dan­ken der letz­ten Tage, ja noch der Nacht­fahrt wie ein Ne­bel hin­ter ihm ver­flo­gen wa­ren.

      In­des­sen wuchs das Ge­sicht der Wäl­der im­mer nä­her und deut­li­cher in ihm auf, und es war ihm, als sei dort ei­gent­lich erst das ver­bor­gen, was den Sinn der Land­schaft aus­ma­che und dazu auch das, was zu su­chen er aus­ge­zo­gen sei.

      Von fer­ne schon war zu er­ken­nen, dass der schwei­gen­de Ernst die­ses Rau­mes dort nicht von ei­ner Hei­ter­keit der Form ab­ge­löst wer­den wür­de, ja dass viel­mehr mit dem Zu­rück­blei­ben von Dorf, Feld und Ge­hölz sich al­les in eine ein­zi­ge, ge­sam­mel­te Er­schei­nung zu­rück­zie­hen wür­de, an Grö­ße nur dem Mee­re oder dem Hoch­ge­bir­ge zu ver­glei­chen, und nicht nur an Grö­ße, son­dern eben auch an Schwe­re und auf­ru­fen­der Ein­sam­keit.

      Schon jetzt sah er die Gerad­heit grau­er, sehr ho­her Stäm­me, ohne Un­ter­bre­chung ne­ben­ein­an­der­ge­stellt, ohne Zier­lich­keit ver­bin­den­der Li­ni­en, und dar­über den lei­se ge­well­ten Saum der Wip­fel, ab­ge­run­det wie die Form des Gra­nits im Ur­ge­bir­ge. Zwar er­blick­te er, je nä­her er kam, ver­mit­teln­de Ein­zel­hei­ten, Fich­ten­scho­nun­gen etwa, die ei­nem in die Tie­fe ge­sun­ke­nen Wald­stück von fer­ne gli­chen, einen Weiß­bu­chen­hain oder einen Hang mit jun­gen Bir­ken, zwi­schen de­nen der Wa­chol­der dun­kel stand, aber gleich schloss die graue Wand sich wie­der zu und tat sich nur aus­ein­an­der, um die Stra­ße hin­ein­zu­las­sen, auf­zu­neh­men und gleich­sam so­fort zu be­gra­ben.

      Hier war es na­tür­lich, dass Tho­mas ab­stieg und von der ho­hen Bö­schung den Blick noch ein­mal zu­rück­wen­de­te. Er saß auf ei­nem Baum­stumpf, um den schon die blau­en Ster­ne der Le­ber­blüm­chen stan­den, stopf­te lang­sam sei­ne kur­ze Pfei­fe, und in­des der Rauch mit dem lei­sen Wind in das Holz hin­ter ihm zog, nahm er die eben durch­fah­re­ne Land­schaft noch ein­mal in sich auf, ru­hi­ger nun, auch grö­ßer viel­leicht, da der Weg sich lang­sam ge­ho­ben hat­te und nun vie­les ne­ben­ein­an­der lag, was vor­her Stück für Stück auf­ein­an­der­ge­folgt war.

      Wie­der kam ihm das Lee­re des großen Rau­mes be­ru­hi­gend und be­glückend ins Be­wusst­sein, die sanf­te, lang aus­ho­len­de und ab­klin­gen­de Schwin­gung der Li­ni­en, die Ar­mut an Sied­lun­gen, die Stil­le der Luft und das un­end­lich Ge­spann­te des Ho­ri­zon­tes. Er ver­such­te sich vor­zu­stel­len, wie der Wech­sel der Jah­res­zei­ten dies Bild ver­än­dern wür­de, wie er selbst in die­sem Wech­sel be­ste­hen oder un­si­cher wer­den wür­de und ob die Fri­sche des ers­ten Ein­druckes auch er­hal­ten blei­ben wür­de, wenn er nun aus ei­nem Wan­de­rer zu ei­nem Be­woh­ner und aus ei­nem Be­trach­ten­den zu ei­nem Tä­ti­gen wür­de.

      Doch er­schi­en ihm, auch so an­ge­se­hen, das vor ihm aus­ge­brei­te­te Bild von im­mer glei­cher Kraft und Tröst­lich­keit er­füllt, und als er sich nun gar auf sei­nem Sitz wen­de­te und der Blick durch die Viel­heit der Stäm­me in das In­ne­re des Wal­des ging, wo die Son­ne schma­le Brücken auf Moos und Blau­beer­kraut leg­te, wo rot­be­schie­ne­ne Stäm­me im­mer tiefer zu­rück­wi­chen in eine bläu­li­che Däm­me­rung und nur das Klop­fen des Spech­tes das Schwei­gen nicht zer­brach, son­dern tiefer mach­te: da glaub­te er, auf der Höhe ei­nes viel­ge­prüf­ten Le­bens noch ein­mal Frie­den und Glück der Kind­heit vor sei­nen Hän­den aus­ge­brei­tet zu se­hen, als gel­te es nur, ver­trau­end zu­rück­zu­keh­ren, um mit der Ruhe der Land­schaft auch al­les wie­der­zu­ge­win­nen, was da­mals hei­ter, leicht und un­ver­än­der­lich er­schie­nen war. Und wie­wohl er wuss­te, dass kei­ne Rück­kehr die­ser Art dem Men­schen ver­gönnt sei, dass viel­mehr je­des Al­ter sei­nen ei­ge­nen Frie­den zu ge­win­nen habe, so gab er sich doch wil­lig für eine Wei­le je­ner träu­me­ri­schen Rück­schau hin, wohl wis­send, dass die nächs­ten Tage schon ihm for­dernd ent­ge­gen­kom­men wür­den.

      Noch ein­mal hielt er an die­sem Tage inne, als er von ei­ner der Wald­hö­hen aus zum ers­ten Mal rechts und links der Stra­ße zwei der großen Ge­wäs­ser sich aus­brei­ten sah, auf de­nen an je­nem ver­gan­ge­nen Abend bei der Dre­hung sei­nes Glo­bus sei­ne Bli­cke an­hal­tend ge­ruht hat­ten. An­ders war nun das wirk­li­che Bild, aber noch tiefer als da­mals kam ihm das Ge­fühl zu­rück, hier an der Gren­ze nicht nur des Rei­ches zu ste­hen. Was sich hier in die Wäl­der hin­ein dehn­te, blau, in den Buch­ten noch von grau­em Eise be­deckt, von brau­nen Rohr­flä­chen ge­säumt, vom kla­gen­den Ruf der Hau­ben­tau­cher über­hallt, schi­en ihm nach den bren­nen­den und dann ver­fins­ter­ten Jah­ren wie ein Land, das au­ßer al­lem Ge­sche­hen ge­blie­ben war, als sei es von Eis­ber­gen be­deckt ge­we­sen und nun erst in ma­kel­lo­ser und stren­ger Klar­heit wie­der ans Licht ge­stie­gen. Es er­schi­en ihm un­ähn­lich al­len an­de­ren Län­dern des Rei­ches, nicht wie ein Blatt, auf dem die Hand des Men­schen ge­schrie­ben, ge­stri­chen, ge­löscht und wie­der ge­schrie­ben hat­te, son­dern als ein Un­be­rühr­tes, auf dem ein An­fang ge­sche­hen könn­te, kei­ne Wie­der­ho­lung, Ver­bes­se­rung oder Be­rich­ti­gung, son­dern eben ein An­fang, eine ers­te Fur­che, und die Vö­gel un­ter dem Him­mel wür­den sich über ihr ver­sam­meln und zu­se­hen, was nun hier un­ter der Hand des Men­schen zum ers­ten Male ge­sch­ehe.

      Er dach­te an sein Kind und wie es dort auf­wach­sen muss­te, be­hü­tet, aber in­mit­ten der Bil­der des Ver­falls und des Rau­sches; wie er es für ein paar Jah­re zu­rück­las­sen muss­te, aber wie er hier mit ihm ein­mal ste­hen woll­te, hier oder an ähn­li­cher Stel­le, um ihm zu zei­gen, wo­für man le­ben müss­te, über­all auf der Erde, wo die Men­schen sich noch Mühe ga­ben.

      Um die Däm­me­rung erst kehr­te er ein, in ei­nem Wald­krug, den er an der


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