Das einfache Leben. Ernst Wiechert

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Das einfache Leben - Ernst Wiechert


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mit großen Au­gen von der Holz­bank aus ihm zu, in­des der Mann hin­ter dem Tisch ste­hen­blieb, den Rücken ge­gen das Fens­ter ge­wen­det, und erst auf be­son­de­ren Zu­spruch hin sei­ne Ar­beit an ei­nem klei­nen Netz wie­der auf­nahm, durch das er mit ei­ner höl­zer­nen Na­del neue Ma­schen zog. Er war ge­klei­det wie die Men­schen, die Tho­mas un­ter­wegs ge­se­hen hat­te, in hohe Stie­fel und hart­ge­web­tes grau­es Zeug, und auch in der Wär­me des Rau­mes hat­te er sein Hals­tuch nicht ab­ge­nom­men, das in zwei Zip­feln ihm über den Kra­gen hing. Die Ge­sich­ter schie­nen Tho­mas schwer, müde und gleich­sam schon von den großen Ebe­nen mit­ge­formt, die sich hin­ter die­sen Wäl­dern und Seen nach Asi­en hin er­streck­ten.

      Ja, er sei zur See ge­fah­ren, sag­te Tho­mas auf die ers­te un­ge­schick­te Fra­ge hin, sein gan­zes Le­ben lang, als Steu­er­mann auf ei­nem großen Damp­fer. Aber da es nun da­mit zu Ende sei, es ihm auch in den en­gen Städ­ten nicht ge­fie­le, wo der Wind nur Staub und Pa­pier­fet­zen vor sich her­trei­be statt des sal­zi­gen Schau­mes der See, so habe er be­schlos­sen, sich in die­ser Land­schaft um­zu­tun, ob er nicht et­was wie eine Fi­sche­rei­pacht fän­de, von der man bei har­ter Ar­beit doch sein Brot habe und zum min­des­ten sein Es­sen, wenn das be­druck­te Geld schon im­mer schnel­ler in den Rauch­fang stie­ge.

      Das kön­ne wohl mög­lich sein, mein­te der Mann lang­sam, und wenn er auch hier in der Ge­gend nichts wis­se, viel­mehr al­les in fes­ten Hän­den sei, so kön­ne er ihm doch hier und da einen Na­men an den Seen sa­gen, wo er Be­scheid und wohl auch Rat fin­den wer­de. Denn es sei viel Un­ru­he in der Land­schaft, nicht nur we­gen der Angst vor den Po­len, son­dern es sei über­all auch wie bei ih­nen selbst, dass die jun­gen Leu­te den Dienst auf­sag­ten, nicht nur, weil es ih­nen zu ein­sam sei, son­dern auch weil sie mein­ten, die Ar­beit wer­de nun ab­ge­schafft oder min­des­tens de­nen auf­ge­legt, die bis­her nach ih­rer Mei­nung nicht ge­ar­bei­tet hät­ten. So sei­en auch sie al­lein ge­blie­ben, und Knecht und Magd sei­en des We­ges ge­gan­gen, in die Haupt­stadt der Pro­vinz, wo sie nun wahr­schein­lich schon auf ei­nem gol­de­nen Thro­ne sä­ßen.

      Nur ei­nes schei­ne ihm be­denk­lich, dass der Herr bei al­ler schwe­ren Ar­beit auf See doch so zar­te Hän­de be­hal­ten habe und dass es ihm viel­leicht nicht leicht fal­len könn­te, bei al­lem gu­ten Wil­len, an dem er nicht zweifle, dies har­te Hand­werk zu er­grei­fen.

      Dar­über be­ru­hig­te ihn Tho­mas nun, schrieb sich auch die Na­men in sein Ta­schen­buch, die der Mann ihm nann­te, und bat schließ­lich, dass er zu­sam­men mit ih­nen hier in der Kü­che es­sen dürf­te, wo es warm sei, er ih­nen Mühe er­spa­re und er sich schließ­lich auch gleich zu Be­ginn an die Welt ge­wöh­ne, in der er doch nun sich ein­rich­ten wol­le.

      Beim Es­sen, vor dem die Frau ein Ge­bet ge­spro­chen hat­te, er­fuhr er, dass sie ei­ner re­li­gi­ösen Ge­mein­schaft an­ge­hör­ten, die in der Ge­gend weit ver­brei­tet sei, dass sie mit Sor­gen auf den Gang der Zeit blick­ten und ei­ni­ge von ih­nen so­gar der Mei­nung sei­en, dass die Ge­sich­te des hei­li­gen Jo­han­nes sich nun bald er­fül­len wür­den.

      Dem wi­der­sprach nun Tho­mas, mein­te, dass das deut­sche Volk auch aus die­sen Zei­ten der Wirr­nis sich wie­der­auf­rich­ten wer­de, und be­rich­te­te auch von sei­nem Be­such bei dem Pfar­rer, der ihn recht ei­gent­lich auf die­sen Weg ge­bracht habe und bei dem er wie­der ge­lernt habe, wie ge­fähr­lich es sei, gan­ze Klas­sen oder Stän­de oder Be­ru­fe leicht­hin ab­zu­ur­tei­len, da wir ja doch nie mehr als ein­zel­ne Men­schen un­ter ih­nen kenn­ten.

      Dann ging das Ge­spräch auf sei­ne Fahr­ten und die See­schlach­ten des Krie­ges und wie­der zu­rück zu Schick­sa­len und Ge­bräu­chen die­ser Land­schaft, in­des sie ihre kur­z­en Pfei­fen rauch­ten, die Frau ihr Strick­zeug in den Hän­den hielt und die Kin­der atem­los auf sei­ne Rede lausch­ten, als sei Sind­bad der See­fah­rer aus den ver­trau­ten Kie­fern­wäl­dern auf­ge­stan­den, um sei­nen Glanz über ihr Le­ben zu le­gen.

      Und als Tho­mas ih­nen gute Nacht bot und die schma­le Trep­pe zu sei­nem Schlaf­raum hin­auf­stieg, ein Licht in der Hand, schi­en das Gan­ze ihm als ein schö­nes Tor zu sei­ner neu­en Welt, voll gu­ter Vor­be­deu­tung und von al­lem Ge­wohn­ten und Ver­gan­ge­nen wie durch Jahr­zehn­te ge­schie­den.

      Im­mer tiefer nahm das Land ihn nun auf. Tag für Tag fuhr er an den Seen ent­lang und von Dorf zu Dorf, mit­un­ter ver­wei­lend, wenn ihn et­was zu hal­ten schi­en. Die Wit­te­rung wech­sel­te in den Zei­ten der Nacht- und Tag­glei­che, Stür­me und Re­gen fie­len über das Land, und ei­nes Abends trieb so­gar der Schnee in wei­ßen Strei­fen zwi­schen den grau­en Stäm­men hin. Dann aber ge­wann die Son­ne wie­der das Feld, trock­ne­te Stra­ßen und Pfa­de, das Eis in den Buch­ten schmolz, und über der jun­gen Saat hin­gen hoch im Blau die sin­gen­den Ler­chen. Im­mer aber gin­gen die großen Wäl­der mit ihm mit, wech­selnd zwi­schen Laub- und Na­del­holz, auf­blau­end, er­glü­hend und sich wie­der ver­dun­kelnd mit dem Gang der Son­ne, und mit ih­nen die stren­ge und rei­ne Luft, die das At­men leicht mach­te und die sor­gen­lo­sen Jah­re wie­der her­aufrief, als er hoch über Se­geln und Meer im Mast­korb ge­ses­sen hat­te.

      Der Rat des Man­nes aus dem Wald­krug hat­te sich als nütz­lich er­wie­sen, ei­ni­ge An­ge­bo­te fand er gut und so­gar ver­lo­ckend, doch hielt er die Zu­sa­ge noch hin, weil ihm das Letz­te noch zu feh­len schi­en, die jähe Zu­stim­mung des Her­zens, von der er mein­te, dass sie ein­mal kom­men wer­de, und die ihm wich­ti­ger schi­en als Ver­stand und küh­le Be­rech­nung.

      So kam er am spä­ten Nach­mit­tag des zehn­ten Ta­ges zu ei­nem Mei­len­stein an ei­ner brei­ten Land­stra­ße, von dem ein schma­ler Weg zu ei­ner Förs­te­rei ab­bog, und da der Wald ihm schö­ner schi­en als je­der an­de­re, den er bis­her durch­fah­ren hat­te, von Bir­ken­scho­nun­gen und al­ten Ei­chen durch­setzt, so ließ er den brei­ten Weg und mein­te, er wer­de zur Nacht schon un­ter­kom­men, wenn nicht im Forst­haus, so doch we­nigs­tens in ei­ner Feld­scheu­ne oder in ei­nem der Wild­heu­hau­fen, die er hier und da in den Scho­nun­gen an­ge­trof­fen hat­te. Die Luft war mil­der ge­wor­den, ein süd­li­cher Wind ging durch den Wald und brach­te den schwe­ren Duft des Sei­del­bas­tes mit, der an den son­ni­gen Hän­gen blüh­te.

      Der Förs­ter trat aus dem Hof­tor, als Tho­mas das Ge­höft er­reich­te. Er war ein großer, ge­beugt ge­hen­der Mann, die Schlä­fen un­ter dem Hut schim­mer­ten schon weiß, und der Blick sei­ner ganz hel­len Au­gen ging durch Tho­mas hin­durch, als sehe er gar nicht ihn, son­dern hin­ter ihm einen an­de­ren, der un­be­merkt in sei­nen Spu­ren stän­de. So ein­sam schi­en er Tho­mas vor dem schwei­gen­den Ge­höft, dass er mein­te, es sei nicht recht, ihn an­zu­spre­chen und sei­ne Bit­te vor­zu­tra­gen, so­dass er stumm da­stand, die Hän­de auf der Lenk­stan­ge des Ra­des und den Fuß schon wie­der auf dem lin­ken Pe­dal, als sei er so­fort be­reit, um­zu­keh­ren, wenn je­ner den Wunsch dazu zu er­ken­nen gebe.

      Doch trat der Förs­ter wi­der Er­war­ten auf ihn zu, hob die Hand grü­ßend an den Hut und frag­te ihn mit lei­ser Stim­me ohne Vor­be­rei­tung, ob er ein See­mann sei. Und als Tho­mas das mit ei­ni­ger Ver­wir­rung be­jah­te, nahm der an­de­re ihn sanft beim Arm, bat ihn, ein Stück We­ges mit ihm mit­zu­kom­men, und mein­te dann, als der Wald sie schon wie­der auf­ge­nom­men hat­te, er dür­fe nicht ver­wun­dert sein, es habe je­der har­te Be­ruf sei­ne Kenn­zei­chen und wäre es hier auch nur eine be­stimm­te Hel­lig­keit der Au­gen und die Schär­fe der Li­ni­en von den Na­sen­flü­geln zum Mun­de. Zu­dem ken­ne er sich et­was aus un­ter See­leu­ten,


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