Nebelrache. Nancy Farmer

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Nebelrache - Nancy  Farmer


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Sie schützt einen nicht davor, dachte Jack verbittert und erinnerte sich nur zu gut an die Schläge, die er von Olaf Einbraue hatte einstecken müssen.

      „… etwas ist von der Heiteren Wehklage geweckt worden, das besser weitergeschlafen hätte.“

      „Ich weiß nicht, wie es die Glocke aus dieser Entfernung hat hören können oder wieso es gerade jetzt aufgetaucht ist“, bemerkte Bruder Aiden.

      Es?, dachte Jack. Wovon redet der eigentlich?

      „Die Glocke von Amergin ist in allen Welten zu hören, und dazu kommt, dass sie lange Zeit nicht mehr benutzt wurde“, sagte der Barde. Er stellte die Glocke aufrecht hin und ein leises Klingen ertönte. Alle drei Zuhörer zuckten zusammen. „Ich werde sie in Wolle wickeln müssen.“

      „Pater Severus hat einiges zu verantworten“, sagte Bruder Aiden betrübt.

      „Allerdings. Vor allem hätte er die Glocke auf Grims Insel lassen sollen.“

      Grims Insel? Wo ist denn das?, fragte sich Jack.

      Der Mönch seufzte und fuhr mit einer Hand über das strahlende Gold der Heiteren Wehklage. „Es war der Abt, der die Glocke unbedingt mitnehmen wollte. Vergesst nicht, dass sie einst dem heiligen Kolumban gehört hat.“

      „Der sie auch versteckt hat“, fügte der Barde hinzu.

      „Und doch war die Heitere Wehklage eines der wenigen Dinge, die die Zerstörung der Heiligen Insel überstanden haben“, sagte Bruder Aiden. „Das kann doch nur bedeuten, dass die Glocke heilig ist. Und es konnte ja keiner ahnen, dass es eine so weite Strecke zurücklegt.“

      „Man sagt, solche Wesen können selbst durch Fels schwimmen“, sagte der Barde.

      Jetzt hielt Jack es nicht länger aus. „Wovon redet Ihr? Was ist es? Wo ist Grims Insel? Wie kann etwas durch Fels schwimmen?“ Mit hochrotem Kopf starrte er auf den Boden. Der Barde hatte schon öfter mit ihm geschimpft, wenn er so ungeduldig auf schnelle Antworten drängte. Die meisten Dinge, die es zu wissen lohnt, brauchen ihre Zeit, sagte er dann immer. Man musste warten, bis sich einem die Antwort zeigte. Eine Erklärung zu erzwingen, bevor die Zeit reif war, war so, als würde man eine Apfelblüte pflücken und erwarten, dass sie schmeckte wie ein Apfel.

      „Ich bin erstaunt, dass du so lange gewartet hast“, bemerkte der Barde. „Ich konnte sehen, wie sich in deinem Kopf die Fragen auftürmten, aber in diesem Fall kann ich das gut verstehen. Dies ist ein Geheimnis, das wir schon viel zu lange gehütet haben, und jetzt müssen wir schnell handeln, um den Schaden zu begrenzen.“ Der alte Mann setzte sich auf die Truhe, in der er die silberne Flöte aufbewahrte. „Fangt Ihr an, Aiden. Ihr seid es, dem diese Geschichte zuerst anvertraut wurde.“

      „Du musst wissen, dass Pater Severus der selbstloseste Mensch ist, den man sich vorstellen kann“, begann Bruder Aiden. „Er hat seine Güte immer wieder unter Beweis gestellt.“

      Jack nickte. Er erinnerte sich noch gut an den trübsinnigen Mönch, der auf dem Schiff von Olaf Einbraue dauernd von der Sünde gepredigt hatte und später den Elfen glühende Predigten hielt, worüber sich diese prächtig amüsiert hatten. Aber dieser Mann hatte auch Mitgefühl für drei eingekerkerte Kinder gezeigt. Ohne ihn wären sie jetzt nicht mehr am Leben.

      „Unter anderen Umständen hätte Pater Severus ein großer König werden können“, fuhr der Mönch fort. „Er hat die Gabe, Menschen dazu zu bringen, ihm bedingungslos zu gehorchen.“

      Jack musste wieder daran denken, wie die verrohten Mönche im Kloster des heiligen Filian vor Pater Severus gekuscht hatten wie geprügelte Hunde. Die Bürger von Bebbas Town hatten seinen Führungsanspruch sofort anerkannt und auch gehorcht, als er ihnen befahl, Brutus zu ihrem König zu machen. Ohne die Hilfe von Pater Severus hätte Brutus in seinem Leben sicher nichts anderes erreicht, als gut auszusehen.

      „Lasst uns nicht vergessen, dass Euer Held auch die eine oder andere Schwäche hat“, warf der Barde ein.

      Bruder Aiden lächelte verlegen und erzählte weiter. „Grims Insel ist ein kalter, unwirtlicher Ort, so weit im Norden, dass die Sonne dort den ganzen Winter nicht scheint. Im Sommer herrschen entweder Nebel oder arktische Stürme. Aber für Pater Severus war es ein Paradies der Seele. Er war des gemütlichen Lebens auf der Heiligen Insel überdrüssig geworden.“

      „Ich dachte, die Mönche hätten dort hart gearbeitet“, sagte Jack.

      „Oh, das haben wir. Wenn wir keine Steinbrocken aus den Feldern gegraben haben, haben wir Dächer repariert, Zäune geflickt und Schafe gejagt. Wir haben siebenmal am Tag gebetet und zweimal in der Nacht. Wir haben auf dem Boden geschlafen und im Winter in Schneewehen meditiert. Aber wir hatten auch unsere Freuden.“ Der kleine Mönch lächelte bei der Erinnerung daran.

      „Ich weiß noch, wie wir in der Kapelle gesungen haben, und erinnere mich an das wunderschöne Buntglasfenster. Ich habe viele glückliche Stunden in der Bibliothek verbracht und Tinte gemischt – solch wundervolle Farben! Ich habe Blattgold ausgewalzt, um damit meine Manuskripte zu schmücken. Und das Essen! Sonntags gab es Huhn und jeden Tag Brot und Bier. An Festtagen haben wir wundervollen Joghurt gemacht. Und erst der Flammeri …“

      „Die beste Art mit Muskat und Sahne“, murmelte Jack. „Vater hat mir davon erzählt.“

      „Ich verstehe, wieso Severus es dort nicht mehr ausgehalten hat“, bemerkte der Barde trocken.

      „Nun, er ist ein sehr religiöser Mensch“, verteidigte ihn Bruder Aiden. „Grims Insel war wie geschaffen für Helden wie ihn. Es ist das unwirtlichste Stück Fels, das man sich vorstellen kann, und sogar Pater Severus war entsetzt von der Kargheit dieser Insel. Er landete dort in einem winzigen Boot mit nichts außer einem Sack Saatgut und ein paar Werkzeugen. Er musste sich die Steine für den Bau einer Hütte auf der ganzen Insel zusammensuchen. Die einzigen Bäume wuchsen in der Mitte der Insel auf einem Berg, der zu hoch und steil war, um ihn zu besteigen.

      Nachts rollte sich Pater Severus in einer Höhle aus Sandstein zusammen, die kaum groß genug war für eine Fuchsfamilie. Am Tag arbeitete er unablässig und schuf Saatbeete. Er lebte von Seetang und Schnecken und trank das Regenwasser, das sich in den Felsen sammelte.

      Der Winter kam früh. Es waren keine Schnecken mehr da, und seine Ernte war erfroren. Die Hütte war noch nicht fertig, also zog Pater Severus in die Höhle. Er rechnete nicht damit, am Leben zu bleiben. Jeden anderen hätte diese Aussicht bedrückt, aber er sah es nur als Chance, früher in den Himmel zu kommen.“

      „Ich erinnere mich“, sagte Jack. „Er sagte immer, je länger man lebt, desto mehr Gelegenheit hat man zu sündigen.“

      „Ich werde diese Christen nie verstehen“, murmelte der Barde kopfschüttelnd.

      „Es gab eine Pflicht, die Pater Severus nie vernachlässigte, auch wenn es ihm noch so schlecht ging“, berichtete Bruder Aiden. „Er sprach immer seine Gebete – siebenmal an jedem Tag, auch wenn die Uhrzeit in der immerwährenden Dunkelheit schwer zu bestimmen war. Zwischen den Gebeten bearbeitete er den Sandstein der Höhle, um sie zu vergrößern. Eines Tages rutschte sein Messer in einen Spalt, und als er es wieder befreite, fiel ein Steinbrocken aus der Wand. Dahinter war eine kleine Kammer.

      Pater Severus konnte etwas darin fühlen, das in mehrere Schichten Wolle gewickelt war. Er zog es heraus und trug es an den Strand. Es war eine der seltenen Nächte, in denen die Sterne nicht von Wolken verdeckt waren und in der der Vollmond schien. Die Wolle war von feinster Qualität, weiß im Mondlicht und mit Goldfäden durchwirkt. Pater Severus wickelte sie ab und fand –“

      „Die Heitere Wehklage“, sagte Jack.

      „Ganz recht. Sie war in einen Umhang gewickelt, der viel zu edel war, um der eines Mönchs zu sein.“

      „Es war die Robe von Kolumban, als er noch meinem Orden vorstand“, sagte der Barde. „Er ließ seine Magie an einem Ort zurück, von dem er dachte, dass sie dort keinen Schaden anrichten würde. Er konnte ja nicht ahnen, dass ein hergelaufener Dummkopf sein Vermächtnis finden würde.“

      „Ich


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