Nebelrache. Nancy Farmer

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Nebelrache - Nancy  Farmer


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meine Güte“, sagte Bruder Aiden entsetzt.

      „Mein Ziehvater Olaf Einbraue hat wiederum einmal ein Stück Troll probiert. Er hat gesagt, dass es widerlich schmeckt.“

      „Thorgil!“, fuhr der Barde sie an. „Treib es nicht zu weit, oder ich verwandle dich in einen Frosch.“

      Sie lachte nur und schnappte sich einen weiteren Hafermehlkuchen. Jack war froh, sie so glücklich zu sehen. Anscheinend hatte sie ihren Streit im Haselwald vergessen, denn sie hatte ihn freundlich begrüßt. Wie er vermutet hatte, war sie an den Strand geflüchtet. Als sie dann Richtung Norden losgegangen war, hatte sie es als logisch empfunden, immer weiterzugehen. Die Wellen hatten sie beruhigt und der Geruch der See hatte ihre Laune verbessert. Nach einiger Zeit hatte sie dann einen Abstecher landeinwärts gemacht und war auf der alten Römerstraße in die abgelegene Bucht gekommen.

      „Skakki hat nie geglaubt, dass ich tot bin“, berichtete sie. „Er war schon früher in diesem Jahr an der Stelle, an der er mich zurückgelassen hat, und hat dort meine Runen in einen Baum geschnitzt gesehen. Als er mich nicht finden konnte, hat er gedacht, dass ich an dem einzigen Ort sein würde, an dem ich willkommen bin. Er ist viel größer geworden. Ich dachte früher schon, er wäre ausgewachsen, aber jetzt ist er fast ein Riese. Wie Olaf.“ Ein Schatten fiel auf das Gesicht der Schildmaid.

      „Und er will uns nach Bebbas Town bringen?“, fragte Jack schnell, damit sie gar nicht erst anfing zu trauern.

      „Sobald er seine Geschäfte im Süden erledigt hat. Und Bruder Aiden will sicher nicht wissen, was das für Geschäfte sind – schon gut! Ich höre ja schon auf!“

      Thorgil duckte sich hastig weg, als der Barde seinen Stab hob.

      Sie gönnten sich ein zweites Frühstück mit frischem Brot aus dem Dorf und einer gebratenen Gans, die Thorgil vom Abendessen mit ihren Freunden auf dem Schiff mitgebracht hatte. Bruder Aiden wiederholte ihr zuliebe noch einmal die Geschichte der Heiteren Wehklage. „Ich habe eine Frau weinen gehört, als ich am Strand entlangging“, berichtete die Schildmaid nachdenklich. „Ich konnte sie aber nicht finden. Skakki glaubt, dass er einen Draugr gesehen hat, als er vor Anker gegangen ist.“

      „Einen Draugr?“, fragte Jack.

      „Du weißt schon. Einen Untoten. Einen Geist. Wir haben das Lager mit einem Kreis aus Silbermünzen umgeben, um ihn fernzuhalten.“

      „Das ist genau, was ich befürchtet habe“, sagte der Barde. „Erzählt den Rest von Severus’ Geschichte, Aiden. Wir müssen Pläne schmieden.“

      „Sieben Tage lang unternahm Pater Severus, was er konnte, um die Meerjungfrau loszuwerden. Er versuchte es mit Teufelsaustreibungen, schwenkte das Kreuz und verfluchte sie, aber sie ließ sich nicht abschrecken. Sie verfolgte ihn jeden Nachmittag. Sie war ungeheuer stark. Sie konnte gewaltige Felsbrocken anheben und sie so mühelos werfen wie unsereins einen Kieselstein. Damit wollte sie ihn natürlich nicht töten, sondern ihm nur so viel Angst machen, dass er seinen Widerstand aufgab.

      Die Meerjungfrau befehligte auch die Wellen. Am vorletzten Tag rief sie eine Welle herbei, die bis zu den Felsen hochschlug, zwischen denen Pater Severus sich versteckte. Beinahe hätte sie ihn aufs Meer hinausgezogen. Da wusste er, wie sie ihn am letzten Tag holen wollte. In dieser Nacht kämpfte er sich auf den Berg in der Mitte der Insel. Fast hätte er es bis auf die Spitze geschafft, doch vor ihm lag eine senkrechte Felswand, die er nicht überwinden konnte.

      Also kehrte er ans Wasser zurück, sank verzweifelt zu Boden und beklagte den Tag, an dem er die Heilige Insel verlassen hatte. Und da kam ihm ein Gedanke. Was, wenn sie mit ihm auf der Insel lebte?

      Er konnte sie natürlich nicht heiraten. Nicht, weil er ein Priester war – manche Priester nahmen sich Frauen, obwohl man es in Rom nicht gern sah. Er konnte es nicht, weil sie ein Tier war, so einfach war das. Oh, sie sah menschlich aus, aber unter diesem Äußeren hatte sie nicht mehr Seele als ein Ochse. Ein Ochse, ging es ihm im Kopf herum.

      Sie war unglaublich stark. Das hatte er oft genug sehen können. Und sie war geschickt – man musste sich nur die Hütte ansehen, die sie gebaut hatte. Sie konnte Fische fangen und Treibholz sammeln. Sie konnte pflanzen.

      Am letzten Nachmittag entzündete Pater Severus am Strand ein großes Feuer. Er läutete die Heitere Wehklage, und die Meerjungfrau erhob sich aus den Fluten. Sie kam sofort an Land und ließ ihre Schuppen am Strand fallen. ‚Schöner Tag zum Schwimmen‘, bemerkte Pater Severus.

      Du bist nicht geflohen, sagte die Meerjungfrau.

      ‚Wozu auch? Du hättest mich doch gefangen.‘

      Ich würde es vorziehen, wenn du freiwillig kämst, sagte sie. Es ist eine armselige Ehe, die mit Zwang beginnt. Sie streckte die Arme aus, um ihn zu umarmen.

      ‚Vorher muss ich noch etwas erledigen‘, sagte Pater Severus lächelnd. Er stürmte an ihr vorbei, schnappte den Schuppenschwanz und warf ihn mitten ins Feuer.

      Die Meerjungfrau schrie wie am Spieß. Sie ließ eine Welle heranrollen, um das Feuer zu löschen, aber es war zu spät. Ihr Fischschwanz war zu Asche verbrannt. Du hast mich auf ewig vom Meer getrennt, heulte sie. Du grausamer, grausamer Mensch! Wie kannst du mir das antun nach allem, was ich für dich getan habe? Ich werde die weite Strecke bis in meine Heimat nie mehr schwimmen können.

      ‚Dann musst du wohl hier bei mir bleiben‘, sagte Pater Severus.

      Er brachte ihr bei, Saatbeete zu graben, und ließ sie Wasser von einem Bach herbeitragen, der vom Berg herunterfloss. Sie baute einen Wall, damit der Nordwind nicht länger die magere Erde davonwehte. Sie lockte Lachse mit Gesang in ihre Hände. Allerdings musste Pater Severus ihr das Kochen beibringen, weil ihresgleichen den Fisch lieber roh verzehrte. Nachts schlief sie nackt am Strand. Nach einigen Monaten wurden ihre Hände rau, ihr Haar verfilzt und schmutzig. Pater Severus war es egal. Bei einem Ochsen war Schönheit unwichtig.“

      „Bei Thor, was für eine feine Geschichte“, unterbrach Thorgil. „Er hat die Meerjungfrau ausgetrickst und einen Thrall aus ihr gemacht.“

      „Sie sollte dir leidtun“, sagte Bruder Aiden.

      „Wieso? Sie hat mit Steinen nach ihm geworfen.“

      „Thorgil hat recht“, sagte der Barde. „Dass Severus sie für sich arbeiten ließ, was sie meiner Meinung nach verdient hat, kann man ihm nicht vorwerfen, wohl aber, dass er geglaubt hat, sie hätte keine Seele. Er hat sie behandelt wie einen Stuhl oder einen Becher, den man wegwerfen kann, wenn er kaputt ist. Aber sprecht weiter, Aiden.“

      „Pater Severus war zufrieden mit seinem Leben“, fuhr der Mönch fort. „Er konnte beten und meditieren, wann immer er wollte. Die Meerjungfrau belästigte ihn nicht mehr mit Reden. Sie sagte gar nichts mehr. Der Garten gedieh, und er konnte Vorräte für den Winter einlagern. Wenn ihm nach Fleisch gelüstete, schickte er sie zum Fischen. Es gab immer genügend Treibholz für sein Feuer.

      Die Meerjungfrau hasste das Feuer. Sie rollte sich sommers wie winters in der kleinen Höhle zusammen, ohne einen Fetzen Kleidung am Leib. Pater Severus nahm an, dass sie ähnlich einer Robbe die Kälte nicht spürte, also dachte er nicht länger darüber nach. Er nahm auch nicht wahr, wie sie sich allmählich veränderte.

      Eines Tages entdeckte er in der Ferne ein Schiff, das auf Grims Insel zuhielt. Es war der Abt der Heiligen Insel, der gekommen war, um nach ihm zu sehen. ‚Es freut mich, Euch wohlauf zu sehen‘, sagte der Abt, als er an Land kam. ‚Guter Gott! Was ist das?‘ Die Meerjungfrau schlurfte mit Armladungen voll Treibholz hin und her.

      ‚Nur ein Wesen aus dem Meer, das ich zur Arbeit abgerichtet habe‘, sagte Pater Severus.

      ‚Aber es ist weiblich! Und es ist nackt!‘

      ‚Es ist nicht menschlich‘, verteidigte sich Pater Severus gelassen. ‚Viele Mönche halten sich eine Kuh, und niemand sagt etwas dagegen.‘

      ‚Es hat die Form eines Menschen‘, sagte der Abt und kniff die Augen ein wenig zusammen, um sie besser sehen zu können. ‚Bei der heiligen Brigida, das ist die hässlichste


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