Emma. Jane Austen

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Emma - Jane Austen


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Papa, er ist dreiundzwanzig! Sie vergessen, wie die Zeit vergeht.«

      »Dreiundzwanzig? Wirklich? Nun, das hätte ich nicht gedacht – und er war erst zwei Jahre alt, als er seine arme Mutter verlor! Ja, die Zeit fliegt geradezu vorbei! Und mein Gedächtnis ist sehr schlecht geworden. Jedenfalls war es ein ausgesprochen schöner, netter Brief und hat Mr. und Mrs. Weston viel Freude gemacht. Ich entsinne mich, daß er in Weymouth geschrieben war, datiert vom 28. September, und er fing an: ›Meine liebe gnädige Frau . . .‹, aber ich habe vergessen, wie es weiterging; und er war mit ›F. C. Weston Churchill‹ unterzeichnet. Das weiß ich noch genau.«

      »Wie erfreulich und anständig von ihm!« rief die weichherzige Mrs. John Knightley. »Er muß ein sehr liebenswürdiger junger Mann sein. Aber wie traurig, daß er nicht zu Hause bei seinem Vater leben kann! Es ist etwas so Empörendes, ein Kind von seinen Eltern und aus seinem natürlichen Heim zu entfernen! Ich werde nie begreifen, wie Mr. Weston sich von ihm trennen konnte. Das eigene Kind wegzugeben! Ich kann wirklich von keinem Menschen gut denken, der jemandem so einen Vorschlag macht.«

      »Von den Churchills hat nie jemand Gutes gedacht, möchte ich annehmen«, bemerkte Mr. John Knightley kühl. »Aber Sie brauchen nicht zu glauben, Mr. Weston wäre es so nahegegangen, wie es Ihnen ginge, wenn Sie Henry oder John weggeben sollten. Mr. Weston ist eher ein leichtherziger, lebenslustiger Mensch als ein Mann von tiefem Gefühl; er nimmt die Dinge, wie sie sind, und gewinnt ihnen irgendwie eine erfreuliche Seite ab. Ich vermute, er braucht zu seinem Behagen mehr, was man so Geselligkeit nennt, das heißt, daß er mit seinen Nachbarn tafeln und zechen und fünfmal in der Woche Whist spielen kann, als Familienbande und was das Heim zu bieten hat.«

      Diese an einen Tadel grenzende Bemerkung ging Emma gegen den Strich, und sie hatte nicht übel Lust zu einer Entgegnung, aber sie bezwang sich und ließ es durchgehen. Sie wollte möglichst den Frieden wahren. Auch verdiente die Neigung ihres Schwagers, auf das übliche gesellschaftliche Treiben und die Leute, die es wichtig nahmen, herabzusehen, alle Nachsicht, denn sie entsprang einer ehrenwerten und sehr zu schätzenden Eigenschaft: er lebte ganz seiner Familie, und sein Heim war ihm alles.

      Zwölftes Kapitel

      Zum Dinner wurde Mr. Knightley erwartet – wovon Mr. Woodhouse sehr wenig erbaut war, denn er teilte den ersten Tag mit Isabella nicht gern mit einem andern. Emmas Gerechtigkeitssinn hatte jedoch so entschieden; neben der Erwägung, daß man es beiden Brüdern schuldig war, spielte freilich auch, im Gedanken an die letzte Unstimmigkeit zwischen Mr. Knightley und ihr, das Vergnügen mit, ihn eigens einzuladen.

      Sie wünschte, sie wären wieder gut Freund miteinander. Es wurde Zeit, fand sie, daß sie sich versöhnten. Freilich hatte es mit der Versöhnung seine Schwierigkeiten. Sie war jedenfalls nicht im Unrecht gewesen, und er würde nie zugeben, daß er unrecht hatte. Zugeständnisse kamen nicht in Frage, aber man konnte sich den Anschein geben, als habe man den Streit vergessen. Und sie hoffte, es werde ihre Freundschaft leichter wiederherstellen, wenn er sie beim Eintreten mit einem der Kinder auf dem Schoß erblickte – dem jüngsten, einem niedlichen Mädelchen von ungefähr acht Monaten, das seinen ersten Besuch in Hartfield machte und sich glücklich auf dem Arm seiner Tante schaukeln ließ. Es half wirklich; denn wenn er anfangs auch ernst dreinschaute und kurz angebunden war, kehrte er doch bald zu dem altvertrauten Ton zurück und nahm mit der ganzen Ungezwungenheit echter Freundschaft das Kind aus ihren Armen. Emma fühlte, sie waren einander wieder gut. Erst war sie darüber nur tief befriedigt, dann aber wurde sie keck, und als er das Kleine bewunderte, konnte sie sich nicht enthalten zu sagen: »Wie tröstlich, daß wir wenigstens über unsre Neffen und Nichten einig sind. Über Männer und Frauen gehen unsre Meinungen manchmal weit auseinander, aber über diese Kinder sind wir nie uneins, wie ich sehe.«

      »Wenn Sie sich in Ihren Ansichten über Männer und Frauen ebenso von Ihrem natürlichen Empfinden leiten ließen und auch so ohne phantastische Flausen mit ihnen umgingen wie mit diesen Kindern, dürften wir immer einer Meinung sein.«

      »Natürlich! Unsre Zwistigkeiten kommen immer daher, daß ich unrecht habe.«

      »Ja«, sagte er lächelnd, »und aus gutem Grund. Ich war sechzehn Jahre alt, als Sie geboren wurden.«

      »Ein wesentlicher Unterschied – damals«, erwiderte sie; »und zweifellos waren Sie mir in dem Alter an Urteilskraft himmelweit überlegen. Aber sind wir uns nicht im Lauf von einundzwanzig Jahren darin viel nähergekommen?«

      »Ja! Näher wohl!«

      »Aber doch nicht nah genug, daß ich auch einmal recht haben könnte, wenn wir geteilter Meinung sind.«

      »Ich habe Ihnen immer noch sechzehn Jahre an Erfahrung voraus – und daß ich keine hübsche junge Dame und kein verwöhntes Kind bin. Kommen Sie, meine liebe Emma, wir wollen uns wieder vertragen und nicht mehr darüber sprechen. Sag deiner Tante, Emmakindchen, sie soll dir ein besseres Beispiel geben, als alten Groll wieder auszugraben; sag ihr, selbst wenn sie vorher nicht im Unrecht gewesen wäre, so sei sie’s jetzt.«

      »Das ist wahr!« rief sie. »Sehr wahr! Emmakind, wachse zu einem besseren Mädchen heran, als deine Tante es ist. Werde unendlich viel gescheiter und nicht halb so eingebildet. Jetzt, Mr. Knightley, nur noch ein oder zwei Worte, und ich bin fertig. Was den guten Willen angeht, sind wir beide im Recht; und ich muß sagen, daß mein Standpunkt sich bisher noch nicht als falsch erwiesen hat. Ich möchte nur wissen, ob Mr. Martin nicht allzu bitter enttäuscht ist.«

      »Ein Mann kann nicht bitterer enttäuscht werden«, gab er kurz und bündig zur Antwort.

      »Ach, das bekümmert mich sehr! Kommen Sie, geben Sie mir die Hand!«

      Dies war eben mit großer Herzlichkeit geschehen, als John Knightley eintrat, und »Wie geht’s, George?« und »John, wie geht’s dir?« begrüßten sie sich in echt englischer Weise, unter einer Gelassenheit, die fast Gleichgültigkeit schien, ihre wahre Anhänglichkeit verbergend, die jeden der beiden im Notfall bewogen hätte, alles, was in seinen Kräften stand, für den andern zu tun.

      Der Abend verlief in ruhiger Unterhaltung, da Mr. Woodhouse die Karten gänzlich ablehnte, um gemütlich mit seiner lieben Isabella zu plaudern. Die kleine Gesellschaft teilte sich von selbst in zwei Gruppen, auf der einen Seite er und seine Tochter, auf der andern die beiden Mr. Knightley; sie unterhielten sich über ganz verschiedene Dinge, nur zuweilen gingen die Gespräche ineinander über, und Emma beteiligte sich nur gelegentlich an dem einen oder andern.

      Die Brüder sprachen über ihre eigenen Angelegenheiten und Vorhaben, hauptsächlich aber über die des älteren, der bei weitem mitteilsamer und im Gespräch stets der führende war. Als Majoratsherr hatte er meist irgendeine juristische Frage, über die er sich mit John beriet, oder er gab ein kurioses Geschichtchen zum besten; und als Landwirt, der das Stammgut Donwell Abbey innehatte, berichtete er gern, was die einzelnen Felder im nächsten Jahr tragen sollten, und alle die lokalen Neuigkeiten, die seinen Bruder, der ebenfalls die längste Zeit seines Lebens dort zu Hause gewesen war und sehr daran hing, interessieren mußten. Ob ein Entwässerungsgraben angelegt, ein Zaun versetzt, ein Baum gefällt werden sollte, welcher Acker für Weizen, für Rüben oder Winterkorn bestimmt war, auf alles das ging John so lebhaft ein, wie seine kühlere Art nur zuließ; ja, wenn sein Bruder ihm mit seinem ausführlichen Bericht etwas zu fragen übrig ließ, erkundigte er sich mit eifriger Wißbegier.

      Während sie so behaglich beschäftigt waren, schwelgte Mr. Woodhouse mit seiner Tochter in glücklichen Kümmernissen und liebevoller Besorgnis.

      »Meine arme, liebe Isabella«, sagte er und ergriff zärtlich ihre Hand, womit er sie ein Weilchen in ihrer emsigen Geschäftigkeit für eines ihrer fünf Kinder unterbrach, »wie lange, wie schrecklich lange warst du nicht hier! Und wie müde mußt du nach deiner Reise sein! Du mußt früh zu Bett gehen, mein Liebes, und ich empfehle dir ein wenig Hafergrütze vorher. Du und ich, wir essen zusammen einen leckeren Teller Hafergrütze. Meine liebe Emma, was hältst du davon, wenn wir alle ein bißchen Hafergrütze äßen?«

      Emma hielt nichts davon, da sie wußte, daß die beiden Mr. Knightley dafür so wenig zu haben waren wie sie selber. So wurden nur zwei Teller bestellt. Er erging sich


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