Emma. Jane Austen

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Emma - Jane Austen


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mit Klugheit und Wohlwollen bei. In der Familie, die sie diesmal aufsuchte, kamen Krankheit und Armut zusammen; und als sie so lange dort geblieben war, wie sie Trost und Rat zu spenden vermochte, und die Hütte verließ, hatte das Erlebnis ihr einen so tiefen Eindruck gemacht, daß sie im Weitergehen zu Harriet sagte:

      »So etwas zu sehen, Harriet, tut einem gut. Wie nichtig kommt einem alles andre daneben vor! Mir ist jetzt, als könnte ich den ganzen Tag an nichts andres mehr denken als an diese armen Geschöpfe. Und doch, wer weiß, wie schnell sie mir aus dem Sinn kommen!«

      »Das ist wahr«, sagte Harriet. »Die armen Geschöpfe! Man kann an nichts andres mehr denken.«

      »Ich glaube wirklich nicht, daß mir dieses Bild so bald verblassen wird«, sagte Emma, als sie an die niedrige Hecke gelangten, wo der schmale, schlüpfrige Pfad durch den Garten der Leute endete, und über den wackligen Heckentritt stiegen, der sie wieder auf den Weg brachte. »Nein, ich glaube es nicht.« Sie blieb stehen und betrachtete noch einmal die elende Hütte, die ihr das größere Elend drinnen wieder vor Augen rief.

      »O Himmel, nein!« sagte ihre Freundin.

      Sie gingen weiter. Der Weg machte eine leichte Biegung, und als sie darüber hinaus waren, erblickten sie plötzlich Mr. Elton. Er war schon so nah, daß Emma nur noch sagen konnte:

      »Ach Harriet, da werden wir ja unverhofft auf die Probe gestellt, ob unsre guten Gedanken von Dauer sind. Na ja (sie lächelte), wenn das Mitleid gehandelt und den Notleidenden Linderung verschafft hat, so hat es hoffentlich getan, worauf es eigentlich ankommt. Wenn wir genug Herz für die Elenden haben, um zu tun, was in unsern Kräften steht, so ist das übrige bloß leere Wehleidigkeit, die uns nur selber bedrückt.«

      Harriet konnte nur noch antworten: »Ach Gott, ja!«, ehe der Herr sich zu ihnen gesellte. Doch kamen sie zuerst auf die Bedürfnisse und Leiden der armen Familie zu sprechen. Mr. Elton war gerade auf dem Weg dorthin. Nun wollte er seinen Besuch aufschieben, aber sie erörterten noch eingehend, was zu ihrer Hilfe getan war und weiter geschehen müßte. Mr. Elton kehrte schließlich mit ihnen um.

      Daß sie sich zufällig bei einem solchen Gang treffen, dachte Emma, daß sie sich bei einem Samariterdienst begegnen, wird sie einander noch viel lieber machen. Es sollte mich nicht wundern, wenn das die Erklärung herbeiführte. Wenn ich nicht dabei wäre, ganz gewiß. Wäre ich doch Gott weiß wo!

      Um sich von ihnen zu entfernen, soweit es ging, erstieg sie flink den schmalen Fußpfad, der auf der Böschung an der einen Seite entlanglief, und überließ ihnen den Hohlweg. Aber sie war noch nicht zwei Minuten dort oben, als sie sah, daß Harriet in gewohnter Abhängigkeit und Nachahmung ebenfalls heraufkam, so daß bald beide hinter ihr hertrotten würden. Das war nicht das Rechte. Sofort blieb sie stehen, bückte sich und machte sich am Schnürbändel ihres Halbschuhs zu schaffen, so daß sie den Pfad versperrte, und bat sie weiterzugehen, sie werde augenblicks nachkommen. Sie gehorchten. Und als ihr schien, sie könne sich nun nicht länger mit ihrem Schuh befassen, kam ihr wie gerufen ein anderer Anlaß, sich aufzuhalten. Ein Kind aus der Hütte holte sie ein, dem sie aufgetragen hatte, mit einem Krug nach Hartfield zu laufen und Fleischbrühe zu holen. Daß sie neben der Kleinen herging, mit ihr plauderte und sie allerhand fragte, war das Natürlichste von der Welt, oder wäre es gewesen, wenn sie es nicht für ihre Zwecke ausgenutzt hätte. Auf diese Weise konnten die andern vorausgehen, ohne auf sie warten zu müssen. Doch kam sie ihnen, ob sie wollte oder nicht, bald näher, denn das Kind lief schnell, während sie gemächlich dahinschlenderten; und Emma bedauerte es um so mehr, als sie offensichtlich in ein fesselndes Gespräch vertieft waren. Mr. Elton sprach sehr angeregt, und Harriet lauschte mit freudiger Hingabe. Und nachdem Emma das Kind weitergeschickt hatte, zerbrach sie sich den Kopf, wie sie es anstellen sollte, noch länger hinter ihnen herzutrödeln; doch da drehten die beiden sich um, und sie mußte mit ihnen weitergehen.

      Mr. Elton war noch mit irgendeiner interessanten Schilderung zugange. Emma war etwas enttäuscht, als sich herausstellte, daß er seiner schönen Begleiterin nur über den gestrigen Abend bei seinem Freund Cole berichtete, so daß sie nun gerade zu Stilton- und Northwiltshirekäse, Butter, Sellerie, roten Beeten und all den Nachspeisen zurechtkam.

      Natürlich würde dies bald zu etwas Ersprießlicherem geführt haben, sagte sie sich zum Trost; zwischen Liebenden ist alles interessant, und jedes Beliebige dient ihnen als Einleitung zu dem, was ihnen am Herzen liegt. Hätte ich mich nur länger fernhalten können!

      Sie spazierten nun schweigend zusammen weiter, bis der Zaun des Pfarrhauses in Sicht kam und Emma, rasch entschlossen, Harriet wenigstens Eintritt in sein Haus zu verschaffen, wieder etwas an ihrem Schuh zu nesteln fand und zurückblieb, um es in Ordnung zu bringen. Sie riß kurzerhand das Schnürband ab und ließ es flink im Graben verschwinden. Sie mußte nun die beiden bitten, stehenzubleiben, sie komme mit ihrem Schuh nicht zurecht, um leidlich nach Hause gehen zu können.

      »Ein Stück von meinem Schuhbändel ist weg«, rief sie, »ich weiß nicht, was ich machen soll. Ich bin für Sie beide wirklich eine lästige Begleiterin, aber hoffentlich bin ich nicht oft so schlecht ausgerüstet. Ich muß Sie um die Erlaubnis bitten, Mr. Elton, bei Ihnen einkehren und Ihre Haushälterin um ein Stückchen Band oder Schnur zu bitten, irgend etwas, womit ich meinen Schuh zubinden kann.«

      Mr. Elton strahlte bei diesem Vorschlag. Er überschlug sich geradezu vor freudigem Diensteifer und Liebenswürdigkeit, als er sie in sein Haus geleitete, und suchte alles möglichst vorteilhaft zu präsentieren. Er führte sie in das vordere Zimmer, sein eigentliches Wohnzimmer. Daran schloß sich ein zweites an, zu dem die Tür offenstand, und Emma ging mit der Haushälterin hinüber, um sich von ihr aufs allerbehaglichste helfen zu lassen. Sie mußte die Tür offenlassen, wie sie sie vorgefunden hatte, aber sie wünschte heiß, Mr. Elton möge sie schließen. Leider tat er’s nicht, sie blieb offen, doch Emma verwickelte die Haushälterin in ein pausenloses Gespräch, damit die beiden nebenan sprechen konnten, was ihnen beliebte. Zehn Minuten lang hörte sie nur sich selber reden. Länger ließ es sich nicht hinziehen. Sie mußte Schluß machen und wieder drüben erscheinen.

      Die Liebenden standen an einem der Fenster beieinander. Sie boten einen höchst befriedigenden Anblick, und eine halbe Minute lang frohlockte Emma – ihr Plan war gelungen! Aber es war nichts damit. Er war noch nicht zur Sache gekommen. Er war äußerst nett, er war reizend gewesen, er hatte Harriet erzählt, er habe sie vorbeigehen sehen und sei ihnen absichtlich gefolgt; noch andere kleine Schmeicheleien und Andeutungen hatte er fallen lassen, aber nichts Ernstliches gesagt.

      Vorsichtig, sehr vorsichtig! dachte Emma; er geht Zoll um Zoll vor und will nichts riskieren, will ganz sichergehen.

      Doch immerhin, wenn sie mit ihrer erfinderischen List auch nichts erreicht hatte, durfte sie sich etwas darauf zugute tun, den beiden Gelegenheit zu einem beglückenden Beisammensein verschafft zu haben, das sie dem großen Ereignis näherbringen mußte.

      Elftes Kapitel

      Wir müssen Mr. Elton nun sich selber überlassen. Es lag nicht mehr in Emmas Macht, sein Schicksal zu lenken und seine Entschlüsse zu beschleunigen. Die Ankunft der Familie ihrer Schwester stand bevor, und die Erwartung erst, dann ihre Gegenwart beschäftigten sie nun vor allen Dingen; und während der zehn Tage ihrer Anwesenheit, das wußte sie im voraus, konnte sie den Liebenden nur beispringen, wenn sich zufällig eine Gelegenheit bieten sollte. Immerhin konnten sie inzwischen weiterkommen, wenn sie nur wollten, und sie mußten irgendwie weiterkommen, ob sie wollten oder nicht. Sie wünschte sich kaum mehr Muße für sie. Es gibt Leute, die, je mehr man für sie tut, desto weniger selber tun.

      Mr. und Mrs. John Knightley waren länger als sonst nicht nach Surrey gekommen, was natürlich das bevorstehende Wiedersehen um so aufregender machte. Seit ihrer Heirat hatten sie jedes Jahr ihre langen Ferien zwischen Hartfield und Donwell Abbey geteilt. Dieses Jahr aber hatten sie all ihre freie Zeit auf Seebäder für die Kinder verwandt, es waren also viele Monate vergangen, seit sie in Ruhe mit ihren Verwandten in Surrey zusammengewesen waren. Mr. Woodhouse hatte sie überhaupt nicht gesehen, denn keine zehn Pferde brachten ihn nach London, nicht einmal der armen Isabella zuliebe; nun sah er natürlich sehr nervös, aber voller Vorfreude ihrem allzu kurzen Besuch entgegen.

      Er


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