Pferdesommer mit Lara. Ursula Isbel-Dotzler

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Pferdesommer mit Lara - Ursula Isbel-Dotzler


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merkte erst, dass ein Gewitter aufzog, als ich auf den Trampelpfad zum Waldsee abbog. Die Wolkengebirge hatten schwarze, tiefviolette und schwefelgelbe Ränder und in der Ferne sah ich Blitze zucken. Eine wunderliche, spannungsgeladene Stille herrschte. Die Vögel hatten aufgehört zu singen. Der See war dunkel wie ein Tintenklecks und glänzte geheimnisvoll.

      Ich dachte: Er wird nicht kommen. Fast gegen meinen Willen stieg Enttäuschung in mir auf. Doch vielleicht war es ja wegen des Ohrrings, den ich so dringend wiederhaben wollte.

      Sicher war es am besten, wenn ich umkehrte und nach Hause radelte, so schnell ich konnte. Vielleicht schaffte ich es noch vor dem Gewitter. Doch etwas in mir, das stärker war als meine Vorsicht und Vernunft, trieb mich dazu, den Pfad bis zu der Stelle weiterzufahren, wo ich gestern den Jungen, sein Pferd und seinen Hund getroffen hatte.

      Plötzlich fegte eine Windbö über den Wald, fuhr mit scharfem Geraschel durch das Schilf und bog die Halme tief nach unten. Zwei Mücken stachen mich in die Hände, ehe ich es verhindern konnte.

      Das Ufer lag verlassen im bläulich gelben Licht. Sie waren natürlich nicht gekommen. Es war dumm von mir gewesen, weitere fünf Minuten zu verlieren, statt mich sofort auf den Rückweg zu machen.

      Während ich wieder aufs Fahrrad stieg, lauschte ich noch immer und bildete mir ein, Geräusche zu hören, die der Wind mir von irgendwoher Zutrug – ein schwaches Klipp-Klopp und ein kurzes, verwehtes Bellen. Dann erklang Donnergrollen. Es wurde rasch dunkler; Blitze zuckten über den Himmel. Jetzt war es zu spät, um noch rechtzeitig nach Hause zu kommen, das wusste ich.

      Ich stieg vom Rad. Zwischen den Bäumen tauchte Bonnie auf. Sie kam zu mir, sprang an mir hoch und tat, als wäre ich eine lang vermisste Freundin. Ich hielt mit der linken Hand die Lenkstange fest und streichelte sie mit der rechten.

      Eine Windbö wirbelte mir Haarsträhnen ins Gesicht, sodass ich für Sekunden nichts sehen konnte. Doch ich hörte den Hufschlag jetzt ganz deutlich, und als ich mir die Haare zurückstrich, sah ich sie kommen.

      Der Gewitterwind trieb das silbrige Mähnenhaar und den Schweif der Stute fast senkrecht in die Luft, als wäre sie Pegasus, das geflügelte Pferd aus der griechischen Sage. Sie näherte sich im Galopp; ich glaubte zu spüren, wie der weiche Moorboden unter ihren Hufen zitterte.

      Dicht vor mir machten sie halt. Der Junge blieb im Sattel sitzen, beugte sich vor und fragte hastig und atemlos:

      »Weißt du, wo wir uns unterstellen können? Eine Scheune wäre gut. Hier am See ist es zu gefährlich, in der Nähe des Wassers schlägt leicht der Blitz ein.«

      Der alte Heuschober am Rand des Feuchtgebiets fiel mir ein, in dem Ronja und ich vor Jahren eine Marderfamilie entdeckt hatten. Ich nickte und stieg aufs Fahrrad.

      »Reite hinter mir her!«, rief ich über die Schulter. »Vielleicht schaffen wir’s noch rechtzeitig!«

      Der Wind kam jetzt von Westen und war gegen mich. Ich radelte geduckt, mit zusammengekniffenen Augen, weil jede Menge Blätter, Zweige und Rindenstücke durch die Luft wirbelten. Bonnie rannte neben mir her, als wäre alles nur ein wunderbares, aufregendes Spiel.

      Es war ein seltsames Gefühl, die Stute hinter mir zu wissen, ein mächtiges Wesen, dessen Tritte den Boden erschütterten. Jetzt zuckten überall Blitze auf und knallende Schläge folgten. Noch hatte uns das Gewitter nicht erreicht, noch gab es kurze Pausen zwischen den Blitzen und dem Donner.

      Während ich strampelte und gegen den Wind kämpfte, versuchte ich, mich zu erinnern, welche Abzweigung die beste war, um auf schnellstem Weg zum Heuschober zu kommen. Wir mussten noch ein Waldstück durchqueren. Dann kam ein Pfad zwischen Moorwiesen, der in ein Birkengehölz mündete.

      Das Gerumpel wurde von Minute zu Minute dramatischer. Einen Moment lang schoss mir der Gedanke durch den Kopf, das Pferd könnte plötzlich in Panik geraten und durchgehen. Womöglich hatte der Junge es irgendwann nicht mehr im Griff und es stürmte los und überrannte mich.

      Rasch sah ich mich um und merkte, dass Pferd und Reiter näher kamen und mich einholten. Der Junge hielt die Stute am kurzen Zügel. Jetzt ritten sie neben mir, in einigem Abstand, aber auf gleicher Höhe. Zwischen uns lief Bonnie.

      Noch immer kam kein einziger Tropfen vom Himmel, der wie ein schwerer dunkler Baldachin über uns hing. Ein unheimliches Pfeifen und Sausen ging durch die Luft. Es klang, als wäre ein Heer wilder Geister unterwegs.

      Der Pfad durchs Moor war zum Glück trocken, sonst wäre ich sicher mit dem Rad stecken geblieben. Büsche, Bäume und die hohen Sumpfgräser bogen sich in irrem Tanz. Ein gewaltiger greller Blitz zuckte über den Baumwipfeln des nahen Waldes auf. Ein ohrenbetäubendes Krachen folgte.

      Die Stute riss den Kopf hoch, wieherte angstvoll und begann zu steigen. Aus den Augenwinkeln sah ich, wie der Junge kämpfte, um im Sattel zu bleiben. Für einige Sekunden stand sie auf den Hinterbeinen. Im gespenstisch bläulichen Licht sahen sie wunderbar aus, unwirklich wie in einer Szene aus einem Fantasyfilm – ein Pferd, das einen blonden Ritter auf seinem Rücken in die Schlacht trägt.

      Das schrille Gewieher ging im Krachen des Donners unter. Ich radelte jetzt wie ein Weltmeister über holpriges Gelände, Zweige und Steine zwischen den Birkenstämmen durch. Schon prasselten die ersten schweren Tropfen wie Wurfgeschosse auf mich nieder.

      Im Schutz des Birkenwäldchens stand der alte Holzschuppen, kaum mehr als eine krumme Bretterbude, mit grauen Schindeln bedeckt. Eine Hälfte des Tores hing schief in den Angeln. Ich bremste scharf, ließ das Fahrrad fallen und war mit ein paar Sätzen im Innern der Hütte. Bonnie war an meiner Seite, raste um mich herum und schüttelte sich heftig.

      Im nächsten Moment führte der Junge die Stute herein.

      »Das war knapp!«, sagte er.

      Sein Gesicht glänzte vor Nässe, seine Haare klebten an der Stirn und den Schläfen. Er knotete die Zügel seines Pferdes zusammen, lockerte den Sattelgurt und klopfte Fees Hals, um sie zu beruhigen. Die Stute schnaubte und wich zur Bretterwand zurück. Ich konnte das Weiße in ihren Augen sehen.

      Ein weiterer Donnerschlag erschütterte die Hütte. Gleichzeitig tauchte ein Blitz sekundenlang alles wie in Scheinwerferlicht. Der Junge hatte einen Arm um den Hals seiner Stute gelegt und redete leise auf sie ein. Bonnie drängte sich zitternd an meine Beine.

      »Das klang, als hätte es ganz in der Nähe eingeschlagen«, sagte ich.

      »Ja, wir haben echt Glück gehabt. Ich hätte gar nicht erst losreiten sollen, aber ich dachte, die Wolken verziehen sich wieder.«

      Seine Augen funkelten, als wäre das Unwetter ein Abenteuer für ihn. Ein Rauschen wie von starker Brandung ließ uns aufsehen. Der Regen kam in wahren Sturzbächen vom Himmel, der Wind trieb Gischtwolken durch die Öffnung zwischen den Torflügeln und die Ritzen zwischen den Brettern.

      Wir suchten in der hintersten Ecke der Hütte Schutz, wo ein Holzstapel und Reste von altem Heu lagen. Draußen waren die Regenfluten so gewaltig, dass sie wie eine undurchdringliche weiße Wand wirkten. Es war, als wären wir in einer Luftblase unter Wasser. Rinnsale und kleine Bäche fluteten über den festgestampften Boden.

      Doch die Gewalt des Unwetters war gebrochen. Das Donnergrollen wurde schwächer und ferner und ging im Rauschen des Regens unter. Die Stute senkte jetzt den Kopf und schien sich zu entspannen, während Bonnie sich seufzend ins Heu legte.

      »Wir sind noch mal davongekommen.« Der Junge lachte leise. »Ich stell’s mir nicht gerade angenehm vor, vom Blitz erschlagen zu werden.«

      Darauf fiel mir keine Antwort ein. Eine Weile schwiegen wir und schauten auf den Regen, der hinter dem Spalt zwischen den Torflügeln mit unverminderter Heftigkeit vom Himmel strömte.

      »Bist du immer so schweigsam oder hat es was mit mir zu tun?«

      Sicher hielt er mich auch für eine Trantüte. Ich hatte geglaubt, es wäre mir egal, dass jeder mich so einschätzte, aber bei ihm machte es mir etwas aus.

      »Ich rede nur, wenn ich was zu sagen habe.« Das klang, als wollte ich mich verteidigen.

      »Kein


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