Pferdesommer mit Lara. Ursula Isbel-Dotzler

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Pferdesommer mit Lara - Ursula Isbel-Dotzler


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oder liege ich da falsch?«

      Ich erwiderte nichts. Wie hätte ich es ihm auch erklären sollen? Er sah mich kurz an, wandte dann den Blick von mir ab und sah zu Boden. Das Regenwasser war jetzt bei uns angelangt und lief mir in die Sandalen.

      »Tut mir leid«, murmelte er, und ich wusste, dass er nicht meine nassen Füße meinte.

      »Ihr könnt nichts dafür.« Ich wunderte mich selbst, dass ich das sagen konnte, aber es stimmte. Die Stute hatte den Kopf vorgestreckt und schnupperte an meinem Hals. Ihre Nüstern waren wunderbar weich und ihr warmer Atem hatte etwas Tröstliches.

      Unwillkürlich hob ich die Hand und strich mit den Fingerspitzen über ihren Nasenrücken. Er fühlte sich wie warmer Samt an. Plötzlich, ich hatte keine Ahnung weshalb, spürte ich, dass mir Tränen in die Augen stiegen. Ich wandte mich ab, doch nicht rasch genug. Der Junge hatte es schon bemerkt.

      »Du liebst Tiere«, sagte er. Seine Stimme klang sanft.

      So unvermittelt, wie die Regenflut eingesetzt hatte, endete sie auch. Die weiße Wand wurde durchsichtig, das Rauschen ließ nach. Es nieselte nur noch und alles war in blendende Helligkeit getaucht. Die Regentropfen blitzten wie Perlenschnüre im Licht. Wir hätten wieder gehen können. Trotzdem standen wir noch immer in der Hütte, mitten in einer großen Pfütze.

      »Übrigens, ich heiße Arne.«

      »Und ich Rikke.«

      »Ein schöner Name; hat es was mit einem Reh zu tun?«

      »Nein«, sagte ich. »Rikke mit zwei ›K‹.«

      »Trotzdem – er passt zu dir. Ist dir schon mal aufgefallen, dass es Menschen gibt, die einem bestimmten Tier ähnlich sehen? Du hast etwas von einem Reh, besonders deine Augen.«

      Das war das Beste, was ich seit Langem über mein Äußeres gehört hatte. Es war ein echtes Kontrastprogramm zu all den besorgten oder hämischen Bemerkungen über meine dünnen Arme und Beine und mein mageres Gesicht, an die ich mich fast schon gewöhnt hatte.

      Jetzt waren wir beide verlegen. Arne griff in seine Jeanstasche, zog ein zusammengefaltetes Papiertaschentuch heraus und gab es mir.

      Ich öffnete den kleinen Beutel aus Zellstoff. Dazwischen lag Ronjas Ohrring. Der Opal schimmerte geheimnisvoll im Licht.

      »Es ist fast ein Wunder, dass du ihn gefunden hast«, sagte ich leise.

      »Oder vielleicht ein Zeichen.«

      Ja, dachte ich, aber wofür? Mit Bonnie und Fee verließen wir die alte Scheune. Draußen glänzte und glitzerte die ganze Welt – die Wiesen, das Laub, der Himmel. Die Luft war voller Düfte. In der Mulde zwischen den Baumgruppen hatte sich ein kleiner See gebildet.

      Jeder Sonnenstrahl, der zwischen den Wolkenfetzen hervorkam, verbreitete einen fast überirdischen Glanz. Bonnie raste zur Mulde, war mit ein paar übermütigen Sprüngen im Wasser, drehte sich im Kreis und paddelte darin herum wie ein Biber. Mein Fahrrad lag in einer Pfütze. Ich hob es auf; der Sattel war schwarz vor Nässe, mein Rucksack total durchgeweicht.

      Arne zog den Sattelgurt fest. »Du kannst immer nach Eulenbrook kommen, wenn du Lust hast«, sagte er über die Schulter.

      Ich schüttelte den Kopf. Es würde nicht mehr das Gleiche sein, das wusste ich. Auch er musste es wissen.

      »Der Garten soll jedenfalls bleiben, wie er ist. Wir finden ihn schön, so verwildert. Er ist ein guter Platz für die wild lebenden Tiere, viel besser als die geschniegelten, aufgeräumten Gärten und Parks.«

      »Und das Haus?«, fragte ich, obwohl ich mir vorgenommen hatte, nicht nach Eulenbrook zu fragen.

      »Das Haus wird natürlich renoviert, sonst könnten wir es nicht bewohnen. Aber mein Vater will, dass es möglichst wieder so wird, wie es ursprünglich war. Er sagt, es ist ein sehr schönes Jugendstilgebäude und gehört eigentlich unter Denkmalschutz.«

      Ich hatte mir nie Gedanken darüber gemacht, ob Eulenbrook schön oder hässlich war. Wahrscheinlich war es für mich immer das verlassene, düstere, geheimnisvolle Schloss geblieben, das ich als Kind in ihm gesehen hatte.

      Arne Theisen schwang sich mit einer Leichtigkeit in den Sattel, die ich bewundernswert fand. Bonnie kam aus dem Regenteich, schüttelte sich und versprühte funkelnde Tropfen. Fee, die Stute, wich mit ein paar tänzelnden Schritten zur Seite.

      »Also dann, ciao, mach’s gut!«, sagte Arne. Es klang irgendwie zögernd.

      »Tschüs, und danke für den Ohrring.«

      Erst jetzt, als er losritt, fiel mir auf, dass er weder Reithelm noch Reitstiefel trug. Ich stieg aufs Rad. Das Leder des Sattels fühlte sich wie ein voll gesogener Schwamm an.

      Der Pfad durchs Moor war total aufgeweicht; deshalb fuhr ich in südliche Richtung, zur Landstraße. Arne folgte mir nicht. Er hatte den Pfad eingeschlagen, den wir gekommen waren.

      Ich ertappte mich dabei, dass ich mir Sorgen machte, er könnte sich verirren. Schließlich kannte er sich doch in unserer Gegend noch nicht aus und wir waren Hals über Kopf vor dem Ausbruch des Gewitters geflüchtet. Dabei war er mir bestimmt nur gefolgt und hatte nicht auf den Weg geachtet.

      Einen Augenblick lang überlegte ich, ob ich umkehren und ihm nachfahren sollte. Dann fiel mir Eulenbrook wieder ein und dass ich jetzt nie wieder dorthin konnte – auch seinetwegen. Außerdem hätte er es vielleicht falsch verstanden, wenn ich ihm gefolgt wäre. Er würde sich schon zurechtfinden; schließlich war er kein kleines Kind. Und überhaupt – was ging es mich an?

      7

      Nachts gingen weitere Gewitter nieder. Ich lag im Bett und lauschte dem nahen und fernen Donnergrollen, sah Blitze hinter den dünnen Vorhängen zucken und hörte, wie die Fichte im Nachbargarten rauschte und ächzte.

      Dabei dachte ich an Eulenbrook. Wenn das Haus erst renoviert werden musste, gab es vielleicht noch eine Art Gnadenfrist. Diesen Sommer konnten die Theisens bestimmt noch nicht einziehen. Doch die Vorstellung, dass ein Pulk von Handwerkern dort hämmerte und bohrte und die Stille des Hauses und des Gartens störte, dass sie Schutt und Mörtel in die Büsche warfen und ätzende Lösungen in den Teich kippten, war nicht viel besser. Eulenbrooks Dornröschenschlaf war endgültig vorbei.

      Am nächsten Morgen war der Himmel von Wolken verhangen, die Luft schwül und drückend. Ich duschte und zog meinen Badeanzug an, weil ich fand, dass ich darin nicht ganz so knochig wie im Bikini wirkte. Dann schlüpfte ich in die alte Jeans, die ich an den Knien abgeschnitten hatte, und suchte mein bestes Seidentop aus dem Schrank.

      Meine Mutter stand vor der Badezimmertür. Sie war gerade erst aufgestanden.

      »Fährst du zum Waldsee?«, fragte sie.

      Ich nickte.

      »Und hast du schon gefrühstückt?«

      »Nein«, sagte ich. »Aber ich nehme Obst mit.«

      »Du musst etwas Richtiges essen! Komm, ich mach dir rasch ein kleines Picknick zurecht …«

      Widerstrebend wartete ich, nahm den Korb mit nach unten und schnallte ihn auf dem Gepäckträger fest. Draußen war es heiß wie in einem Brutofen. Schon fünf Minuten später, als ich den Rand unseres Städtchens erreichte, war ich nass geschwitzt.

      Die Stechmücken empfingen mich wie ein Schwarm von Vampiren, noch ehe der See richtig in Sicht kam. Schweißbedeckte Haut rochen oder spürten sie offenbar schon von Weitem.

      Auch ich roch etwas von Weitem: Pferde. Erst jetzt gestand ich mir ein, dass ich gehofft hatte, Arne wieder hier zu begegnen, so wie gestern und vorgestern.

      Ich traf ihn wirklich an der gleichen Stelle, zusammen mit seiner Stute Fee und der Hündin Bonnie. Doch sie waren nicht allein. Ein blondes Mädchen war bei ihnen und neben Fee stand ein zweites Pferd mit kupferroter Mähne.

      Wenn es möglich gewesen wäre, ungesehen wieder zu verschwinden, wäre ich umgekehrt. Doch schon kam mir Bonnie kläffend entgegengerannt


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