Pferdesommer mit Lara. Ursula Isbel-Dotzler

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Pferdesommer mit Lara - Ursula Isbel-Dotzler


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im Gras, die Arme um ihre Knie geschlungen. Sie trug einen Bikini und war sehr schlank, hatte aber die richtigen Rundungen an der richtigen Stelle.

      Jetzt erkannte ich sie wieder. Ich hatte sie schon einmal gesehen: in Eulenbrook, beim Ausladen der Pferde.

      Ich stieg vom Rad und streichelte Bonnie, unschlüssig, wie ich mich verhalten sollte. Arne war aufgestanden und kam langsam auf mich zu.

      »Hi!«, sagte er. »Hoffentlich haben wir uns nicht auf deinem Platz breitgemacht.«

      Beinahe hätte ich geantwortet: Das tut ihr doch ständig! Stattdessen murmelte ich nur: »Hallo.«

      Das Mädchen sah abwartend zu mir herüber. Sie hatte schulterlanges silberblondes Haar und blaugrüne Augen und erinnerte mich an die kleine Seejungfrau in Andersens Märchen.

      »Setz dich doch zu uns«, sagte Arne.

      Das Mädchen schwieg noch immer. Als sie das Gesicht wieder abwandte, sah ich, wie ähnlich ihr Profil dem von Arne war. Sie musste seine Schwester sein.

      Sekundenlang wusste ich nicht, was ich antworten sollte. Dann schob ich mein Fahrrad weiter. »Lasst euch nicht stören«, murmelte ich. »Ich wollte sowieso nur ein paar Runden schwimmen und dann wieder verschwinden. Die Mücken sind abartig lästig.«

      Ich sorgte dafür, dass das halbe Seeufer zwischen mir und den beiden lag. Trotzdem hörte ich Bonnie bellen und sah die Köpfe der Pferde, die zwischen dem Schilf im Wasser standen, während ich auf der anderen Seite des Waldsees badete.

      Plötzlich vermisste ich Ronja wieder so sehr, dass es sich anfühlte, als würde sich mein Herz zusammenkrampfen. Ich sah ihre lachenden Augen mit quälender Deutlichkeit vor mir, das Grübchen in ihrem Kinn, den Schwung ihrer Lippen. Dort drüben saßen die beiden Geschwister mit ihrem Hund. Ich war wieder einmal ausgeschlossen und allein.

      Vielleicht würde das jetzt immer so sein, mein ganzes Leben lang.

      Als ich aus dem Wasser kam, stürzten sich die Mücken sofort auf mich, umkreisten mich mit ekelhaftem Sirren und ließen sich einfach nicht vertreiben. Obwohl es verteufelt heiß war, zog ich mich wieder an, um es ihnen nicht ganz so leicht zu machen.

      Vielleicht war es besser, wenn ich wieder nach Hause fuhr, auch wenn ich nicht wusste, was ich dort machen sollte. Ich wedelte mit meinem Badetuch in der Luft herum und hörte vom Ufer her Geplansche und lautes Schnaufen. Zwischen den Schilfhalmen tauchte Bonnies semmelfarbener Kopf auf. Sie kam an Land, nass wie ein Biber, schüttelte sich und trabte auf mich zu.

      Erst jetzt sah ich, dass sie etwas im Maul hielt, was wie eine zusammengeknüllte Plastiktüte aussah. Heftig wedelnd umkreiste sie mich, setzte sich dann vor mich hin und sah erwartungsvoll zu mir auf.

      »Hi, Bonnie!«, sagte ich. »Hast du mir was mitgebracht?«

      Ich hätte schwören können, dass ihre Augen lachten. Sie öffnete das Maul und ließ das Ding fallen, das sie zwischen den Zähnen gehalten hatte. Es war wirklich eine zusammengerollte, mit einem roten Gummiband umwickelte Plastiktüte.

      Bonnie wedelte wieder mit dem Schwanz und beobachtete mich ständig mit diesem erwartungsvollen Blick. Es war, als wollte sie sagen: Los doch, mach’s endlich auf, es ist für dich!

      Ich entfernte das Gummiband und öffnete die nasse Tüte. Der Inhalt war trocken geblieben. Eine Art Stift lag in der Tüte, eingehüllt in einen Fetzen Papier und umwickelt mit einem weiteren Gummiband. Auf dem Papier stand in Krakelschrift: Tod den Vampiren!

      Es war ein Mückenstift. Ich musste lachen. Bonnie, die mich nicht aus den Augen gelassen hatte, wedelte begeistert.

      Ich drückte ihr einen Kuss auf die nasse Nase und rieb mich gründlich mit dem Stift ein, während Bonnie sich genießerisch auf meinem Badetuch wälzte.

      Wenn ich einen Stift dabeigehabt hätte, hätte ich »Danke!« auf den Zettel geschrieben. Stattdessen pflückte ich ein Gänseblümchen, befestigte es mit einem der beiden Gummibänder am Mückenstift, steckte ihn in die Tüte zurück, rollte sie zusammen, umwickelte sie mit dem zweiten Gummiband und hielt sie Bonnie unter die Nase.

      »Da!«, sagte ich. »Bring das zurück! Bitte bring es zu Arne. Hast du mich verstanden?«

      Ich hätte mich nicht gewundert, wenn sie genickt hätte. Vorsichtig nahm sie das Päckchen zwischen die Zähne, stand auf, drehte sich um und wandelte würdevoll davon, diesmal nicht ins Wasser, sondern am Schilfgürtel des Ufers entlang. Ihr stämmiges Hinterteil mit dem hoch aufgerichteten Schwanz zeigte deutlich, wie stolz und wichtig sie sich fühlte.

      Ich blieb noch fast eine Stunde und wartete irgendwie darauf, dass noch etwas passieren würde – was, wusste ich nicht so genau. Die Mücken ließen mich jetzt einigermaßen in Ruhe. Dafür tauchten die ersten Badegäste auf, legten sich ganz in meine Nähe und schnatterten wie verrückt. Ins Wasser wollte ich nicht mehr gehen, weil ich dachte, dass die wunderbare Wirkung des Stifts dann wieder verfliegen würde.

      Als noch ein paar Typen aus meiner Schule mit ihren Rollern angebrettert kamen, sich mit lautem Geschrei ins Wasser stürzten und wild um sich spritzten, stieg ich aufs Rad und fuhr davon. Dabei machte ich einen großen Bogen um die Stelle, an der ich Arne und seine Schwester getroffen hatte. Sie sollten nicht denken, dass ich mich anbiedern wollte, falls sie noch da waren.

      Das Haus war leer, als ich zurückkam. Auf dem Küchentisch lag einer von Mamas Zetteln. »Essen ist im Kühlschrank«, stand darauf. »Mach es dir warm. Nicht vergessen!«

      Ich setzte mich auf die Terrasse, aber da war es so heiß, dass ich wieder ins Haus ging und kalt duschte. Als ich die Jeansshorts auszog, hörte ich Arnes Zettel in der Gesäßtasche rascheln.

      Später nahm ich den Zettel mit in mein Zimmer und lehnte ihn gegen Ronjas Foto, das in einem Holzrahmen auf dem Schreibtisch stand. Die Krakelschrift war feucht geworden und etwas zerflossen, aber ich konnte die Botschaft noch immer entziffern: Tod den Vampiren!

      8

      Am nächsten und übernächsten Tag regnete es in Strömen.

      Ich half meinem Vater im Fotoladen, ein Regal einzuräumen. Dann dekorierte ich das Schaufenster. Das war eine Arbeit, die ich gern machte. Meine Eltern behaupteten auch, ich hätte Talent dafür.

      Diesmal verteilte ich einen Eimer Sand aus dem Baumarkt in der Auslage, drapierte ein paar Muscheln und eine Brille darauf, dazwischen ein aufgeschlagenes Buch und davor einen von den alten Fotoapparaten, die wie kleine schwarze Ziehharmonikas aussehen. Sie gehörte meinem Vater. Er sammelt alte Kameras.

      Eigentlich war ich froh über den Regen. Ich konnte mich einfach unter meinem Schirm verkriechen und so tun, als würde ich niemanden sehen. Doch in diesem Fall sah ich wirklich nichts.

      Es war in der Fußgängerzone auf dem Stadtplatz vor dem Rathaus. Ich hatte den Schirm aufgespannt und hielt ihn so tief wie möglich über meinem Kopf. Plötzlich quietschte ganz in meiner Nähe eine Fahrradbremse. Ich hörte ein schlitterndes Geräusch und dann einen klappernden Aufprall.

      Als ich den Schirm hob, stand Bonnie vor mir. Hinter ihr lag ein Fahrrad. Der Radfahrer, ein Mann um die vierzig, kauerte daneben und machte ein wütendes Gesicht.

      »Kannst du nicht auf deinen Hund aufpassen!«, schrie er mich an.

      »Das ist eine Fußgängerzone«, sagte ich möglichst cool. »Wenn hier jemand aufpassen muss, sind Sie’s.«

      Jetzt tauchte Arne auf. Er trug einen Anorak mit Kapuze und ich erkannte ihn erst auf den zweiten Blick.

      »Entschuldigung«, sagte er zu dem Radfahrer. »Haben Sie sich verletzt?« Er griff nach seinem Arm, um ihm hochzuhelfen, doch der Mann schüttelte ihn ärgerlich ab.

      »Könnt ihr euren Köter nicht an die Leine nehmen?«, schimpfte er.

      Ich bückte mich und streichelte Bonnie. Schon standen vier sensationslüsterne Leute mit ihren Regenschirmen um uns herum.

      Arne blieb ruhig. »Mein Hund ist kein Köter«, erwiderte


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