Gesammelte Werke. Ricarda Huch

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Gesammelte Werke - Ricarda Huch


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daß Sickingen bei den Gesprächen, die sich entspannen, mehr der Zuhörende war. Auf theologischem Gebiet hatte er mehr zu fragen als mitzuteilen und in bezug auf die kriegerischen Unternehmungen, die er vorhatte, war er sehr zurückhaltend. Überhaupt war er, obwohl aufrichtig und durchaus zuverlässig, doch verschlossen: über seine letzten Ziele sprach er nicht. Er hatte für die Wahl Karls V. gewirkt, war in den Dienst des Kaisers getreten, hatte dem Geldbedürftigen eine beträchtliche Summe aus seinem Vermögen vorgestreckt, er traute sich Einfluß auf den jungen Kaiser zu und setzte sich dafür ein, daß Luther gestattet werde, auf dem Reichstage seine Lehre zu verteidigen. Als Friedrich der Weise vor dem Reichstage in Köln war, lud er Sickingen zu Tisch, um sich mit ihm über Luthers Angelegenheit zu verständigen. Als Luther nach dem Reichstage verschwand, glaubten viele, er befinde sich auf einer von Sickingens Burgen.

      Wie Sickingen überhaupt in einem Wahn über sein Vermögen lebte, war es vielleicht Überschätzung seines Einflusses auf den Kaiser, daß er Huttens Ungeduld, der sich nach Taten sehnte, mit der Mahnung zurückhielt, es sei noch nicht Zeit. Während der aufregenden Wochen, die der Eröffnung des Reichstages und dann wieder dem Auftreten Luthers vorausgingen, blieb ihm nichts übrig, als seinen Tatendrang in Schriften auszuströmen, die Revolution durch sein Wort vorzubereiten. Es war durchaus zweckmäßig, daß er Bundesgenossen warb. Immer dringender rief er den Kaiser, den Kurfürsten von Sachsen, das deutsche Volk, insbesondere die Städte an. Bedenkt man, was an gegenseitiger Erbitterung und an Rachegefühl zwischen Rittern und Städten lag, wieviel Ursache dazu die Ritter den Städten gegeben hatten, so ermißt man die Energie von Huttens revolutionärem Willen, der, was die Kaiser Siegmund und Maximilian vergeblich erstrebt hatten, die Erbfeinde und Erbhasser zu einem gemeinsamen Zweck verbinden wollte. Ermutigend war die Neigung mehrerer südwestdeutscher Städte zum Evangelium: die Gemeinsamkeit des Glaubens und der gemeinsame Gegensatz zu den Fürsten konnten ein Band bilden über die alte Feindschaft hinweg.

      Schon in der Klag und Vermahnung gegen den unchristlichen Gewalt des Papstes vom Ende des Jahres 1520 hatte Hutten sich aufmahnend auch an die Städte gewendet und seine ganze Wärme, Treuherzigkeit und Freimütigkeit in die kunstlosen Verse gelegt: »Den stolzen Adel ich beruf, – Ihr frommen Städt, euch werfet uf: – Wir wollens halten ingemein – Laßt doch nit streiten mich allein – Erbarmt euch übers Vaterland – Ihr werten Teutschen, regt die Hand! – Itzt ist die Zeit zu heben an – Um Freiheit kriegen … Gott wills han.« Eingehend begründet er seinen Antrag in dem Gespräch ›Die Räuber‹, das er anfangs 1521, während des Reichstags, vollendete. Einem Kaufmann, der die Ritter für Räuber erklärt, wird hier entgegengehalten, wer in Wahrheit Räuber sei, nämlich zum Teil wohl die Ritter, mehr aber die Kaufleute selbst, indessen vor allen die Juristen und die Pfaffen. Gegen diese Räuber müssen Ritter und Städte sich vereinigen. Hutten läßt Sickingen, der eingesehen hat, daß die Städte wie er die Freiheit lieben, Versöhnung mit den einst Befehdeten suchen. Als nach der Abreise des Kaisers das neubegründete Reichsregiment zusammentrat, in dem die Ritter gar nicht, die Städte zu wenig vertreten waren und sowohl Ritter wie Städte reichlich über Benachteiligung zu klagen hatten, rückte Hutten den gemeinsamen Gegensatz gegen die Fürsten in den Vordergrund. Wieder erhebt er in einem deutschen Gedicht, der Beklagung der Freistädte deutscher Nation, die hinreißende Stimme des treuen Warners, schildert, wie unmöglich es ist, gegen die Übergriffe der Fürsten Recht zu finden, ihre Habsucht, ihren unersättlichen Rachen: »Den Adel hat er gfressen schon – Jetzt will er zu den Städten gohn – Den setzt er auf ein neuen Zoll – Sag an, du Wolf, wann bist du voll!« Diesem leidenschaftlichen Anstürmen Huttens begegnete kein Widerhall außer von einzelnen, die ebensowenig Macht hatten wie er. Von befreundeter Seite dagegen wurde er nun mit Vorwürfen überhäuft, daß seinen Drohungen keine Taten folgten, daß er den Hunden gleiche, die bellen, aber nicht beißen. Von Sickingen nicht unterstützt, glaubte der verzweifelte Ritter, der in der letzten Zeit wieder krank gewesen war, allein den Pfaffenkrieg eröffnen zu müssen; er kündigte Fehden gegen Geistliche an, die ihn beleidigt hatten, und soll auch einmal Geistliche auf der Straße überfallen haben; es waren gleichsam Aufrufe, den Mitstreitern gegebene Zeichen zum Losbruch, die aber höchstens Staunen oder Unwillen erregten. Inzwischen hatte Sickingen für den Kaiser gegen Frankreich die Waffen ergriffen, kehrte aber erfolglos und unbefriedigt aus dem Feldzuge zurück. Sein Verhältnis zum Kaiser war verschlechtert; vielleicht hatte er ein zu hohes Gefühl von sich, um überhaupt irgendeinem, sei es auch der Kaiser, auf die Dauer gern zu dienen. Nachdem Karl sich im Frühling 1522 nach Spanien eingeschifft hatte, hielt er den Augenblick zur Tat für gekommen.

      Es scheint nicht anders möglich, als daß die beiden Freunde, wenn sie von irdischen und überirdischen Dingen miteinander sprachen, auch Sickingens Kriegspläne und was er damit bezweckte, beredeten und festsetzten; allein es ist davon nichts auf uns gekommen. Immerhin ist anzunehmen, daß das Programm Huttens auch das Sickingens war: das Hauptstück desselben bildete eine große Säkularisation geistlicher Güter. Sie sollten verwendet werden zur Armenpflege und zu Bildungszwecken, hauptsächlich aber zum Unterhalt eines Reichsheeres, das die kaiserliche Macht heben und zugleich den Rittern Beschäftigung und Besoldung verschaffen sollte. Es wäre damit die seit langem für nötig erachtete Stärkung der Zentralgewalt durchgeführt und für das Problem des Ritterstandes eine Lösung gefunden. Allerdings war vorauszusehen, daß der Plan die Fürsten gegen sich haben werde, die weder von der Stärkung der Zentralgewalt noch von der Hebung der Reichsritter etwas wissen wollten. Ob dieser Widerstand ins Auge gefaßt wurde und wie er überwunden werden sollte, wissen wir nicht: die Säkularisation war das Ziel, und mit dem benachbarten Kurfürsten von Trier sollte begonnen werden.

      Ein Narr ist, wer den Feind verachtet, sagt ein altes deutsches Sprichwort. Vielleicht war es mehr Überschätzung der eigenen Kräfte als Unterschätzung des Gegners, des sehr tatkräftigen und kriegstüchtigen Richard von Greifenklau, daß Sickingen ihn zum ersten Angriff erwählte. Weil man ihn für unüberwindlich hielt, glaubte er es zu sein, und weil er es zu sein glaubte, hielt man ihn dafür. Trier hatte sich zur Zeit der Kaiserwahl bis zum letzten Augenblick nachdrücklich für Frankreich eingesetzt: es war anzunehmen, daß der Kaiser eine Bestrafung dieses Fürsten nicht ungern sehen würde. Der Umstand, daß Sickingen des Kaisers Sache zu führen schien, wenn er den Kurfürsten bekämpfte, mochte mit ins Gewicht fallen. Schon während des Wormser Reichstages war von seinem bevorstehenden Zuge gegen Trier die Rede. Im August 1522 schloß er in Landau die südwestdeutsche Ritterschaft in ein Verbündnis zusammen. Sickingen ward zum Bundeshauptmann bestimmt; man verpflichtete sich zu gegenseitiger Unterstützung. Dann sammelte er ein Heer und sagte dem Kurfürsten Fehde an, wozu ein Vorwand in der üblichen Art gefunden wurde. Sickingens nächste Freunde sahen das Unternehmen mit Sorge; sie waren der Meinung, daß seine Macht dazu nicht ausreiche. Der getreue Balthasar Schlör, derselbe, der Anlaß zu der großen Franzensfehde gegen Worms gegeben hatte, warnte in einem ausführlichen Schreiben, der Astrolog, durch den Sickingen bei seinen Unternehmungen die Richtung des Schicksals erforschte, wollte drohende Zeichen gesehen haben; aber schon hatte sich die Verblendung, die den Blick der zum Untergang Bestimmten umschattet, seiner bemächtigt; sein Stolz ließ sich nicht erschrecken.

      Auf die Abmahnung des Reichsregiments antwortete er, er sei willens, ein besseres Recht in Deutschland aufzurichten. Was die Aufforderung betreffe, seinen Handel vor das Kammergericht zu bringen, so habe er ein Gericht um sich, das mit Reisigen besetzt sei und mit Büchsen und Kartaunen distinguiere. Indes, trotz seiner Zuversicht mußte er Mitte September die Belagerung der Stadt Trier aufgeben, die unter der persönlichen Leitung des Erzbischofs Widerstand leistete. An einen unglücklichen Ausgang dachte Sickingen noch nicht; aber da er auf einen Gegenangriff des Feindes gefaßt sein mußte, hielt er es für richtig, seine Freunde und Schützlinge zu entlassen, denen seine Burgen kein sicheres Asyl mehr sein konnten. Hutten hatte während der letzten Monate gekränkelt, sonst hätte er wohl Sickingen auf seinem Zuge begleitet. Der Herbst entblätterte die Bäume, als Martin Butzer und Oekolampad den Ritter verließen, um sich der eine nach Straßburg, der andere nach Basel zu begeben; sie gingen ins Ungewisse, dunkle Ahnungen mögen sie bedrückt haben. Ob Hutten in ihrer Gesellschaft war, weiß man nicht. In den verflossenen Tagen glücklichen Zusammenseins hatte Hutten für den ungelehrten Ritter seine Gespräche ins Deutsche übertragen und der Ausgabe eine Zueignung vorausgehen lassen, die das schönste Denkmal einer heroischen Freundschaft ist. Hutten spricht von dem Glück, das Gott ihm gewährt


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