Gesammelte Werke. Ricarda Huch

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Gesammelte Werke - Ricarda Huch


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Zeit gehabt, bist du mir, nit mit tröstlichen Worten, sondern hilftragender Tat begegnet, ja, mag ich sagen, vom Himmel herabgefallen … Du hast dich nicht durch Schrecken meiner Widerwärtigen von Verfechtung der Unschuld abziehen lassen, sondern aus Liebe der Wahrheit und Erbarmnis meiner Vergewaltigung für und für über mir gehalten. – Dagegen die boshaftigen Kurtisanen und Romanisten, die mich verlassen gemeint, und deshalb beinah einen Triumph von mir geführt hatten, da sie gesehen, daß ich mich an eine feste, unerschütterte Wand gelehnet hab, ihren Stolz und Übermut gegen mich etwas niedergelassen, sich fast eingetan und kleinen Lauts worden.« Zum Dank verspricht er ihm, was einst Virgil zwei verdienten Jünglingen zugesagt habe: »Wo etwas mein Geschrift vermag – Dein Lob muß sterben keinen Tag.« Nun, da der Untergang kam, konnten sie beide ihr heldisches Gemüt zeigen, und sie taten es.

      Während des Winters nahm der Kurfürst von Trier, der sich inzwischen mit dem Landgrafen von Hessen und dem Kurfürsten von der Pfalz verbündet hatte, die Burgen der Ritter, die in Sickingens Heer gekämpft hatten; es waren darunter Grafen von Zollern, von Fürstenberg, von Löwenstein, ein Rosenberg, ein Hutten, Gemmingen, Hilcken von Lorch, Dalberg und andere, auch der begeisterte Anhänger Luthers Hartmut von Kronberg. Ihre Treue vergalt Sickingen mit Treue: er weigerte sich, Frieden zu schließen, wenn nicht den beraubten Freunden das Ihre zurückgegeben würde. Die Fürsten gingen nicht darauf ein und begannen im Frühling den Belagerungskrieg; zunächst wendeten sie sich gegen Landstuhl, wo Sickingen sich verschanzt hatte. Bald mußte er erfahren, daß er sich im Vertrauen auf Unterstützung Gleichgesinnter sowie auf die Widerstandsfähigkeit seiner Burgen verrechnet hatte. Die Ritterschaft hielt eine Versammlung ab, um über etwaige kriegerische Schritte zu beraten, hatte aber, vom Reichsregiment abgemahnt, nicht den Mut, etwas zu unternehmen; die Städte rührten sich überhaupt nicht. Vergebens ging Hartmut von Kronberg nach Böhmen, dort um Hilfe zu werben. Noch fühlte sich Sickingen, blieb er auch mit wenigen Freunden allein, in Landstuhl persönlich sicher; aber die für uneinnehmbar gehaltenen Mauern brachen vor dem Geschütz der verbündeten Fürsten in wenigen Tagen zusammen. Man riet ihm zu fliehen, aber er hätte es für unehrenhaft gehalten, seine Diener zu verlassen. Seinen jüngsten Sohn jedoch, den er bei sich gehabt hatte, schickte er unter der Obhut Balthasar Schlörs fort, und es glückte ihnen, den Feinden zu entgehen. Als Sickingen bei einer Besichtigung an ein Schießloch kam, wurde er durch einen Schuß, der gerade dorthin fiel, auf einige spitze Hölzer geworfen, die ihn tödlich verwundeten. Er ließ sich in ein dunkles Gewölbe tragen, wohin die Geschosse nicht dringen konnten, und die Fürsten um eine Besprechung ersuchen. Sie verlangten Ergebung Sickingens und der Edelleute, die bei ihm in der Burg waren, zu ritterlichem Gefängnis. Er ging darauf ein, indem er sagte: »Ich will ihr Gefangener nicht lange sein.« Die Fürsten traten an das Lager des Verwundeten, wechselten einige Worte mit ihm und machten dann dem Kaplan Platz, der ihm die Beichte abnehmen wollte. Sickingen sagte, er habe Gott in seinem Herzen gebeichtet, der Kaplan möge ihm die Absolution sprechen und ihm das Sakrament zeigen. Gleich darauf starb er; es war der 7. Mai 1523. Wenn sein Ende gezeigt hatte, daß er weit weniger mächtig war, als er zu sein wähnte, so hatte er doch bis zuletzt die stolze und großmütige Haltung bewahrt, zu der sein Wahn von Macht und Größe ihn verpflichtete, durch die er die Fürsten, die als Triumphierende zu ihm traten, fast zu Beschämten machte. Der unnahbarste Herrscher von allen, der Tod, trat auf seine Seite.

      Für diejenigen, die Sickingen geliebt und verehrt und von seinen Taten Entscheidendes erwartet hatten, war sein Fall eine schmerzliche Erschütterung. Der Tapfere und Bescheidene, der Aufrechte und Hilfsbereite war nicht mehr, die feste Wand, an die sie sich gelehnt hatten, war gebrochen; aber sie fühlten daneben, daß auch für Deutschland eine Hoffnung verloren war. Der Weg zur Reichsreform, den viele bedeutende Geister für den wünschenswerten gehalten hatten, mußte aufgegeben werden; für Ritter und Städte kam die Stunde nicht wieder.

      Hutten ging, nachdem er sich von Sickingen getrennt hatte, bitteren Erfahrungen entgegen. Zwar empfand er in Basel sogleich, daß er in einem freien Lande war; der Rat und ausgezeichnete Gelehrte begrüßten den humanistischen Ritter, obwohl er gebannt und verfolgt war, ehrenvoll. Der aber, an dessen Teilnahme ihm besonders gelegen war und auf dessen Teilnahme er besonders glaubte rechnen zu dürfen, Erasmus, peinlich berührt durch die Anwesenheit des kranken Flüchtlings, ließ ihn ersuchen, von einem Besuch abzusehen. Hutten war leidenschaftlich entrüstet. Was sich an Groll bereits in ihm angesammelt hatte darüber, daß Erasmus, der wie kaum ein anderer Luther vorgearbeitet hatte, sich der katholischen Kirche wieder näherte, um, wie Hutten meinte, sich die Gunst des Papstes und katholischer Fürsten zu erhalten, brauste bei dieser Kränkung auf. Daß Erasmus aus Feigheit und Eigennutz, so sah Hutten es an, seine Überzeugung verriet, das erhob den Rächer persönlicher Beschimpfung zu einem Rächer allgemeiner Ehre. Einem Unglücklichen, Flüchtigen, ganz Hilfslosen die Tür zu verschließen, das war eine Handlung, deren Kleinlichkeit ihm Ekel einflößte. Nach der Gewohnheit der Zeit wurde der Streit, der sich daraus entspann, öffentlich, den heftigen Angriff Huttens wehrte Erasmus durch eine gehässige Erwiderung ab. Er konnte manches zu seiner Verteidigung sagen. Auch er hatte hohe Ziele gehabt: eine reinere Religion, veredelte Sitten, den Geist bereichernde Kenntnisse. Dafür hatte er gearbeitet und dazu einen guten Grund gelegt. Warum sollte er Luther beipflichten, der aus seiner Arbeit Nutzen zog – denn er, Erasmus, hatte ja die Geister vorbereitet – und ihm nun das Ziel verrückte. Die Sitten, die er verfeinern wollte, wurden durch gegenseitiges Beschimpfen vergröbert, an die Stelle des kirchlichen Aberglaubens trat der lutherische, der Erasmus schlimmer schien, weil der alte äußerlicher und infolgedessen leichter abzuschütteln war, und die Wissenschaften, die er aus dem Gestrüpp der Scholastik herausgearbeitet hatte, wurden durch theologisches Gezänk von neuem verschüttet. Hutten sah es anders; er sah den Befreier, der sich selbst die Ketten wieder anlegte, weil sie von Gold waren, die behutsame, vorsichtig abwägende Art des Erasmus in einer großen Angelegenheit war ihm widerwärtig, ihm, der wie kaum ein anderer Deutscher etwas vom Adlerrauschen der Freiheit in seinem Wort und Wesen aufgefangen hat.

      Wie Hutten voraussagte, hat die Kirche dem Erasmus seine Halbheit nicht gedankt, sondern ihn fast mehr gehaßt als Luther. Einen offenen Feind kann man achten, mit einem, der sich hinter der Maske des Freundes verbirgt, ist keine Versöhnung möglich. Seine eigentlichen Gesinnungsgenossen aber ließ sein Übergang zur Kirche seine schöne Frühzeit fast vergessen. Mag man immer die Tragik im Schicksal des Erasmus verstehen, das ihn von seiner eigenen Vergangenheit trennte und von denen, die ihn am glühendsten verehrt hatten; liebenswerter erscheint uns der verlassene Hutten und erscheint uns Zwingli, der dem kranken und bettelarmen Verfolgten die hilfreiche Hand bot. Denn nach Zürich ging Hutten, nachdem der Rat von Mühlhausen, obwohl selbst lutherfreundlich, ihn nicht mehr vor der Wut der Katholiken schützen zu können glaubte. Trotz der Verdächtigungen des Erasmus nahm sich Zwingli werktätig des Flüchtlings an. Zunächst wurde ein Versuch gemacht, den Schwerkranken zu heilen. Es fügte sich günstig, daß der Abt von Pfäfers ein Freund der Reformation und ein warmherziger Mann war, der Hutten aufs freundlichste aufnahm, damit er die Heilkraft der dortigen berühmten Bäder versuche. Der außergewöhnlich regnerische Sommer jedoch kältete die Quellen so aus, daß es nötig wurde, den Gebrauch auf eine bessere Zeit zu verschieben. Eine neue Aussicht auf Genesung eröffnete ein Freund Zwinglis, der Pfarrer Hans Schnegg: verborgen auf der Insel Ufenau im Zürichsee sollte sich Hutten seiner Behandlung unterziehen. Dort, unter der Pflege eines wohlwollenden Mannes, möchte man hoffen, daß der Kranke noch einige freundliche Sommertage erlebt habe. Vielleicht war ihm die Begegnung mit dem kräftigen Zwingli, zu dem er im Grunde besser stimmte als zu Luther, der einzige helle Ausblick inmitten des Zusammenbruchs seiner Hoffnungen. An einem der letzten Tage des August oder der ersten des September starb er. Er hinterließ nichts, so erzählte Zwingli, als seine Feder. In Wahrheit hinterließ er außerdem noch einen unausgesprochenen Auftrag. Als er in Mühlhausen die Nachricht von Sickingens Ende erfahren hatte, verfaßte er eine Schrift gegen die Fürsten, die ihn besiegt hatten, und schickte sie einem Freunde zur Veröffentlichung. Dieser, Eoban Hesse, ein guter, treuer Mann, hätte sich des Auftrags kaum entledigt, da er inzwischen in den Dienst des Landgrafen von Hessen getreten war; vielleicht aber ist die Schrift gar nicht in seine Hände gelangt. Sie ist verloren und nie wieder aufgefunden, nur den Titel kennen wir, den er ihr gab: über Jahrhunderte hinweg sucht Hutten den Erben, der mit seiner Feder die leeren Seiten ausfülle, über die er die Anschrift setzte: In tyrannos.

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