Gesammelte Werke. Ricarda Huch

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Gesammelte Werke - Ricarda Huch


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href="#ub44d8859-03de-5c4e-9d62-3d2347fb5ecd">Inhaltsverzeichnis

      In einem Hutten zugeschriebenen Gespräch, Der neue Karsthans betitelt, treten Sickingen und ein Bauer auf. Der Bauer beklagt sich über die Quälereien der Pfaffen und meint, wenn sie, die Bauern, nur einen Hauptmann hätten, würden sie schon etwas ausrichten können. Sickingen antwortet verständnisvoll, aber doch ausweichend. Wenn man sich vorstellt, wie lange schon auf eine bevorstehende Erhebung des armen Mannes hingewiesen wurde, wie natürlich es war, daß der allgemeine Drang nach Umwälzung auch die Bauern ergriff, daß sie bei der Verteilung der geistlichen Güter, von der so viel gesprochen wurde, ihren Anteil verlangten, und was für eine Macht die unzufriedene, mit Recht unzufriedene Masse dem verleihen konnte, der sie vertrat und anführte, so wundert man sich, daß Revolutionäre sich dieser Macht nicht bedienten. Das besondere Verhältnis aller übrigen Stände zu den Bauern erklärt das. Man verachtete sie, weil es üblich war, aber man verachtete sie auch, weil man sie sonst nicht in der Weise hätte ausbeuten können, wie es geschah. Die Verachtung mußte den Grund liefern, warum man sie als Knechte aller für alle arbeiten ließ; weil sie zur Sklaverei geboren, nicht viel mehr als Tiere waren, hatte man das Recht, sie zu benützen, wie man Tiere benützt. Mit diesen Menschen in der Tiefe sich einzulassen, bedeutete eine Selbsterniedrigung, vor der es den höheren Ständen graute; man kann glauben, daß es Sickingen Ernst war, als er jede derartige Absicht leugnete. Bedenken mochte er auch, daß die Abgaben der untertänigen Bauern die hauptsächlichen Einkünfte der Ritter bildeten und daß man sie schwerlich gegen einen Teil ihrer Herren aufreizen konnte, ohne die Stellung aller Herren ins Wanken zu bringen. Die Vereinigung von Rittern, Städten und Bauern, fast des gesamten Volkes, gegen Klerus und Fürsten kam nicht zustande, Sickingens Erhebung blieb das Abenteuer eines einzelnen, das so recht die Zerfahrenheit und Ziellosigkeit des Ritterstandes verriet.

      Das Reichsregiment, das durch den Einfluß des Kurfürsten von Sachsen der lutherischen Richtung geneigt war, bereute, Sickingen geächtet zu haben, als seine Gegner die Fehde mit viel größerer Macht fortsetzten. Die Mahnung, den Handel vor das Kammergericht zu bringen, beachteten sie so wenig, wie Sickingen getan hatte; auf dem Reichstage zu Nürnberg im Jahre 1524, ein Jahr nach Sickingens Fall, bewirkten sie, vereint mit der Mehrzahl der übrigen Stände, daß das Regiment gestürzt wurde. Um ein ständisches Regiment hatten die Fürsten erst mit Maximilian I., dann mit Karl V. gerungen, nun sie durchgesetzt hatten, daß es eingerichtet wurde, weigerten sie sich, ihm zu gehorchen, genau so, wie sie es dem Kaiser gegenüber taten. Deutlich zeigte sich, daß die Fürsten überhaupt niemand über sich haben wollten. Friedrich der Weise, der seit so langer Zeit sich um ein Reichsregiment bemüht hatte, gebrechlich wie er ohnehin geworden war, verließ in düsterer Stimmung den Reichstag. Die Reichsreform hatte eine Stärkung der Zentralgewalt durchführen sollen, die einen wollten sie kaiserlich, die anderen ständisch: nach unendlichen Kämpfen war das Ergebnis, daß es überhaupt keine Zentralgewalt mehr gab, wenigstens solange der Kaiser nicht in Deutschland war. Einige Wochen nach dem Schluß des Reichstages brachen in Franken und auf dem Schwarzwald die ersten Bauernaufstände aus. Zwischen diesen beiden Ereignissen war wohl kein bewußter, aber doch ein Zusammenhang unterirdischer Strömungen. Ein kaiserlicher Rat, der den Kurfürsten von Sachsen von der Beurlaubung des Regiments brieflich in Kenntnis setzte, fügte hinzu: »Reim dich, Bundschuh! … Wir Deutschen samt dem ganzen Reich sind ohne einen Hirten; also, lieber frommer Kurfürst, kommt es auf unser Prophezei … Gott, unser Erlediger, komm uns zu Hilf, es ist große Zeit!« Nach dem Scheitern der ständischen Reform versuche durch die Stände selbst, drängte sich noch einmal die andere Lösung vor, die des Kaisers Macht stärken wollte, diesmal getragen durch die Bauern und einen Teil der Städte. Der arme Mann in Stadt und Land erhob sich, schwerfällige Massen, doch nicht ohne Ordnung und ohne Recht.

      Niemals wird sich genau bestimmen lassen, wie eigentlich im Reich die Lage der Bauern um die Jahrhundertwende war. Sie war in verschiedenen Gegenden verschieden und war an manchen Orten günstig; aber sie gab doch Anlaß zu größter Unzufriedenheit und war stellenweise unerträglich. Wie bei den Fürsten die Neigung zu Zusammenfassung und Ausdehnung ihrer Rechte bestand, so bei jeder Herrschaft die Neigung, ihre untertänigen Bauern mehr auszunützen als früher. Gewisse Abgaben waren herkömmlich – es wurde mehr als üblich verlangt; eine Anzahl von Tagen mußte der Bauer unentgeltlich für die Herrschaft arbeiten, man nannte es fronen – man vermehrte die Zahl. Unter Umständen blieb den Bauern nicht Zeit genug, um ihr eigenes Gut zu bewirtschaften, von dem sie doch Abgaben leisten mußten. Die Art der Abgaben war zum Teil sehr drückend, so der Todfall, der die Familie gerade in einem ohnehin schwierigen Augenblick belastete; keinen Schritt konnte der Bauer tun, ohne aufs empfindlichste an seine Gebundenheit erinnert zu werden. Dadurch, daß die Gerichtsbarkeit von der Herrschaft ausgeübt wurde, konnte sie durch beliebige Strafen jede Unbotmäßigkeit, jeden noch so gerechtfertigten Widerstand unterdrücken und rächen. Die Beschränkung der Freizügigkeit machte ein Ausweichen unmöglich. Erbitternd war es auch, daß die Fürsten vielfach den Gemeindebesitz an Wald oder Weide einzogen, und zwar ohne Entschädigung unter dem Titel ihrer fürstlichen Gewalt. Als man in späteren Jahrhunderten der Bauernbefreiung nähertrat, hielt man Entschädigung der Herren für selbstverständlich, mit der die Bauern belastet wurden.

      Allgemeine Umstände trugen dazu bei, die Lage der Bauern zu verschlechtern: die vielen Kriege, die bei der Art der damaligen Kriegsführung hauptsächlich das offene Land trafen und viele Gebiete gänzlich verwüsteten, andererseits der zunehmende Luxus der höheren Stände, der natürlich auch im Bauern den Wunsch, besser und reichlicher zu leben, erregte. Wieviel Ursache der arme Mann zur Klage hatte, beweist am besten, daß die Fürsten und Herren in beständiger Sorge vor Bauernaufständen waren. Daß es unmöglich sei, dem armen Mann noch mehr aufzuladen, daß er unter unerträglichen Lasten seufze, sagten sie oft; merkwürdigerweise machten sie trotzdem niemals Anstalt, seine Lage zu verbessern, sondern taten wohl gar das Gegenteil. Zu erklären ist das damit, daß sie alle mehr oder weniger vom Elend der Bauern lebten, also, wenn nicht eine unbestimmbare und unabsehbare Revolution eintreten sollte, dies Elend als Rechtsgrundlage festhalten mußten; dann aber auch mit der Art der Menschen, in den gewohnten Verhältnissen beharren zu wollen, selbst wenn sie voraussehen, daß sie zum Unheil führen müssen.

      Seit der Mitte des 15. Jahrhunderts fanden alle paar Jahre irgendwo im Reich Bauernaufstände statt, die bald unterdrückt und blutig gerächt wurden, bis zum Jahre 1514 etwa zwölf, fast alle im Süden. Man pflegte sie Bundschuh zu nennen nach dem Bauernschuh, den sie, zuerst im Elsaß, als Abzeichen in der Fahne führten. Nach dem Sturz des Reichsregiments, im Frühjahr, erhoben sich die Stadt Forchheim gegen den Bischof von Bamberg, die Bauern von St. Blasien gegen den Abt, ihren Herrn. Jene verlangte hauptsächlich die Freiheit, in Wald und Wasser zu jagen und zu fischen, diese weigerten sich, Abgaben, insbesondere den Todfall, zu leisten. Im allgemeinen war die geistliche Herrschaft drückender als die weltliche. Ein besonders bösartiger Bauernschinder war der Abt von Kempten, dessen Untertanen sich im Januar 1525 erhoben. Inzwischen waren schon das Elsaß, Allgäu, Klettgau und Hegau, an die Schweiz grenzende Gebiete, in Aufruhr. Die Aufständischen begingen keine Gewalttätigkeiten, aber sie weigerten sich, länger Dienste und Abgaben zu leisten, eben das, was die Herren am empfindlichsten traf. Unter den Anführern der verschiedenen Haufen waren Geistliche, die schon vorher zum Luthertum geneigt hatten und sich nun offen dazu bekannten. Durch diese bekam die Bewegung allmählich einen religiösen Charakter, der den Erhebungen bis 1514 ganz ferngelegen hatte. Es lag nah, daß zwei revolutionäre Strömungen ineinanderflossen, wie ja auch die ritterschaftliche Revolution sich wie von selbst mit der lutherischen vereinigt hatte; es lag um so näher, als die Bauern es mit denselben Bischöfen und Äbten zu tun hatten, gegen die Luther mit so heftigen Beschimpfungen focht, und als die christliche Liebe und die christliche Freiheit, wovon so viel die Rede war, der Behandlung durchaus zu widersprechen schien, die dem Bauer zuteil wurde. Als der Schwäbische Bund, erschreckt durch das Ausmaß der Erhebung, sich zu Verhandlungen bereit erklärte, sagte Ulrich Schmid, Anführer des Baldringer Haufens – so genannt nach einem Dorf in der Nähe von Ulm –, er wünsche, daß nicht nach menschlichem, sondern nach göttlichem Recht geurteilt werde. Unter den gelehrten und frommen Männern, die er als Schiedsrichter vorschlug, war auch Luther. Es konnte nicht anders sein, als daß unter Tausenden von Bauern viele waren, die am liebsten sofort Gewalt gebraucht hätten; wieviel Erbitterung und Rache mochte aufgehäuft sein, wieviel Begierde,


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