Die wichtigen Werke von Arthur Schopenhauer. Arthur Schopenhauer

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Die wichtigen Werke von Arthur Schopenhauer - Arthur Schopenhauer


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der seine Ursache kennt: abgesehn von dieser ist und heißt es zufällig. Diese Betrachtung giebt uns auch den Schlüssel zu jener contentio peri dynatôn zwischen dem Megariker Diodores und Chrysippos dem Stoiker, welche Cicero vorträgt im Buche de fato. Diodoros sagt: »Nur was wirklich wird, ist möglich gewesen: und alles Wirkliche ist auch nothwendig.« – Chrysippos dagegen: »Es ist Vieles möglich, das nie wirklich wird: denn nur das Nothwendige wird wirklich.« – Wir können uns dies so erläutern. Die Wirklichkeit ist die Konklusion eines Schlusses, zu dem die Möglichkeit die Prämissen giebt. Doch ist hiezu nicht allein die Major, sondern auch die Minor erfordert: erst Beide geben die volle Möglichkeit. Die Major nämlich giebt eine bloß theoretische, allgemeine Möglichkeit in abstracto: diese macht an sich aber noch gar nichts möglich, d.h. fähig wirklich zu werden. Dazu gehört noch die Minor, als welche die Möglichkeit für den einzelnen Fall giebt, indem sie ihn unter die Regel bringt. Dieser wird eben dadurch sofort zur Wirklichkeit. Z.B.:

      Maj. Alle Häuser (folglich auch mein Haus) können abbrennen.

       Min. Mein Haus geräth in Brand.

       Konkl. Mein Haus brennt ab.

      Denn jeder allgemeine Satz, also jede Major, bestimmt, in Hinsicht auf die Wirklichkeit, die Dinge stets nur unter einer Voraussetzung, mithin hypothetisch: z.B. das Abbrennenkönnen hat zur Voraussetzung das Inbrandgerathen. Diese Voraussetzung wird in der Minor beigebracht. Allemal ladet die Major die Kanone: allein erst wenn die Minor die Lunte hinzubringt, erfolgt der Schuß, die Konklusio. Das gilt durchweg vom Verhältniß der Möglichkeit zur Wirklichkeit. Da nun die Konklusio, welche die Aussage der Wirklichkeit ist, stets nothwendig erfolgt; so geht hieraus hervor, daß Alles, was wirklich ist, auch nothwendig ist; welches auch daraus einzusehn, daß Nothwendigseyn nur heißt, Folge eines gegebenen Grundes seyn: dieser ist beim Wirklichen eine Ursache: also ist alles Wirkliche nothwendig. Demnach sehn wir hier die Begriffe des Möglichen, Wirklichen und Nothwendigen zusammenfallen und nicht bloß den letzteren den ersteren voraussetzen, sondern auch umgekehrt. Was sie auseinanderhält, ist die Beschränkung unsers Intellekts durch die Form der Zeit: denn die Zeit ist das Vermittelnde zwischen Möglichkeit und Wirklichkeit. Die Nothwendigkeit der einzelnen Begebenheit läßt sich durch die Erkenntniß ihrer sämmtlichen Ursachen vollkommen einsehn; aber das Zusammentreffen dieser sämmtlichen, verschiedenen und von einander unabhängigen Ursachen erscheint für uns als zufällig, ja die Unabhängigkeit derselben von einander ist eben der Begriff der Zufälligkeit. Da aber doch jede von ihnen die nothwendige Folge ihrer Ursache war, deren Kette anfangslos ist; so zeigt sich, daß die Zufälligkeit eine bloß subjektive Erscheinung ist, entstehend aus der Begränzung des Horizonts unsers Verstandes, und so subjektiv, wie der optische Horizont, in welchem der Himmel die Erde berührt. –

      Da Nothwendigkeit einerlei ist mit Folge aus gegebenem Grunde, so muß sie auch bei jeder Gestaltung des Satzes vom Grunde als eine besondere erscheinen und auch ihren Gegensatz haben an der Möglichkeit und Unmöglichkeit, welcher immer erst durch Anwendung der abstrakten Betrachtung der Vernunft auf den Gegenstand entsteht. Daher stehn den oben erwähnten vier Arten von Nothwendigkeiten eben so viele Arten von Unmöglichkeiten gegenüber: also physische, logische, mathematische, praktische. Dazu mag noch bemerkt werden, daß wenn man ganz innerhalb des Gebietes abstrakter Begriffe sich hält, die Möglichkeit immer dem allgemeinem, die Nothwendigkeit dem engem Begriff anhängt: z. B, »ein Thier kann seyn ein Vogel, Fisch, Amphibie u.s.w.« – »eine Nachtigall muß seyn ein Vogel, dieser ein Thier, dieses ein Organismus, dieser ein Körper«. – Eigentlich weil die logische Nothwendigkeit, deren Ausdruck der Syllogismus ist, vom Allgemeinen auf das Besondere geht und nie umgekehrt. – Dagegen ist in der anschaulichen Natur (den Vorstellungen der ersten Klasse) eigentlich alles nothwendig, durch das Gesetz der Kausalität: bloß die hinzutretende Reflexion kann es zugleich als zufällig auffassen, es vergleichend mit dem was nicht dessen Ursache ist, und auch als bloß und rein wirklich, durch Absehn von aller Kausalverknüpfung: nur bei dieser Klasse von Vorstellungen hat eigentlich der Begriff des Wirklichen Statt, wie auch schon die Abstammung des Worts vom Kausalitätsbegriffe anzeigt. – In der dritten Klasse der Vorstellungen, der reinen mathematischen Anschauung, ist, wenn man ganz innerhalb derselben sich hält, lauter Nothwendigkeit: Möglichkeit entsteht auch hier bloß durch Beziehung auf die Begriffe der Reflexion: z.B. »ein Dreieck kann seyn recht-, stumpf-, gleichwinklicht; muß seyn mit drei Winkeln, die zwei rechte betragen«. Also zum Möglichen kommt man hier nur durch Uebergang vom Anschaulichen zum Abstrakten.

      Nach dieser Darstellung, welche die Erinnerung, sowohl an das in der Abhandlung über den Satz vom Grunde, als im ersten Buch gegenwärtiger Schrift Gesagte voraussetzt, wird hoffentlich über den wahren und sehr verschiedenartigen Ursprung jener Formen der Urtheile, welche die Tafel vor Augen legt, weiter kein Zweifel seyn, wie auch nicht über die Unzulässigkeit und gänzliche Grundlosigkeit der Annahme von zwölf besonderen Funktionen des Verstandes zur Erklärung derselben. Von dieser letztem geben auch schon manche einzelne und sehr leicht zu machende Bemerkungen Anzeige. So gehört z.B. große Liebe zur Symmetrie und viel Vertrauen zu einem von ihr genommenen Leitfaden dazu, um anzunehmen, ein bejahendes, ein kategorisches und ein assertorisches Urtheil seien drei so grundverschiedene Dinge, daß sie berechtigten, zu jedem derselben eine ganz eigenthümliche Funktion des Verstandes anzunehmen.

      Das Bewußtsein der Unhaltbarkeit seiner Kategorienlehre verräth Kant selbst dadurch, daß er im dritten Hauptstück der Analysis der Grundsätze (phaenomena et noumena) aus der ersten Auflage mehrere lange Stellen (nämlich S. 241, 242, 244-246, 248-253) in der zweiten Auflage weggelassen hat, welche die Schwäche jener Lehre zu unverhohlen an den Tag legten. So z.B. sagt er daselbst, S. 241, er habe die einzelnen Kategorien nicht definirt, weil er sie nicht definiren konnte, auch wenn er es gewollt hätte, indem sie keiner Definition fähig seien; – er hatte hiebei vergessen, daß er S. 82 der selben ersten Auflage gesagt hatte: »Der Definition der Kategorien überhebe ich mich geflissentlich, ob ich gleich im Besitz derselben seyn möchte.« – Dies war also – sit venia verbo – Wind. Diese letztere Stelle hat er aber stehn lassen. Und so verrathen alle jene nachher weislich weggelassenen Stellen, daß sich bei den Kategorien nichts Deutliches denken läßt und diese ganze Lehre auf schwachen Füßen steht.

      Diese Kategorientafel soll nun der Leitfaden seyn, nach welchem jede metaphysische, ja, jede wissenschaftliche Betrachtung anzustellen ist. (Prolegomena, § 39.) Und in der That ist sie nicht nur die Grundlage der ganzen Kantischen Philosophie und der Typus, nach welchem deren Symmetrie überall durchgeführt wird, wie ich bereits oben gezeigt habe; sondern sie ist auch recht eigentlich das Bett des Prokrustes geworden, in welches Kant jede mögliche Betrachtung hineinzwängt, durch eine Gewaltthätigkeit, die ich jetzt noch etwas näher betrachten werde. Was mußten aber bei einer solchen Gelegenheit nicht erst die imitatores, servum pecus thun! Man hat es gesehn. Jene Gewaltthätigkeit also wird dadurch ausgeübt, daß man die Bedeutung der Ausdrücke, welche die Titel, Formen der Urtheile und Kategorien bezeichnen, ganz bei Seite setzt und vergißt, und sich allein an diese Ausdrücke selbst hält. Diese haben zum Theil ihren Ursprung aus des Aristoteles Analyt. priora, I, 23 (peri poiotêtos kai posotêtos tôn tou syllogismou horôn: de qualitate et quantitate terminorum syllogismi), sind aber willkürlich gewählt: denn den Umfang der Begriffe hätte man auch wohl noch anders, als durch das Wort Quantität, bezeichnen können, obwohl gerade dieses noch besser, als die übrigen Titel der Kategorien, zu seinem Gegenstande paßt. Schon das Wort Qualität hat man offenbar nur gewählt aus der Gewohnheit, der Quantität die Qualität gegenüber zu stellen: denn für Bejahung und Verneinung ist der Name Qualität doch wohl willkürlich genug ergriffen. Nun aber wird von Kant, bei jeder Betrachtung, die er anstellt, jede Quantität in Zeit und Raum, und jede mögliche Qualität von Dingen, physische, moralische u.s.w. unter jene Kategorientitel gebracht, obgleich zwischen diesen Dingen und jenen Titeln der Formen des Urtheilens und Denkens nicht das mindeste Gemeinsame ist, außer der zufälligen, willkürlichen Benennung. Man muß alle Hochachtung, die man Kanten übrigens schuldig ist, sich gegenwärtig halten, um nicht seinen Unwillen über dieses Verfahren in harten Ausdrücken zu äußern. – Das nächste Beispiel liefert uns gleich die reine physiologische Tafel allgemeiner Grundsätze der Naturwissenschaft. Was, in aller Welt, hat die Quantität der Urtheile damit zu thun, daß jede Anschauung eine extensive


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