Die wichtigen Werke von Arthur Schopenhauer. Arthur Schopenhauer

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Die wichtigen Werke von Arthur Schopenhauer - Arthur Schopenhauer


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wird man am lebhaftesten inne werden, wenn man sich die Bedingungen und die Bedingten vorstellt als die Glieder einer herabhängenden Kette, deren oberes Ende jedoch nicht sichtbar ist, daher sie ins Unendliche fortgehn könnte: da aber die Kette nicht fällt, sondern hängt, so muß oben ein Glied das erste und irgendwie befestigt seyn. Oder kürzer: die Vernunft möchte für die ins Unendliche zurückweisende Kausalkette einen Anknüpfungspunkt haben; das wäre ihr bequem. Aber wir wollen den Satz nicht an Bildern, sondern an sich selbst prüfen. Synthetisch ist derselbe allerdings: denn analytisch folgt aus dem Begriff des Bedingten nichts weiter, als der der Bedingung. Aber Wahrheit a priori hat er nicht, auch nicht a posteriori, sondern er erschleicht sich seinen Schein von Wahrheit auf eine sehr feine Weise, die ich jetzt aufdecken muß. Unmittelbar und a priori haben wir die Erkenntnisse, welche der Satz vom Grunde in seinen vier Gestaltungen ausdrückt. Von diesen unmittelbaren Erkenntnissen sind alle abstrakten Ausdrücke des Satzes vom Grunde schon entlehnt und sind also mittelbar: noch mehr aber deren Folgesätze. Ich habe schon oben erörtert, wie die abstrakte Erkenntniß oft mannigfaltige intuitive Erkenntnisse in eine Form oder einen Begriff so vereint, daß sie nun nicht mehr zu unterscheiden sind: daher sich die abstrakte Erkenntniß zur intuitiven verhält, wie der Schatten zu den wirklichen Gegenständen, deren große Mannigfaltigkeit er durch einen sie alle befassenden Umriß wiedergiebt. Diesen Schatten benutzt nun das angebliche Princip der Vernunft. Um aus dem Satz vom Grunde das Unbedingte, welches ihm geradezu widerspricht, doch zu folgern, verläßt es klüglich die unmittelbare, anschauliche Erkenntniß des Inhalts des Satzes vom Grunde in seinen einzelnen Gestalten, und bedient sich nur der abstrakten Begriffe, die aus jener abgezogen sind, und nur durch jene Werth und Bedeutung haben, um in den weiten Umfang jener Begriffe sein Unbedingtes irgendwie einzuschwärzen. Sein Verfahren wird durch dialektische Einkleidung am deutlichsten; z.B. so: »Wenn das Bedingte daist, muß auch seine Bedingung gegeben seyn, und zwar ganz, also vollständig, also die Totalität seiner Bedingungen, folglich, wenn sie eine Reiheausmachen, die ganze Reihe, folglich auch der erste Anfang derselben, also das Unbedingte.« – Hiebei ist schon falsch, daß die Bedingungen zu einem Bedingten als solche eine Reihe ausmachen können. Vielmehr muß zu jedem Bedingten die Totalität seiner Bedingungen in seinem nächsten Grunde, aus dem es unmittelbar hervorgeht und der erst dadurch zureichender Grund ist, enthalten seyn. So z.B. die verschiedenen Bestimmungen des Zustandes welcher Ursache ist, als welche alle zusammengekommen seyn müssen, ehe die Wirkung eintritt. Die Reihe aber, z.B. die Kette der Ursachen, entsteht nur dadurch, daß wir Das, was soeben die Bedingung war, nun wieder als ein Bedingtes betrachten, wo dann aber sogleich die ganze Operation von vorne anfängt und der Satz vom Grunde mit seiner Forderung von Neuem auftritt. Nie aber kann es zu einem Bedingten eine eigentliche successive Reihe von Bedingungen geben, welche bloß als solche und des endlichen letzten Bedingten wegen daständen; sondern es ist immer eine abwechselnde Reihe von Bedingten und Bedingungen: bei jedem zurückgelegten Gliede aber ist die Kette unterbrochen und die Forderung des Satzes vom Grunde gänzlich getilgt; sie hebt von Neuem an, indem die Bedingung zum Bedingten wird. Also fordert der Satz vom zureichenden Grunde immer nur die Vollständigkeit der nächsten Bedingung, nie die Vollständigkeit einer Reihe. Aber eben dieser Begriff von Vollständigkeit der Bedingung läßt unbestimmt, ob solche eine simultane, oder eine successive seyn soll: und indem nun Letzteres gewählt wird, entsteht die Forderung einer vollständigen Reihe auf einander folgender Bedingungen. Bloß durch eine willkürliche Abstraktion wird eine Reihe von Ursachen und Wirkungen als eine Reihe von lauter Ursachen angesehn, die bloß der letzten Wirkung wegen dawären und daher als deren zureichender Grund gefordert würden. Bei näherer und besonnener Betrachtung und herabsteigend von der unbestimmten Allgemeinheit der Abstraktion zum einzelnen bestimmten Realen, findet sich hingegen, daß die Forderung eines zureichenden Grundes bloß auf die Vollständigkeit der Bestimmungen der nächsten Ursache geht, nicht auf die Vollständigkeit einer Reihe. Die Forderung des Satzes vom Grunde erlischt vollkommen in jedem gegebenen zureichenden Grunde. Sie hebt aber alsbald von Neuem an, indem dieser Grund wieder als Folge betrachtet wird: nie aber fordert sie unmittelbar eine Reihe von Gründen. Wenn man hingegen, statt zur Sache selbst zu gehn, sich innerhalb der abstrakten Begriffe hält, so sind jene Unterschiede verschwunden: dann wird eine Kette von abwechselnden Ursachen und Wirkungen, oder abwechselnden logischen Gründen und Folgen für eine Kette von lauter Ursachen oder Gründen zur letzten Wirkung ausgegeben, und die Vollständigkeit der Bedingungen, durch die ein Grund erst zureichend wird, erscheint als eine Vollständigkeit jener angenommenen Reihe von lauter Gründen, die nur der letzten Folge wegen dawären. Da tritt dann das abstrakte Vernunftprincip sehr keck mit seiner Forderung des Unbedingten auf. Aber um die Ungültigkeit derselben zu erkennen, bedarf es noch keiner Kritik der Vernunft, mittelst Antinomien und deren Auflösung, sondern nur einer Kritik der Vernunft, in meinem Sinne verstanden, nämlich einer Untersuchung des Verhältnisses der abstrakten Erkenntniß zur unmittelbar intuitiven, mittelst Herabsteigen von der unbestimmten Allgemeinheit jener zur festen Bestimmtheit dieser. Aus solcher ergiebt sich dann hier, daß keineswegs das Wesen der Vernunft im Fordern eines Unbedingten bestehe: denn sobald sie mit völliger Besonnenheit verfährt, muß sie selbst finden, daß ein Unbedingtes geradezu ein Unding ist. Die Vernunft, als ein Erkenntnißvermögen, kann es immer nur mit Objekten zu thun haben; alles Objekt für das Subjekt aber ist nothwendig und unwiderruflich dem Satz vom Grunde unterworfen und anheimgefallen, sowohl a parte ante als a parte post. Die Gültigkeit des Satzes vom Grunde liegt so sehr in der Form des Bewußtseins, daß man schlechterdings sich nichts objektiv vorstellen kann, davon kein Warum weiter zu fordern wäre, also kein absolutes Absolutum, wie ein Brett vor dem Kopf. Daß Diesen oder Jenen seine Bequemlichkeit irgendwo stillstehn und ein solches Absolutum beliebig annehmen heißt, kann nichts ausrichten gegen jene unumstößliche Gewißheit a priori, auch nicht wenn man sehr vornehme Mienen dazu macht. In der That ist das ganze Gerede vom Absoluten, dieses fast alleinige Thema der seit Kant versuchten Philosophien, nichts Anderes, als der kosmologische Beweis incognito. Dieser nämlich, in Folge des ihm von Kant gemachten Processes, aller Rechte verlustig und vogelfrei erklärt, darf sich in seiner wahren Gestalt nicht mehr zeigen, tritt daher in allerlei Verkleidungen auf, bald in vornehmen, bemäntelt durch intellektuale Anschauung, oder reines Denken, bald als verdächtiger Vagabunde, der was er verlangt halb erbettelt, halb ertrotzt, in den bescheideneren Philosophemen. Wollen die Herren absolut ein Absolutum haben; so will ich ihnen eines in die Hand geben, welches allen Anforderungen an ein Solches viel besser genügt, als ihre erfaselten Nebelgestalten: es ist die Materie. Sie ist unentstanden und unvergänglich, also wirklich unabhängig und quod per se est et per se concipitur: aus ihrem Schooß geht Alles hervor und Alles in ihn zurück: was kann man von einem Absolutum weiter verlangen? – Aber vielmehr sollte man ihnen, bei denen keine Kritik der Vernunft angeschlagen hat, zurufen:

      Seid ihr nicht wie die Weiber, die beständig

       Zurück nur kommen auf ihr erstes Wort,

       Wenn man Vernunft gesprochen stundenlang?

      Daß das Zurückgehn zu einer unbedingten Ursache, zu einem ersten Anfang, keineswegs im Wesen der Vernunft begründet sei, ist übrigens auch faktisch bewiesen, dadurch, daß die Urreligionen unsers Geschlechtes, welche auch noch jetzt die größte Anzahl von Bekennern auf Erden haben, also Brahmanismus und Buddhaismus, dergleichen Annahmen nicht kennen, noch zulassen, sondern die Reihe der einander bedingenden Erscheinungen ins Unendliche hinaufführen. Ich verweise hierüber auf die weiter unten, bei der Kritik der ersten Antinomie, folgende Anmerkung, wozu man noch Uphams »Doctrine of Buddhaism« (S, 9), und überhaupt jeden ächten Bericht über die Religionen Asiens nachsehn kann. Man soll nicht Judenthum und Vernunft identificiren. –

      Kant, der sein angebliches Vernunftprincip auch keineswegs als objektiv gültig, sondern nur als subjektiv nothwendig behaupten will, deducirt es, selbst als solches, nur durch ein seichtes Sophisma, S. 307; v, 364. Nämlich, weil wir jede uns bekannte Wahrheit unter eine allgemeinere zu subsumiren suchen, so lange es geht; so soll dieses nichts Anderes seyn, als eben schon die Jagd nach dem Unbedingten, welches wir voraussetzten. In Wahrheit aber thun wir durch solches Suchen nichts Anderes, als daß wir die Vernunft, d.h. jenes Vermögen abstrakter, allgemeiner Erkenntniß, welches den besonnenen, sprachbegabten, denkenden Menschen vom Thier, dem Sklaven der Gegenwart, unterscheidet, anwenden


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