Gesammelte Werke. Ernst Wichert

Читать онлайн книгу.

Gesammelte Werke - Ernst Wichert


Скачать книгу
seit die Litauer die Taufe angenommen haben; seine alte Vollmacht, die er aus dem Morgenlande mitbrachte, erlosch. Die neue Zeit fordert ein neues Gesetz, und die es ihr weigern, verstehen sie nicht. Wir haben ein Land, und es will regiert sein: wir sind die Herren und wollen herrschen. Da wir aber viele sind, so fragt sich's, wie wir's am besten ordnen, daß jeder nach seiner Bedeutung teilhabe an der Herrschaft und mitsorge zu ihrer Erhaltung. Der Hochmeister ist ein Landesfürst geworden. Sollen wir arme Ritterbrüder bleiben? Ein ehrgeiziger Mann kann leicht vergessen, daß er nur von seinesgleichen gewählt ist, und die Brüder verkürzen, ohne das Statut greiflich zu verletzen. Ist er ein Kriegsheld und lacht ihm das Glück, so wächst die Gefahr. Darum müssen wir wachen, daß des Ordens Haupt nur mit unsern Gedanken denkt und mit unsern Händen schafft. Die Ehre wollen wir ihm wohl gönnen, aber die Macht muß bei uns sein. So meinen's alle, die ich im geheimen darüber gesprochen habe, und ich hoffe auch Eurer Zustimmung sicher zu sein, Bruder Plauen.

      Der Komtur schüttelte den mächtigen Kopf. Ihr irrt, rief er, zählt mich nicht zu Euren Gleichgesinnten! Wenn ich zur Meisterwahl ins Kapitel trete, wen wähle ich dann? Den besten, stärksten, tüchtigsten, den fürstlichsten von allen. Denn ich verspreche ihm zu dienen, und ich kann mit treuem Herzen keinem dienen, dem ich nicht Hochachtung zolle und volles Vertrauen schenke. Wer aber an die Spitze gestellt ist, der soll sich auch verantwortlich wissen für all sein mannhaftes Tun, und nicht bei seinen Untergebenen anzufragen verpflichtet sein, was seiner Würde ziemt und was ihm die Ehre gebietet zu tun oder zu lassen. Ein Mann soll er sein, nicht ein Kind am Gängelbande. Einen Fürsten will ich auf dem Hochmeisterstuhl, nicht eine Puppe in seinen Gewändern. Und so will ich ihm gehorsamen, wie ich Gehorsam fordern würde, wenn mich die Ehre des hohen Amtes träfe. Welche Tat kann man denn von dem erwarten, dem die Hände gebunden sind? Selbst muß er sein, und frei bewähre er sich!

      Der Vogt schlug die Augen nieder vor seinen leuchtenden Blicken und zog den Hausrock dichter über der Brust zusammen, als wär's rätlich, sich in seinem Innersten zu verschließen. Ihr seid noch immer der alte Eisenkopf, sagte er, sich zu einem scherzenden Ton zwingend, und meint der Welt ihren Lauf vorschreiben zu können. Kommt's einmal wieder zur Meisterwahl – hoffentlich in langen Jahren nicht –, nun, so wißt Ihr, daß Ihr auf meine Stimme nicht zu rechnen habt. Gute Freunde werden wir gleichwohl bleiben können.

      Er hielt ihm die Hand hin, aber Plauen schien es nicht zu bemerken. Gott verhüte, antwortete er ernst, daß der Brüder Gedanken sich einmal zu solchem Zweck auf mich richten. Meister Ulrich ist zum Glück jünger als ich und wird mich nach aller Voraussicht lange überleben. Ich geize nicht nach der Ehre, eine so schwere Last auf mich zu nehmen, und weiß wohl, daß ich nicht danach geartet bin, ein Herr zu sein, wie er Euch gefallen könnte. Ich tue meinen Dienst – heute als Komtur, morgen, wenn es der Meister so bestimmt, als einfacher Ritter hier oder dort und dem Geringsten gehorsam, über den ich jetzt gebiete. Nichts will ich, als ein starkes Glied in der Kette sein, die sich den Deutschen Orden nennt. Ihr sagt, er habe seine Aufgabe erfüllt. Nicht so, Sternberg! Der Heidenschaft hat er dieses Land abgewonnen, und mit seinem Blute hat er es gedüngt, mit dem edelsten deutschen Blute. Nicht leer hat er die Kampfstätte gelassen; aus allen Gauen des Heimatlandes hat er die kräftigsten Arbeiter hierher zusammenberufen und jedem seine Scholle angewiesen. Hier ist Sachsen und Franken, Bayern und Schwaben! Rundum aber bedrohen Polen und Massowier, Litauer und Szamaiten die Grenzen dieser deutschen Nordwacht und möchten das Licht auslöschen, das hier angezündet ist und ihnen die blöden Augen blendet. Deutsche Lehre, deutsche Sitte, deutsches Recht sind ihnen ein Greuel. Wir aber stehen mit dem Schwert in der Hand, daß der Bürger hinter uns in friedlicher Arbeit sie hege und pflege und verbreite zu unseres Herrn Christi Freude. Das ist unser Beruf!

      Während er so mit feurigem Eifer sprach, hatte er die Kappe abgezogen und stand nun barhaupt da, dem Winde die hohe Stirn bietend, der vom Flusse her über die Mauer strich und das aufstehende krause Haar wellte. Nun erst zeigte sich die ganze Mächtigkeit dieser Stirn, und jeder Muskel des Gesichts schien von einer eisernen Sehne gestrafft. Sternberg wagte keine weitere Entgegnung, sondern legte nur die Hand auf seine Schulter und sagte: So verstehe ich's auch – unsere Wege sind nur verschieden. Hätte der Orden viele, wie Ihr seid! Dann wandte er sich ab und lehnte sich über die Brüstung der Mauer. Ein großes Holzfloß wurde eben von Dsimken mit langen Stangen mühsam weitergeschoben und von der Sandbank mitten im Fluß abgehalten. Das schien ihn zu beschäftigen.

      Nun läutete vom Burghofe her eine helle Glocke zum Mittagessen. Der Komtur bat seinen Gast, ihm zu folgen; es war ihm lieb, daß das Gespräch sich nicht fortsetzen konnte. Gab es ihm doch schon genug zu denken. In den Hallen auf dem Hofe war für die Dienerschaft des Vogts und für die Knechte des Hauses gedeckt; auch ein Teil der Söldner wurde hier und in der großen Küche unter dem Kapitelsaal gespeist. Die beiden Männer schritten dem Flügel zu, in dem das Refektorium lag. Für Euch ist ein Platz an der Firmarietafel bereit, sagte Plauen, ehe sie eintraten; Ihr werdet an bessere Kost gewöhnt sein, als sie auf unseren Konventstisch aufgetragen zu werden pflegt. Nehmet vorlieb bei unseren Kranken. Befehlet Ihr, so leiste ich Euch da Gesellschaft, ob ich mich sonst schon ungern von den Brüdern ausschließe. Einem so werten Gast zuliebe wird einmal eine Ausnahme von der Regel gestattet sein.

      Michael Küchmeister würde vermutlich gern dieses Anerbieten angenommen haben, das sich in jedem anderen Hause eigentlich von selbst verstanden hätte. Nun wollte er aber seinem strengen Wirt nicht weichlich erscheinen und lehnte deshalb die Vergünstigungen höflich ab. Erlaubt, antwortete er, daß ich mit Euren Rittern das Mahl teile, und laßt es bei der Tafel hergehen wie alle Tage. Soll ich Euch wirklich ein werter Gast sein, so darf ich nicht Störung ins Haus bringen, und mit dem Freunde soll man nicht Umstände machen.

      Wie es Euch gefällt, ist mir's genehm, sagte der Komtur und ließ ihn durch die schmale Tür in den hochgewölbten Remter ein.

      Die Ritter standen schon hinter ihren Stühlen von einfachem Holz und warteten auf das Zeichen, sich setzen zu dürfen. Einer der Priesterbrüder sprach ein Gebet. Dann nahm der Komtur neben seinem Gast oben an der Tafel Platz; zwischen ihnen und den Zunächstsitzenden blieb ein Raum frei. Mehrere dampfende Schüsseln mit einer Gemüsesuppe und Lammfleisch wurden aufgetragen; dazu schnitt sich jeder ein Stück von dem schwarzen Brot ab, das von Hand zu Hand ging. Auf dem Tische standen Kannen voll leichten Bieres, je eine mit zugeteiltem Maß für jeden Tischgenossen. Man trank aus kleinen Schankbechern von Glas. Der Gast erhielt Wein in einem silbernen Becher, Kop genannt, aus des Komturs Tresor, und einen Nachtisch von Butter und englischem Käse. Während des Essens herrschte streng nach der Ordensregel tiefstes Schweigen: nur las der Priesterbruder, an dem heute die Reihe war, von Zeit zu Zeit aus einem Buche vor.

      Nach aufgehobener Tafel räumten die Diener die Schüsseln und Kannen fort, der Tisch selbst blieb stehen. Nun begann eine lebhaftere Unterhaltung, indem die Ritter zu zweien oder dreien in die tiefen Fensternischen traten oder auch miteinander die Langseite des Saales auf und ab gingen. Zwei von ihnen vergnügten sich auch mit dem Schachzabel, zu dem ein kleiner Tisch hergerichtet war. Der Vogt trat heran und bewunderte gebührend die künstlichen Figuren, die ein Ordensbruder mit geschickter Hand selbst aus Birnbaumholz geschnitzt und mit allerhand Farben bemalt hatte. Auch bei den anderen Gruppen verkehrte er rundum und mischte sich freundlich in das Gespräch.

      Nach einer Stunde ging jeder an sein zugewiesenes Geschäft oder zu Waffenübungen auf den Parchan oder in die Kapelle zum vorgeschriebenen Gottesdienst in den Gezeiten. Sternberg verabschiedete sich von seinem Wirt. Man muß es Euch nachrühmen, sagte er, Ihr haltet gute Ordnung; vor hundert Jahren kann es in einem Ordenshause nicht anders zugegangen sein.

      Ich will das als ein Lob nehmen, antwortete Plauen, ob Ihr es schon mit einem Lächeln begleitet. Ich hoffe, meine Ritter werden, so geschult, in jeder Not ihre Schuldigkeit tun. Er trug dem Kellermeister auf, dem edlen Gast und seinem Gefolge reichliche Wegkost mitzugeben, und verließ den Vogt nicht eher, bis dieser aufs Pferd gestiegen und über die Brücke geritten war. –

      An demselben Tage zur Vesperzeit langte noch ein anderer Gast an: Junker Heinz von Waldstein. Er war mit dem Weichselkahn gekommen, der beim Städtchen Schwetz Rast machte, um Waren für dortige Krämer abzuladen und frisches Fleisch zur Kost für die Schiffsleute an Bord zu nehmen. Da er Briefe an den Komtur vorzeigen konnte, hatte man ihn ungehindert durch die Mauerpforte nach der Zeltgasse


Скачать книгу