Gesammelte Werke. Ernst Wichert

Читать онлайн книгу.

Gesammelte Werke - Ernst Wichert


Скачать книгу
her in die Weichsel einfließt und gegen den mächtigen Fluß hin eine scharfe Landspitze abgrenzt, lag und liegt noch heute – auf einer wahrscheinlich von Menschenhand aufgeschütteten Erderhöhung von kaum dreißig Fuß über dem Wasserspiegel – die alte Burg Schwetz.

      Sie hatte schon den pommerellischen Fürsten gedient, als sie noch dieses Land beherrschten, und war ein Jahrhundert vor Beginn dieser Geschichte tapfer von den kujawischen Herzögen Casimir und Przimislaus gegen den anstürmenden Deutschorden siebzig Tage lang verteidigt worden, bis der Verräter Gendowiz die Stricke und Sehnen an den Kriegsmaschinen zerschnitt, daß nun das Ordensheer sich bedrohlich nähern konnte. Nun schloß die Besatzung einen Vergleich, daß sie die Burg übergeben wolle, wenn nicht binnen Monatsfrist Entsatz von Polen käme. Er kam nicht, und so fiel die Burg dem Orden zu.

      Dann hatte etwa in der Mitte des Jahrhunderts der Hochmeister Dietrich von Altenburg sie fast vom Grund auf ausgebaut und stark befestigt. Bis zu den niedrigen Flußufern hin reichten die mächtigen Futtermauern, aus rohen Granitblöcken aufgeschichtet. Sie gewährten Schutz gegen den ersten Anprall des Feindes. In ihrem Viereck erhob sich das eigentliche Schloß, äußerlich anzuschauen wie ein gewaltiger Würfel von rotem Ziegelstein, an den vier Ecken von rund ausgebauten Türmen überragt, von denen drei mit Spitzdächern versehen waren, der nordwestliche aber als Hauptturm oder Bergfried die andern überragte und mit einem ausspringenden Zinnenkranz gekrönt war. Dem aufmerksamen Beschauer konnte es nicht entgehen, daß sich nur an zwei Seiten zwischen den Türmen Dächer abhoben, die beiden anderen Seiten aber zum Abschluß des Burgraumes aus starken und hohen Mauern mit mehreren Reihen schmaler Lichtöffnungen bestanden. Trat man von der mit Palisaden befestigten Vorburg hier über die Zugbrücke durch das Tor in der einen dieser beiden Mauern auf den Burghof, so fand man denselben von Hallen in zwei Stockwerken umgeben; starke Pfeiler waren mit Bogen verbunden und der Raum zwischen ihnen und der Wand mit Balkendecken überdacht. Von diesen Korridoren führten Türen zu den verschiedenen Gemächern der beiden Stockwerke, zu den Wehrgängen und Türmen. In dem Flügel links vom Eingang nahmen die Kirche und der Kapitelsaal, schon äußerlich erkennbar durch je drei hohe Bogenfenster, den ganzen Raum ein. In dem Flügel geradeaus befanden sich das Refektorium, die Küche, die Rüstkammer und mancherlei Gelasse zu Vorräten, auch die Zimmer der Komturs und das in jedem Ordensschloß zu Besuchen des Hochmeisters eingerichtete, sonst nicht benutzte Gemach. Rechts war an die innere Mauerseite ein Gebäude von Fachwerk angebaut, in dem die Ritter ihre Schlafkammern hatten und ihre Harnische aufbewahrten; man nannte es das Schlafhaus. Von der Kirche mußten die Ritter dorthin über den offenen Hof und am Brunnen mitten auf demselben vorbeigehen. Das ganze Gebäude hatte ein düsteres und schweres Aussehen; die darin wohnten, mußten rauhe Kriegsleute sein, denen der Verzicht auf alle Annehmlichkeiten des Lebens Pflicht war und die sich stets zum Kampfe gerüstet hielten.

      In dem Schlosse Schwetz befand sich regelmäßig nur ein Konvent von acht Ritter- und vier Priesterbrüdern. Auch jetzt war ihre Zahl nicht vermehrt, aber viel anderes Kriegsvolk hatte in den Räumen des Haupthauses, in den Wirtschaftsgebäuden der Vorburg und weiterhin auf den Domänenvorwerken einquartiert werden müssen. Denn hier, wenige Meilen von der polnischen Grenze, sammelte sich ein Teil der in Deutschland geworbenen Söldner, die der Komtur zu mustern und zu verpflegen, wohl auch aus seinen Beständen besser zu bewaffnen hatte. In dem gegen die Weichsel und das Schwarzwasser hin mit langen Mauern geschützten Raume zwischen Schloß und Stadt Schwetz waren Zelte aufgeschlagen, in denen sie in der jetzigen guten Jahreszeit unter freiem Himmel lagerten, soweit sie in den Häusern nicht Platz fanden. Heute war nun noch der kürzlich vom Hochmeister zum Vogt der Neumark ernannte Bruder Michael Küchmeister von Sternberg, auf der Reise dorthin begriffen, mit ziemlichem Gefolge eingetroffen und im Schlosse aufgenommen, so daß nun alle Räume gefüllt waren und die Beamten vollauf Beschäftigung hatten. Auch so aber ließ sich in dem düstern Hause kein munteres Treiben oder gar Lärmen vernehmen. Kaum ein lautes Gespräch wurde in dem Burghof oder in den Hallen gehört, und in der Kapelle setzten die Brüder ihre vorgeschriebenen Andachten fort. Der Geist der Strenge und der Ordnung schien über allem zu walten und jede Ausschreitung unmöglich zu machen.

      Auf dem Parchan, dem erhöhten Außenraume zwischen Futtermauer und Schloß, der sich in mäßiger Breite am Flusse entlang zog und die freie Aussicht über die Niederung und die dahinter aufsteigenden Berge, über die Strominseln, Weidenkämpen und Sandhaken gewährte, gingen zwei Männer in lebhaftem Gespräche auf und ab. Sie schenkten dem breiten Strom und der sonnigen Landschaft kaum einen Blick und schienen diesen Ort nur gewählt zu haben, um recht ungestört miteinander verkehren zu können. Der eine, ein Mann nicht viel über Mittelgröße, aber kräftig gebaut, mit breiten Schultern, völligem Nacken und einem Kopf, der fast zu groß schien für den gedrungenen Körper, und dessen mächtige Stirn sich über den tiefliegenden Augen vorwölbte, trug ein knappes Lederwams, eine Hose von grobem Tuch und eine geschlitzte Kappe ohne jeden Schmuck. Es war der Komtur der Burg, Heinrich von Plauen. Sein Gast, der Vogt der Neumark, war höher gewachsen und zierlicher in seiner Erscheinung und Kleidung. Das lange, schmale Gesicht mit der feingeformten Stirn, der scharfgeschnittenen Nase, den dünnen Lippen und dem spitzen bartlosen Kinn schien mehr einem vornehmen Staatsmann als einem Krieger anzugehören. Er hatte den weißen Mantel gleichfalls abgelegt, trug aber einen bequemen Hausrock mit feinem Pelzwerk verbrämt und von einem kostbaren Gürtel mit getriebenen Spangen lose zusammengehalten, dazu eine weiche gesteppte Kappe mit hutartigem Rande und Feder. Man erkannte in Haltung, Gang und Sprache sofort den Mann von hohem Adel.

      Heinrich von Plauen und Michael Küchmeister von Sternberg, beide aus edlen deutschen Geschlechtern stammend, hatten sich schon als Jünglinge befreundet. Ungefähr zu gleicher Zeit waren sie in den Deutschen Orden eingetreten, beide weil sie als jüngere Söhne auf Land und Leute nicht Anspruch hatten, Sternberg aber getrieben von dem ehrgeizigen Gedanken, durch die Verbindungen seiner Familie in der Bruderschaft bald eine hervorragende Stellung einzunehmen und vielleicht selbst einmal deren fürstliches Haupt zu werden, Plauen infolge trüber Lebenserfahrungen und unter dem Druck einer Stimmung, die nach völliger Abkehr von der Welt verlangte. Sie hatten dann teils in Preußen, teils in den deutschen Besitzungen des Ordens mancherlei Ämter bekleidet und immer nur vorübergehend Gelegenheit gehabt, freundschaftlich miteinander zu verkehren. So war es ihnen wenig bemerklich geworden, wie sehr sie in Sinnesweise, Anschauungen und Gewohnheiten voneinander abwichen. Auch jetzt konnte es den Anschein haben, als ob nur ein zufälliger Umstand sie miteinander in Verkehr brachte, in Wirklichkeit aber hatte Sternberg mit guter Absicht seinen Weg über Schwetz genommen und die Reise so eingerichtet, daß er hier einen Rasttag halten konnte; er kam von der Marienburg, und es war ihm darum zu tun, sich mit Plauen über manches, was die Zukunft anging, zu verständigen.

      Es ist, wie ich es Euch künde, sagte er, während des Gehens das Kinn in die Hand stützend, Ihr habt keine Abberufung zum Heere zu gewärtigen. Der Meister hat uns beide auf die verantwortlichsten Posten gestellt und ist doch nicht imstande, uns so auszurüsten, daß wir ernstlich den Feind aufhalten können, wenn er sich mit ganzer Macht gegen uns wenden sollte. Um die Neumark ist der Streit entbrannt, wenigstens gibt sie den Vorwand zu dem feindseligen Benehmen des Königs. Ich halte es für wahrscheinlich, daß er vor allem bemüht sein wird, sie in seinen Besitz zu bringen, um beim Friedensschluß ein Pfand zu haben und seine Ansprüche unmittelbar an demselben durchzusetzen. Im offenen Felde werde ich ihm schwerlich lange standhalten können, der eingeborene Adel ist wenig zuverlässig, und die festen Schlösser mit Söldnern zu verteidigen, scheint allemal eine bedenkliche Sache. Ich fürchte, es ist da wenig Ruhm zu ernten. Ihr aber sollt hier an der Grenze den Strom hüten und den Übergang hindern, wenn der Feind von dieser Seite her angreifen sollte, bis der Hochmeister sich mit dem Hauptheer auf ihn werfen kann. Zudem ist's Eure Aufgabe, die Straße für die aus Deutschland eintreffenden Hilfsvölker offen zu halten und sie unter dem Schutze der Burg zu sammeln. Laßt uns in steter Verbindung miteinander bleiben, damit wir der eine dem andern beispringen können, wenn es not tun sollte.

      Es wäre mir wahrlich lieber, antwortete Plauen, der Meister reihte mich mit meinem Aufgebot in sein Heer ein, so wüßte ich doch, daß ich ihm etwas nütze wäre. Geradeaus auf den Feind – siegen oder untergehen –, das ist meine Losung. Übrigens glaube ich nicht sonderlich daran, daß die Polen hier einfallen. Sie werden sich mit den Litauern vereinigen wollen, um von der Freundschaft des Königs mit dem Großfürsten Vorteil zu ziehen, und


Скачать книгу