Gesammelte Werke. Ernst Wichert
Читать онлайн книгу.solle, kam aber gleich wieder zurück und meldete, daß er den Komtur an seinem Betpult kniend gefunden habe. Heinz schloß sich ihm an und ließ sich im Schlosse herumführen. Es geht hier wie im Kloster zu, zischelte der Schreiber, seit Herr Heinrich von Plauen vor drei Jahren eingezogen ist. Ich schrieb damals das Übergabeprotokoll und merkte gleich aus dem, wie er seine Fragen stellte und nichts in Vorratshaus und Rüstkammer übernahm, was er nicht selbst gesehen und geprüft hatte, daß die leichten Tage vorüber sein würden. Man muß es wohl sagen, daß alles in bester Ordnung hier ist und im Gebiete der Komturei. Jeder Ritter- und Schulzendienst ist ins Buch eingetragen, und darüber, was jedermann dem Hause zu leisten und zu zahlen hat, kann kein Zweifel aufkommen. Es ist auch gute Zucht und Frömmigkeit unter den Brüdern, aber man fürchtet den Herrn Komtur mehr, als man ihn liebt, und würde ein milderes Regiment nicht beklagen. Früher ging's hier lustiger zu, und auf den anderen Schlössern, hat man mir gesagt, nimmt man's mit den Statuten nicht so genau.
Das hatte mindestens für das Danziger Schloß seine Richtigkeit.
Gegen Abend schritt der Komtur, in seinen Mantel gehüllt, durch die Zeltgasse dem Städtchen zu. Die Söldner zogen sich zurück, wo sie ihn kommen sahen, um ihm nicht Rede stehen zu müssen. Es war immer, als ob er nur die Augen aufmachen dürfe, um irgend etwas Pflichtwidriges zu bemerken. Der Komtur geht wieder um, sagte einer von den Knechten leise; was er nur so oft noch spät am Abend in der Stadt treiben mag? Sein Geselle lachte. Was wird's sein? Man erzählt sich, er habe dort ein schönes Schätzchen – das wird er besuchen. Der andere schlug ihm mit dem Handschuh auf den Mund. Du, hüte dich, mahnte er ängstlich ausspähend, der hat seine Ohren, und in dem großen Schloßturm soll ganz unten ein finsteres Kellerloch sein, in dem man die Leute aufbewahrt, die zu laut sprechen.
9. BRUDER UND SCHWESTER
Hans von der Buche war der Verabredung gemäß in Graudenz abgestiegen; der Weichselkahn hatte dort keinen Aufenthalt. Da er sich nun aber nach dem Knecht mit den Pferden umsah, ergab es sich, daß sie noch nicht eingetroffen waren. Bei dem kräftigen Nordwest, der fast unausgesetzt die Segel zu brauchen erlaubte, war die Reise allerdings überraschend schnell vonstatten gegangen; man hatte ihn in Buchwalde so früh nicht erwartet, oder es war irgendwie eine Verzögerung eingetreten.
Er nahm zur Nacht Herberge, meinte aber am nächsten Morgen, seine freie Zeit besser nützen zu können als mit dem Ablauern der Pferde. Die beiden Freunde hatten's so besprochen, daß Hans, nachdem er im Elternhause die Seinen begrüßt, nach Schwetz zum Besuch kommen, Heinz ihn dann aber zurückbegleiten und einige Tage in Buchwalde verweilen solle. Nun dachte sich's Hans recht lustig aus, von diesem Plane abzugehen und Heinz ganz unvermutet zu überfallen. Man könne ja dann noch immer ausführen, was man sich vorgenommen habe, meinte er.
So ließ er sich denn mit der Fähre über den Strom setzen und ging auf der Krone des Weichseldammes entlang, der nur wenige Meilen entfernten Stadt Schwetz zu. Er hätte ebensogut zu Fuß nach seiner Heimat wandern können, bis zu der er's nicht viel weiter gehabt haben würde, aber das fiel ihm nicht ein. Bei Sartowitz, wo die eigentümlich geformten Uferberge bis dicht an den Fluß traten, stieg er zur Kapelle hinauf und erfreute sich an der prächtigen Aussicht über den breiten Strom und seine Niederung hin. Es war noch früh und die Ferne in Nebel gehüllt; um so schärfer hoben sich die näher gelegenen Orte, die bewaldeten Höhen und die Weidenkampen im Fluß unter der Beleuchtung der Morgensonne heraus. Von da hatte er nur noch eine kleine Stunde bis zum Brückenturm am Schwarzwasser. Gegenüber lag das Städtchen, im Viereck von Mauern mit erhöhten und vorspringenden Türmen umgeben. Genau in der Mitte überragte sie das Rathaus mit seinem hohen Spitzdach und rechts in der Ecke die Pfarrkirche. Das Brückentor in der Mauer links war offen, denn die Bürger hatten auf ihren Äckern zu tun und mußten viel aus und ein. Junker Hans kam also unbefragt in die Stadt und brauchte dort keinen Wegweiser nach dem Markt, da er nicht zum erstenmal dort war. Die kleinen, schmalen Häuschen von Holz oder Fachwerk kamen ihm jetzt freilich recht ärmlich vor, da er so viele stattliche Städte inzwischen gesehen und erst kürzlich von Danzig Abschied genommen.
Mit dem ältesten Sohne des Ratmannes Johannes Clocz, namens Lippolt, war er in der Kulmer Schule zusammen gewesen. Der Vater war ein wohlhabender Kaufmann und besaß das große Haus am Markt mit den Speichern nach dem Mauergang zu. Man nannte es das große Haus, weil es zwei Baustellen einnahm und ein oberes Geschoß hatte, während sich die Nachbarn mit einem Stock und dem hohen Dach darüber begnügten. So war denn auch das Holzwerk über Tür und Fenstern zierlich ausgeschnitzt und ein niedriger Podest mit Geländer und Sitzbänken auf die Straße vorgebaut. Zu beiden Seiten standen zwei alte Linden, denen aber die Kronen bekappt waren, damit sie nicht den kleinen Fenstern zuviel Licht entzögen.
Auf der einen der beiden Bänke, den Rücken in die Ecke des Geländers gestützt und den Arm mit der fleischigen Hand über den Wolm lang hingestreckt, saß der behäbige Alte beim Frühschoppen und vergnügte sich damit, den Sperlingen zuzuschauen, die sich um die verschütteten Getreidekörner zankten oder einen Strohhalm abjagten. Ei, seh ich recht, rief er, als der Gast auf das Haus zuging, ist das wirklich der Junker von Buchwalde? Wo habt Ihr Euer Pferd eingestellt? Oder kommt Ihr zu Schiff? Willkommen daheim, Junker!
Er stand auf, rückte den Gurt zurecht, schüttelte Hans über das Geländer hin die Hand und zog ihn sogleich sanft die drei Stufen seitwärts hinauf an seine Seite. Wie geht's Eurem Vater? fuhr er fort. Ich habe letzten Herbst mit ihm ein gutes Geschäft gemacht – ich meine, er hat's mit mir gemacht –, oder wenn Ihr's denn so wollt, wir haben's miteinander gemacht. Alle seine Wolle habe ich ihm abgekauft zu Danziger Preisen, und er hat sie doch nur bis an den Fluß schaffen dürfen. Hat er Euch nicht davon gesagt, Junker? Ja, so gut trifft sich's nicht in jedem Jahr, daß der Begehr nach inländischen Tuchen groß ist: das hat seinen Grund in den Kriegsrüstungen.
Ich bin erst auf dem Wege nach Hause, antwortete Hans, und sprach meinen Vater noch nicht. Mein Pferd frißt übrigens keinen Hafer – ich komme auf Schusters Rappen von Michelau gegenüber Graudenz, einen Freund auf dem Schlosse zu besuchen, von dem ich mich doch gestern erst trennte. Muß auch morgen schon wieder fort, oder spätestens übermorgen. Könnt oder wollt Ihr mich solange herbergen?
Der Alte schob sein Käppchen von der Stirn zurück und zog den Mundwinkel schief auf. Sonst schon von Herzen gern, Junker, sagte er in zögerndem Ton, hätt's mir sicher sogleich als eine Ehre erbeten – aber ich weiß nicht –
Es geht also nicht an, fiel der Junker ohne Empfindlichkeit ein. Ihr habt's nur zu sagen und braucht keine Entschuldigung; finde hoffentlich irgendwo ein Unterkommen, wenn auch nur beim Krüger. Was macht mein alter Schulkamerad Lippolt?
Wollen doch sehen, Junker, wollen doch sehen, grübelte der Ratmann noch über die Logierfrage, indem er die Falte unter dem feisten Kinn ausstrich. Nämlich … hm, hm! Ja, der Lippolt, ganz recht – der hat letztes Jahr schon geheiratet, denkt Euch, des Schultheißen Tochter von Neuenburg. Ich hab' ihm mein Speichergeschäft abgetreten – zur Hälfte wenigstens; will erst einmal sehen, wie er allein vorwärtskommt. Er schlug sich vor die Stirn, daß es klappte. Ja, da sind wir ja auch überm Berge – an den Lippolt hatte ich gar nicht gedacht. Er wohnt dort in meinem alten Hause unweit dem Schloßtor und hat im Giebel Raum genug für drei Gäste. Ei, wird der Lippolt sich freuen, den Junker wiederzusehen! Ich schicke gleich zu ihm. Marie-Anne! – Bärbe! rief er ins Haus. Das heißt, wandte er sich wieder zurück, Raum, Junker … daran fehlt mir's auch nicht. Aber Ihr müßt wissen –
So macht Euch doch keine Sorge, bat Hans. Ich bin bei Lippolt so gut aufgehoben wie bei Euch. Wenn Ihr erlaubt, gehe ich ihm gleich zur jungen Frau Glück wünschen.
Nein, das erlaube ich nicht, wandte der Alte eifrig ein, das erlaube ich nicht. Kann ich auch nicht einen jungen Herrn zur Nacht aufnehmen – hahaha – besonderer Umstände wegen, essen und trinken soll er doch bei mir und sich unter meinem Dache ausruhen. Zu Eurem Freunde braucht Ihr nicht aufs Schloß zu laufen; ich erwarte ihn diesen Vormittag bei mir. Ist doch der Junker von Waldstein – recht geraten? Ja, den erwarten wir, ich und … nun, Ihr müßt's ja doch