Gesammelte Werke. Ernst Wichert
Читать онлайн книгу.seine Nähe genommen habe. Müsse sie einmal ins Kloster zurückkehren, so wisse sie doch nun, was der Verzicht bedeute. Der Junker wollte überhaupt von den Klöstern nicht viel halten und meinte, es sei sündhaft, sich dort lebendig zu begraben, wenn man nicht wirklich der Welt abgestorben sei. Gott wolle verhüten, daß sie sich je nach den stillen Klostermauern sehne.
Abends kam der Komtur. Waltrudis eilte ihm entgegen, küßte ihm die Hand und dankte ihm für den Bruder, den er ihr geschenkt und mit dem sie sich rasch befreundet habe.
Er streichelte ihr blondes Haar, faßte Heinz bei der Hand und sagte: Habt einander lieb, ihr beiden – der Himmel hat es so gewollt. Daß ich euch jetzt zusammenführte, hat guten Grund. Niemand weiß, was ihm bevorsteht, aber ein Kriegsmann, der sich zum Kampfe rüstet, soll immer auf die letzte Stunde gefaßt sein. Dir, Heinz, empfehle ich die Schwester zu treuer Sorge, wenn Gott mich abberuft – tritt dann mannhaft an meine Stelle, sei ihr ein Schutz und Schirm in allen Nöten.
Er gelobte es mit einem heiligen Eide.
Nun trat Hans von der Buche vor und sprach: Gestattet auch mir, hochehrwürdigster Herr Komtur, daß ich mich in diesen Bund schwöre. Heinz von Waldstein ist mein Freund, und seine Schwester soll seines Freundes Schwester sein. Zu ihrem Dienst stehe ich mit Gut und Blut.
Da krauste der Komtur die Stirn und maß ihn mit einem stolzen Blick von Kopf zu Füßen. Wer ist's, der uns dieses Gebot macht? fragte er; es ist mir befremdlich von einem, den ich bisher nicht sah.
Heinz trat sogleich ein und stellte den Reisegenossen vor. Es erklärte sich nun auch, daß er erst heute in der Frühe angelangt war und Waltrudis vorher nicht gesehen hatte. Das schien den Komtur zu beruhigen, aber er antwortete doch auf des Junkers Bitte nicht freundlich, sondern sagte: Freundschaft will erprobt sein. Man begegnet wohl einander im Leben und geht eine Strecke nebeneinander fort und meint, das Band müsse festbleiben in Ewigkeit. Aber der Menschen Sinn ist veränderlich, und was ihnen heute wert dünkt, das Leben daran zu wagen, das werfen sie oft morgen schon zu den leichten Dingen, die der Wind von ihrem Wege weht. Ich traue wenig Worten, auch wenn sie im Augenblick ernst gemeint sind; Taten bewähren den Mann, und den lobe ich am meisten, der nichts verspricht und doch in der Not zur Stelle ist. Deshalb binde ich niemand.
Hans sah finster zur Erde und biß die Lippe; Heinz aber ergriff seine Hand und rief: Warum sollen wir's nicht auf die Probe ankommen lassen? Guten Willen haben wir gewißlich, und auch uns ist's mehr um Taten als um Worte. Hoffentlich bin ich mir allzeit Manns genug, die Schwester zu vertreten: wenn ich aber des guten Gesellen bedarf, sollst du der erste sein, den ich anrufe.
Der Komtur tat keinen Einspruch; es schien ihm zu gefallen, daß Heinz so unerschrocken für den Freund das Wort nahm, und sein Gesicht wurde wieder freundlicher. Beide konnten sich's als eine Gunst anrechnen, daß der Komtur, als er sich nach einer halben Stunde verabschiedete, nicht leiden wollte, daß Hans von der Buche in der Stadt Nachtquartier nehme, sondern ihn aufs Schloß einlud. Der Ratmann aber gab seiner Frau einen heimlichen Wink, den sie wohl verstand. Hans durfte nicht ablehnen, so gern er auch bei Lippolt geblieben wäre, von wo er doch bis zu des Ratmanns Hause nur wenige Schritte gehabt hätte. Es verstand sich nun auch von selbst, daß die beiden Junker den Komtur sogleich nach dem Schlosse begleiteten.
Dort wurde es früh Nacht; bald nach Sonnenuntergang begaben die Ritter sich in das Schlafhaus. Es bestand aus einer Reihe von Kammern, die sämtlich ihren Zugang von einem langen Korridor hatten. In demselben brannte die ganze Nacht hindurch Licht, und alle Türen zu den Schlafzellen blieben offen. Die Ritter begnügten sich mit einem Strohsack und einer wollenen Decke, behielten auch die Unterkleider an. So wollte es die strenge Ordensregel, auf deren Beobachtung der Komtur hielt. Den Freunden wurde in demselben Raum ein Gemach angewiesen. Hans konnte lange nicht einschlafen; immer stand ihm das schöne Fräulein mit dem Goldhaar vor Augen. Dann weckten ihn die Ritter, die zum Nachtamt nach der Schloßkapelle hinübergingen, und als sie von anderen Brüdern zum Morgenamt abgelöst wurden, hielt es auch ihn nicht länger auf seiner Bettstelle. Er ging in den Hof hinab, schöpfte von dem kühlen Wasser aus dem Brunnen und goß es mit den Händen über das Gesicht, bis er sich ganz erfrischt fühlte. Dann trat er in die nur von einer Altarkerze erleuchtete Kapelle ein und setzte sich in einen der hohen Kirchenstühle. Dort schlief er ein und erwachte erst, als um sechs Uhr die Ritter- und Priesterbrüder sich zur Prime versammelten.
Beim Frühstück im Konventsremter trafen die Freunde wieder zusammen. Der Komtur forderte sie auf, sich bei den ritterlichen Übungen auf dem Parchan zu beteiligen, machte auch selbst eine Weile den Zuschauer und lobte Heinz wegen seiner Kraft und Gewandtheit. Darauf besichtigten die Junker das Schloß und stiegen in dem großen Turm die enge Mauertreppe hinauf, sich einmal aus der Höhe umzuschauen. Siebenmal wölbte sich darin die Decke, bis man zur offenen Plattform gelangte, wo von hoher Stange die Burgfahne – zwölf abwechselnd weiße und rote Felder – im Morgenwinde wehte. Das oberste Gemach bewohnte der Wächter; dort befand sich auch in der Wand ein Kamin zu seiner Bequemlichkeit. In Kriegsnöten konnte darin Pech und Blei geschmolzen oder Wasser und Öl gesiedet werden. Die Plattform zeigte sich rundum von Zinnen umgeben, die halb über die Mauer vorragten, so daß man durch deren Öffnung den Fuß des Turmes beobachten und den Feind durch herabgeworfene Steine, Balken und dergleichen aufhalten konnte. Material dieser Art lag denn auch in einigen Haufen aufgeschichtet zum nächsten Gebrauch.
Eine weite Rundsicht bot sich von hier aus den Weichselstrom auf und ab und über die Niederungen zu beiden Seiten. Hans aber hielt lange den Blick festgebannt auf die Stadt und suchte in ihrem Mauerviereck den Markt und den hohen Giebel des Hauses, in dem er gestern so frohe Stunden verlebte. Erst als Heinz fragte, in welcher Richtung nun seine Heimat liege, trat er mit ihm an eine andere Zinnenöffnung und zeigte mit der Hand über den breiten Strom hinweg nach Osten. Hinter jenen Hügeln, sagte er. Wie fern werde ich euch da sein.
Heinz wollte nicht verstehen, was er damit meinte, und schwieg. Hans aber legte den Arm um seine Schulter und machte seinem vollen Herzen Luft. Wir sind hier gleichsam zwischen Himmel und Erde, fuhr er fort, was wir miteinander sprechen, hören nur die Schwalben, die den Turm umkreisen, und sie verraten nichts. Du warst mir auch vordem teuer, Heinz – aber seit gestern –, ich weiß nicht, wie mir plötzlich geschehen ist, als ich deine Schwester sah. Es war mir, als ob eine verschlossene Pforte in meiner Brust aufsprang und eine wundersame Musik ertönte, wie ich sie nie gehört. Es ist gar nicht zu beschreiben. Seitdem darf ich nur die Augen schließen, und ihre holde Gestalt steht leibhaftig vor mir da, wie in einem Lichtschein, und gleich tönt die Musik wieder. Das ist nicht Einbildung: ich sehe, was ich sehe, und höre, was ich höre, und doch ist's nur für mich etwas Wirkliches. Oder ist dir's ebenso, seit deine Gedanken mit Waltrudis verkehren?
Heinz lächelte und drückte ihm die heiße Hand. Eine Schwester ist ein lieb Ding, antwortete er, aber in solcher Art tut sie's dem Bruderherzen nicht an. Doch hab' ich wohl sonst kürzlich etwas Ähnliches empfunden, nur daß ich nicht gerade die Augen zuzumachen brauchte, um das frische Gesichtchen und die braunen Zöpfe dicht vor mir zu haben, und daß die Musik mir ins Ohr klang wie die der Trompeter und Pfeifer im Danziger Artushof, als sie zum Tanz aufspielten. Was kann man dagegen tun? Er zuckte die Achseln.
Du nimmst es in deiner Weise leicht, sagte Hans; ich aber fühle, daß ein Augenblick entscheidend war für mein ganzes Leben und – ich habe nichts zu hoffen. Wie könnte sie, die schöne, herrliche –
Laß wachsen, Freund, fiel Heinz ein, laß wachsen, was wachsen will und wachsen kann. Ob die Sonne scheint oder der Himmel voll Wolken hängt, das folgt nicht unserem Gebot; manchmal fügt sich's aber doch nach unseren Wünschen. Darum sei froh, daß du deines Herzens sicher bist, und lasse im übrigen den Dingen ihren Lauf. Das ist die beste Philosophie, denke ich.
Damit brach er das Gespräch ab, und Hans hatte nicht den Mut, es wieder aufzunehmen. Sie stiegen nach dem Burghof hinab. Dort traf sie einer von den Brüdern an und sagte ihnen, daß der Komtur den Junker von der Buche nach der Mittagstafel zu sprechen wünsche. Sie durften also nicht daran denken, nach der Stadt zu gehen, wie es beiden das liebste gewesen wäre; Hans war überzeugt, daß der Komtur es absichtlich hatte hindern wollen.
Es war ihm auch nicht ganz wohl zumut, als er dem ernsten Manne allein gegenüberstand und ein umständliches Verhör über