GABALs großer Methodenkoffer. Walter Simon
Читать онлайн книгу.in das 21. Jahrhundert wird die Freizeit zum eigentlichen Motor des gesellschaftlichen Wandels. Weitere Individualisierungsschübe durch Auflösung traditioneller industriegesellschaftlicher Lebensund Zeitformen sind in den nächsten Jahren zu erwarten.
Alte und neue Werte im Vergleich
Alte Werte | Neue Werte |
Selbstdisziplin | Partizipation |
Pflichterfüllung | Selbstentfaltung |
Ordnung | Autonomie |
Gehorsam | Selbstverwirklichung |
Fremdbestimmung | Eigenverantwortung |
Orientierung auf morgen | Aufgehen im Heute |
Ergebnisorientierung | Erlebnisorientierung |
Fortschrittsoptimismus | Zukunftspessimismus |
Naturnutzung | Naturschonung |
Haben (Karriere) | Sein (Leben) |
Christliche Religiosität | Beliebige Spiritualität |
Männlichkeitsbetonung | Weiblichkeitsorientierung |
Erst Arbeit, dann Vergnügen | Vergnügen bei der Arbeit |
Arbeit und Freizeit getrennt | Arbeit und Freizeit vermengt |
Individualisierung, aber sozial
Dieser Individualisierungsprozess wird sich weiter fortsetzen. Hier geht es jedoch um eine neue, sozial vermittelte Individualität. Werte wie zum Beispiel Freundschaft, Ehrlichkeit und Toleranz werden an Bedeutung gewinnen. Menschen werden sich in Interessen-Netzwerken organisieren, ehrenamtliches Engagement wird eine Renaissance erleben und zwischenmenschliche Kommunikation an Bedeutung gewinnen.
2.3 Werteverlust seit den 1980er-Jahren?
Die Forschungsergebnisse des erwähnten US-Politologen Inglehart gelten für den Zeitraum Ende der 1960er- bis Mitte der 1970er-Jahre. Spätere Forschungen relativieren seine Ergebnisse dahingehend, dass sie zwar einen Wandel hin zu postmateriellen Werten postulieren, aber weiterhin einen hohen Konsens über die Bedeutung der Grundwerte Freiheit, Gleichheit, Gerechtigkeit, Frieden und Sicherung der physischen Existenz unterstellen. Doch das Bekenntnis zu diesem Konsens garantiert nicht, dass sich die Menschen auch danach richten.
Neue Innerlichkeit
In den 1980er- und 1990er-Jahren verringerte sich der Einfluss von Staat und Kirche weiter. Der Kampf zwischen Kapitalismus und Kommunismus um die „besseren Werte“ erlosch mit dem Fall des „Eisernen Vorhangs“. Die ständige Betonung der Wertüberzeugungen von Demokratie, Meinungsfreiheit und Marktwirtschaft westlicherseits und Gemeinschaftlichkeit, Klassenlosigkeit und Planwirtschaft östlicherseits wich zugunsten einer neuen Innerlichkeit. Sekten füllten das entstandene Vakuum. Statt Sinn zu stiften, verbreiten sie Unsinn, der von den Sinnsuchenden aber oft erst später als solcher erkannt wird.
Hohe Erlebnisdichte
Neben den Arbeits- trat der Freizeitmarkt mit einer noch nie dagewesenen Erlebnisdichte im Alltagsleben. Im Moment der Erfüllung entsteht bereits die Frage, was denn nun als Nächstes kommen soll. Die Befriedigung stellt sich deshalb nicht mehr ein, weil die Suche nach ihr zur Gewohnheit geworden ist. Je mehr das Erlebnis zum Lebenssinn wird, umso größer wird auch die Angst vor dem Ausbleiben neuer Höhepunkte. Werte im ethischen Sinn und der durch die Medien angeheizte Erlebnishunger sind kaum kompatibel. Lebenssinn entwickelt sich immer mehr zu einer knappen Ressource. Der Erlebnisreichtum bewirkt einen Orientierungsdschungel, von dem das Wochenmagazin DER SPIEGEL in einer Titelgeschichte schreibt: „Die jüngste Generation muss mit einer Werteverwirrung zurechtkommen, deren Ausmaß kaum abzuschätzen ist. Klare Maßstäbe für Recht und Unrecht, Gut und Böse (…) sind für sie kaum noch erkennbar.“ Aus anderen Quellen geht hervor, dass Jugendliche aus Hass, Spaß, Langeweile und Frust Gewalt anwenden.
Keine Lust zum Arbeiten?
Doch auch hier gilt das Prinzip der Ausnahme, der Gegensätzlichkeit und Widersprüchlichkeit. Während die Sozialforscherin Elisabeth Noelle-Neumann vom Allensbacher Demoskopie-Institut eine zunehmende Arbeitsunlust der jungen Generation beschrieb, kommt der im Sold der Zigarettenfirma BAT stehende Sozialforscher Horst Opaschowski zu optimistischen Ergebnissen. Er schreibt, dass sich der deutlich größere Anteil aller Berufstätigen (40 Prozent) für Leistung ausspreche, gefolgt von weiteren 36 Prozent, die sich für eine Kombination zwischen Leistung und Lebensgenuss entscheiden. Nur 21 Prozent wollen gerade so viel tun wie notwendig.
Leistung muss Spaß machen und Sinn stiften
Die Ergebnisse Opaschowskis sollten nicht im Sinne einer Renaissance der alten Pflichtwerte interpretiert werden. Wenn Leistung gezeigt wird, dann muss die Arbeit auch Spaß machen und Sinn stiften. Die nachrückende Generation ist entschlossen, ein angenehmes Leben zu führen, statt „von der Stange“ zu leben.
Arbeit und Freizeit verschmelzen
Im Zentrum der Sinnsuche steht die Freizeit. Die Bereiche Arbeit und Freizeit verschmelzen mehr und mehr, so dass ein Pendeln zwischen beiden Bereichen begonnen hat. Im Berufsleben gewinnt die Balance zwischen Arbeit und Freizeit stärkeres Gewicht. Selbstverwirklichung wird sowohl in der Freizeit wie in der Arbeit gesucht. Doch trotz dieser Entwicklung ist bis heute kaum eine Veränderung von Personalführung und Organisationsstruktur als Folge des Wertewandels zu beobachten.
2.4 Werte und Arbeit
Tief greifende Veränderungen
In der Wirtschaft vollziehen sich gravierende Strukturveränderungen mit folgereichen Mutationen des menschlichen Wertebewusstseins. Diese Veränderungen sind tief greifender als der Übergang von der Agrar- zur Industriegesellschaft.
Hier einige Beispiele:
Veränderungen der Arbeitswelt
1. Veränderungen in der Unternehmensumwelt:
– Zunahme der Konkurrenz
– Fortschreiten von Konzentrationsprozessen
– Verstärkte internationale Verflechtungen
– Verknappung und Erschöpfung von Rohstoffen
Komplexität
2. Komplexität:
– Aufgaben, Entscheidungen, Probleme und Bedingungen im Unternehmen werden immer komplexer.
– Sie überfordern oft herkömmliche Organisationsformen. Deshalb vollzog sich eine Umwandlung von der traditionell tayloristischen Arbeitsorganisation zu Teamarbeit und komplexen Arbeitsbereichen.
Geschwindigkeit
3. Leistung und Geschwindigkeit:
– Schnelligkeit wird neben Kapitalkraft, Produktivität, Qualität und Innovation zum entscheidenden Wettbewerbsfaktor.
– Der immer schneller werdende technische Fortschritt bedeutet nicht den Abschied von der industriellen Massenproduktion, sondern lediglich die durch Technik ermöglichte Verlagerung des Schwerpunktes auf den Dienstleistungsbereich.
4. Neue Struktur:
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