Vierundzwanzig Unterredungen mit den Vätern. Johannes Cassianus
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Aus dem Kampfe dieses Unterschiedes entsteht uns insofern eine nützliche Verzögerung und ein heilsamer Aufschub aus dem Streite, als wir durch den Widerstand des schwerfälligen Körpers von der Durchführung dessen, was wir boshaft ausgedacht haben, zurückgehalten und dann zuweilen zu einer bessern Gesinnung bestimmt werden, sei es durch die nachfolgende Reue oder durch eine gewisse gute Sinnesänderung, die aus dem Aufschub der Handlung und dem nochmaligen Nachdenken zu folgen pflegt. Wir sehen ja, daß Diejenigen, welche, wie wir wissen, in der Ausführung ihrer Willensneigungen durch kein Hinderniß des Fleisches aufgehalten werden, nemlich die Dämonen und bösen Geister, obwohl sie aus der höhern Ordnung der Engel herabgestürzt sind, doch abscheulicher sind als die Menschen, weil ihren Begierden die Möglichkeit beiwohnt und sie also nicht zögern, den einmal gefaßten boshaften Plan in unwiderruflicher Unthat zu vollführen; denn wie ihr Geist schnell ist zum Ausdenken, so ist er auch rasch in der Ausführung als reine Substanz; und während so die leichte Behendigkeit ihnen ermöglicht, das zu thun, was sie wollen, verbessert den bösen Gedanken keine Dazwischenkunft einer heilsamen Überlegung.
14. Von der unverbesserlichen Bosheit der verworfenen Geister.
Wie nemlich die geistige Substanz, durch leibliche Schwere nicht gefesselt, keine Entschuldigung des in ihr entstandenen verkehrten Willens erlangt, so schließt sie auch die Verzeihung der Bosheit aus; denn sie wurde nicht wie wir durch Anfechtung des Fleisches von aussen zur Sünde gereizt, sondern nur durch die Schlechtigkeit des bösen Willens entflammt, und deßhalb gibt es keine Gnade für ihre Sünde und kein Heilmittel für ihre Krankheit. Wie sie fiel ungereizt von irdischer Materie, so kann sie auch keine Verzeihung oder Gelegenheit zur Reue erlangen. 181 Daraus ergibt sich deutlich, daß dieser in uns erweckte gegenseitige Streit des Fleisches und Geistes nicht nur nicht schädlich sei, sondern uns viel Nutzen bringe.
15. Was uns die Begierde des Fleisches gegen den Geist nütze.
Fürs Erste weist sie unsere Trägheit und Nachlässigkeit uns sogleich nach und läßt uns wie ein eifriger Erzieher von der Bahn der Strenge und Zucht niemals abweichen, sondern wenn unsere Sorglosigkeit ein wenig das Maaß der geziemenden Strenge mißachtet hat, so treibt sie sogleich an mit den Geißeln der hitzigen Gier und ruft uns scheltend zu der gebührenden Kargheit zurück. Zweitens sehen wir uns oft nach dem Grade unserer Keuschheit und Reinheit mit der Gnade Gottes so lange Zeit von geschlechtlicher Befleckung frei, daß wir meinen, fürderhin nicht einmal durch einfache Aufregung des Fleisches beunruhigt zu werden, und dadurch uns heimlich in unserm Gewissen überheben, als trügen wir nicht mehr die Verderbtheit des Fleisches. Da nun demüthigt uns wieder die Begierlichkeit und drückt uns herab, indem sie uns mit ihrem wenn auch im Schlaf und ohne Absicht erfolgenden Ausflusse heimsucht und uns durch ihre Stacheln mahnt daß wir Menschen seien. Denn wenn wir in den übrigen Arten der Laster, und zwar schwerern und gefährlichern, mit größerer Gleichgiltigkeit zu wandeln pflegen und nicht leicht wegen ihrer Zulassung zerknirscht werden, so fühlt sich in diesem Punkt unser Gewissen gleichsam mehr gedemüthigt und wird bei solchen Vorspiegelungen auch durch die Erinnerung an die vernachlässigten Leidenschaften gepeinigt, da es deutlich einsieht, daß es unrein geworden sei durch die natürliche Brunst, während es die größere Verunreinigung durch geistige Laster nicht merkte. Indem es nun sogleich eilt, die frühere Lässigkeit zu verbessern, wird es gemahnt, daß es sich auch nicht auf die Erfolge der vorigen Reinheit verlassen dürfe, die es augenscheinlich durch eine kleine Abkehr vom Herrn verloren hat, und daß man die Gabe dieser Reinigung nur durch Gottes Gnade besitzen könne, da uns ja die thatsächliche Erfahrung lehrt, wie wir beständig nach der Tugend der Demuth streben müssen, wenn wir die Reinheit des Herzens für immer zu erreichen wünschen.
16. Von den fleischlichen Gluten, durch die wir schwerer zu Fall kämen, wenn wir nicht gedemüthigt würden.
Daß nun die Überhebung wegen dieser Reinheit 182 gefährlicher sein würde als alle Laster und Verbrechen, und daß wir ihretwegen von aller Reinheit und Keuschheit keinen Nutzen ziehen würden, das beweisen jene oben erwähnten Kräfte, 183 die, obwohl ohne solche Reizungen des Fleisches, doch wegen der Überhebung des Herzens allein in ewiger Verwerfung aus ihrem hohen himmlischen Wohnort gestürzt wurden. Wir wären also lau ohne jedes Heilmittel, da wir keinen in unserm Körper oder in unserm Gewissen liegenden Anzeiger unserer Nachlässigkeit hätten und nie streben würden, zum Feuereifer der Vollkommenheit zu gelangen; ja wir würden nicht einmal die Strenge der Einfachheit und Enthaltsamkeit bewahren, wenn nicht dieser aufkeimende Reiz des Fleisches uns demüthigen, zurückdrängen und auch in Betreff der Reinigung von geistigen Lastern uns sorgsamer und aufmerksamer machen würde.
17. Über die Lauheit der Verschnittenen.
Endlich finden wir meistens bei denen, welche dem Leibe nach verschnitten sind, 184 daß ihnen gerade deßhalb diese Lauheit des Gemüthes anhafte, weil sie, befreit von diesem fleischlichen Dränge, weder der Anstrengung körperlicher Enthaltsamkeit noch der Herzenszerknirschung zu bedürfen glauben. Durch diese Sicherheit erschlafft trachten sie niemals, die Vollkommenheit des Herzens oder auch nur die Reinigung von geistigen Lastern wahrhaft zu suchen oder zu besitzen. Dieser Zustand, der von der körperlichen Beschaffenheit seinen Anfang nimmt, wird dann seelisch, was ohne Zweifel ein schlimmerer Grad ist; denn er ist es, der von der Kälte zur Lauigkeit übergehend durch das Wort des Herrn als fluchwürdiger bezeichnet wird.
18. Frage, was für ein Unterschied sei zwischen einem Fleischlichen und Seelischen.
Germanus: Die Nützlichkeit des zwischen Leib und Geist erregten Kampfes ist nun, wie uns scheint, deutlich dargestellt, so daß wir glauben, sie sei fast für die Hände greifbar gemacht. Darum wünschen wir aber, daß uns in ähnlicher Weise auch das Verhältniß erklärt werde, welches zwischen dem fleischlichen und seelischen Manne besteht, und wie der seelische schlechter sein könne als der fleischliche.
19. Von dem dreifachen Zustande der Seelen.
Daniel: Nach der Bestimmung der hl. Schrift gibt es drei Zustände der Seelen: Der erste ist der fleischliche, der zweite der seelische, der dritte der geistige. Diese lesen wir beim Apostel so bezeichnet; denn vom fleischlichen heißt es: 185 „Milch gab ich euch zu trinken, nicht aber Speise; denn ihr konntet sie noch nicht ertragen und könnt es auch jetzt noch nicht; denn noch seid ihr fleischlich.“ Und wieder: „Denn da unter euch Eifersucht ist und Streit, — seid ihr da nicht fleischlich?“ Von dem seelischen wird so gesprochen: 186 „Der sinnliche 187 Mensch aber faßt nicht, was vom Geiste Gottes ist; denn es ist ihm Thorheit;“ von dem geistigen aber: „Der Geistige prüft Alles; er selbst aber wird von Niemand gerichtet;“ und wieder: 188 „Ihr, die ihr geistig seid, unterweiset Solche im Geiste der Sanftmuth.“ Wir müssen also emsig streben, wenn wir durch die Entsagung aufgehört haben, fleischlich zu sein, oder angefangen haben mit der Trennung von weltlichem Umgang und der Freiheit von jener offenbaren Befleckung des Fleisches —; dann auch mit aller Kraft sogleich nach Erfassung des geistigen Zustandes zu ringen, damit wir uns nicht vielleicht schmeicheln, als hätten wir alle Vollkommenheit schon erreicht, weil wir, wie es nach dem äussern Menschen scheint, dieser Welt entsagt haben oder die Theilnahme an der fleischlichen Unzucht aufgaben; und damit wir also dadurch nicht in der Folge zu nachlässig und nachsichtig werden in der Besserung der übrigen Leidenschaften und so zwischen beiden hingehalten die Stufe des geistigen Fortschritts nicht erreichen können wegen unserer Meinung, es genüge uns längst zur Vollkommenheit, dem äussern Menschen nach von dem Umgang mit der Welt und Lust getrennt zu sein oder frei zu sein von fleischlicher Vermischung