Vierundzwanzig Unterredungen mit den Vätern. Johannes Cassianus

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Vierundzwanzig Unterredungen mit den Vätern - Johannes Cassianus


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auch anderseits die tägliche Vorsehung Gottes für dasselbe sich zeigt, da er ja gleichsam laut rufend mahnte. Denn wenn er sagt: „Wenn mein Volk mich gehört hätte,“ so gibt er doch deutlich zu verstehen, daß er immerhin zuerst zu ihnen gesprochen habe, was der Herr nicht bloß durch Buchstaben im geschriebenen Gesetz, sondern auch durch die täglichen Ermahnungen zu thun pflegt, nach jenem Ausspruch des Isaias: 159 „Den ganzen Tag breite ich meine Arme aus nach dem Volke, das mir nicht glaubt, sondern mir widerspricht.“ Beides also kann bewiesen werden durch die Stelle, die da sagt: „Wenn mein Volk mich gehört hätte, wenn Israel gewandelt wäre auf meinen Wegen: so hätte ich zum Nichts wohl seine Feinde gedemüthigt und auf seine Dränger meine Hand gelegt.“ Denn wie die Freiheit durch den Ungehorsam des Volkes bewiesen wird, so wird das Walten Gottes und seine Hilfe durch den Anfang und das Ende des Verses ausgesprochen, da er versichert, einmal, daß er zuerst geredet habe, und dann, daß er die Feinde gedemüthigt haben würde, wenn man auf ihn gehört hätte. Wir wollen ja durch unsere Lehre nicht die Freiheit des Menschen wegbringen, sondern nur beweisen, wie nothwendig ihm jeden Tag und Augenblick die Hilfe und Gnade Gottes sei. — Nach diesem Unterricht entließ der Abt Paphnutius uns, die wir mehr zerknirscht als heiter waren, vor Mitternacht aus seiner Zelle. Wohl suchten wir die Vollendung der ersten Entsagung mit aller Anstrengung unserer Kraft durchzuführen; nun hatte er uns aber durch seine Unterredung beigebracht, daß, wenn wir glaubten hiedurch den Gipfel der Vollkommenheit erreichen zu sollen, wir von jetzt an erkennen müßten, wie wir noch gar nicht angefangen hätten, von den Höhen der Mönche auch nur zu träumen. Waren wir doch über die zweite Entsagung der Väter erst in den Klöstern unterrichtet worden und wußten, daß wir von der dritten, in der alle Vollkommenheit enthalten ist, und die jene zwei niedrigern so vielfach übertrifft, vorher nicht einmal Etwas gehört hätten!

      Vierte Unterredung

      

       welche die mit Abt Daniel ist über die Begierlichkeit des Fleisches und des Geistes.

      

       1. Über Abt Daniel.

      

      Unter den übrigen Männern von christlicher Lebensweisheit sehen wir auch den Abt Daniel, ebenbürtig in jeder Art der Tugend denen, die in der scythischen Wüste weilten, aber besonders geschmückt mit der Gnade der Demuth. Wegen seiner Reinheit und Sanftmuth erhielt er von dem hl. Paphnutius, dem Presbyter dieser Einöde, den Vorzug für das Amt des Diakons, obwohl er Vielen an Alter nachstand. Denn so sehr war der hl. Paphnutius erfreut über seine Tugenden, daß er sich beeilte, einen Mann, den er an Verdienst und Gnade sich gleich fand, auch im Range des Priesterthums sich gleichzustellen. Er konnte es nemlich durchaus nicht ertragen, daß derselbe länger in einem niedrigern Dienste bleibe, und in dem Wunsche, sich einen recht würdigen Nachfolger zu verschaffen, brachte er, der Jenen überleben mußte, ihn zur Würde des Priesterthums.“ 160

      Dieser jedoch gab seine gewohnte Demuth nicht auf und erlaubte sich in Gegenwart Jenes nie die Bethätigung seiner neuen hohen Würde, sondern blieb immer, wenn Abt Paphnutius das geistige Opfer darbrachte, als Diakon in der Verrichtung des vorigen Dienstes. In Betreff Daniels aber hatte den gottseligen Paphnutius, obwohl er ein so herrlicher und großer Mann war, daß er unter vielen Gnaden auch die des Vorherwissens besaß, doch seine Wahl und die Hoffnung auf einen Stellvertreter getäuscht. Denn kurze Zeit nachher mußte er diesen, den er sich zum Nachfolger hergerichtet hatte, zu Gott vorausgehen lassen.

       2. Frage, woher die plötzliche Veränderung der Geister komme, von unaussprechlicher Freude bis zur tiefsten Niedergeschlagenheit des Gemüthes.

      

      Diesen gottseligen Daniel also befragten wir über den Grund des folgenden Zustandes: Wir sitzen oft in der Zelle voll solcher Heiterkeit des Herzens, mit einer gewissen unaussprechlichen Freude und überschwellendem Reichthum der geheimnißvollsten Erfahrungen, so daß nicht einmal das Gefühl all dem nahe kommen, geschweige denn die Darstellung in Worten folgen könnte. Das Gebet ist dann rein und leicht zu üben, und der Geist, voll von Früchten seiner Art, merkt, daß seine Bitten, selbst wenn er im Schlafe betet, wirksam und wie im Fluge zu Gott gelangen. Aber ein ander Mal werden wir ohne Ursache plötzlich von solcher Angst erfüllt und von einer gewissen unerklärlichen Traurigkeit gedrückt, daß wir nicht nur fühlen, wie wir selbst durch diese Stimmung austrocknen, sondern wie auch die Zelle voll Schauer, die Lesung voll Eckel ist, und wie selbst unser Gebet unstät, schwankend und wie im Rausche hervorkömmt, so daß trotz unserer Seufzer und Plage der Geist zu der früheren Richtung nicht zurückgeführt werden kann. Mit je mehr Anstrengung derselbe zum Hinblick auf Gott zurückgeführt wird, desto heftiger wird er im leichten Ausgleiten zu den unstäten Abschweifungen hingerissen. Und so leer wird er dann von aller geistlichen Frucht, daß er weder durch die Vorstellung der Himmelssehnsucht noch der Höllenschrecken aus diesem todesähnlichen Schlafe geweckt werden kann. Woher Dieß alles? Er antwortete also:

       3. Antwort auf die vorgelegte Frage.

      

      Ein dreifacher Grund ist uns von den Vorfahren für diese genannte Unfruchtbarkeit des Geistes angegeben. Entweder kommt sie von unserer Nachlässigkeit oder von der Anfechtung des Teufels oder auf Anordnung Gottes zu unserer Prüfung. Von unserer Nachlässigkeit kommt sie, wenn wir aus eigener Schuld zuvor in Lauigkeit fielen, uns unvorsichtig und zu bequem verhielten und mit Feigheit und Trägheit schädlichen Gedanken ergeben auf der Erde unseres Herzens Dornen und Disteln sprossen ließen; wenn diese hervorkeimen, so werden wir nothwendig unfruchtbar und leer von aller geistlichen Frucht und Beschauung. — Die Anfechtung des Teufels ist schuld, wenn wir zuweilen selbst unter guten Bestrebungen durch diesen Gegner, der mit seiner Schlauheit in unsern Geist eindringt, ohne unser Wissen oder gegen unsern Willen von den besten Meinungen abgezogen werden.

       4. Daß es für die Anordnung und Prüfung Gottes eine doppelte Ursache gebe.

      

      Für die Anordnung aber und Prüfung des Herrn gibt es einen zweifachen Grund. Der erste ist, daß wir in dieser kurzen Verlassenheit von ihm die Schwäche unseres Geistes demüthig einsehen und uns ja nicht überheben wegen der frühern Herzensreinheit, die uns durch seine Heimsuchung geschenkt war, sondern daß wir aus Erfahrung einsehen, wie wir verlassen von ihm durch unser Seufzen und Ringen jenen Zustand der Freude und Reinheit nicht wieder erlangen können, weil ja die vorige Heiterkeit des Herzens uns nicht durch unser Streben, sondern durch Gottes Herablassung zugekommen war und wir also ihre Gegenwart wieder von seiner Gnade und Erleuchtung erstehen müssen. — Der zweite Grund der Prüfung aber ist, daß unsere Beharrlichkeit oder die Standhaftigkeit unseres Geistes und unsere Sehnsucht auf die Probe gestellt werde und sich zeige, mit welcher Herzensmeinung und welcher Ausdauer im Gebete wir die uns verlassende Heimsuchung des hl. Geistes wieder zu erlangen streben. Ferner sollen wir in der Erkenntniß, wie schwer diese einmal Verlorne geistige Freude und reine Fröhlichkeit wieder zu erlangen ist, bestrebt sein, die gefundene um so sorgfältiger zu bewachen und um so kräftiger festzuhalten. Denn was man leicht wieder erwerben zu können glaubt, das pflegt doch wohl nachlässiger bewahrt zu werden.

       5. Daß unser Streben und Thun ohne die Hilfe Gottes Nichts vermöge.

      

      Hiedurch wird unwiderleglich bewiesen, daß die Gnade und Barmherzigkeit Gottes immer Das, was gut ist, in uns wirke; daß ferner, wenn sie uns verläßt, das Streben des Ringenden Nichts vermöge und der Eifer des noch so sehr sich anstrengenden Gemüthes ohne seine neue Hilfe den frühern Stand nicht wieder erlangen könne. Daß aber diese Hilfe uns beständig im Vollmaaße zu Theil werde, das ist nicht Sache des Wollenden und Laufenden, sondern der Erbarmung Gottes 161 Ja diese Gnade verschmäht es zuweilen nicht einmal, selbst Nachlässige und Ungebundene


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