Sammelband 7 Schicksalsromane: Von ihren Tränen wusste niemand und andere Romane. A. F. Morland

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Sammelband 7 Schicksalsromane: Von ihren Tränen wusste niemand und andere Romane - A. F. Morland


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darüber freuen kann, eine so gesunde Tochter zu haben“, lächelte Ulrich Seeberg, in dessen Büro sie sich befanden.

      „Und damit er sich auch endlich so richtig schön unbeschwert darauf freuen kann, Großpapa zu werden“, fügte Dr. Kayser hinzu.

      Dr. Hans-Joachim Schlüter, Oberarzt und Chefstellvertreter in der Seeberg-Klinik, streckte den Kopf zur Tür herein und fragte, ob er stören dürfe.

      „Ich bin schon weg“, lächelte der Grünwalder Arzt.

      „Ich will Sie um Himmels Willen nicht vertreiben“, sagte Dr. Schlüter.

      „Schon gut“, entgegnete Sven Kayser. „Es ist ohnedies Zeit für mich, zu gehen.“ Er verabschiedete sich von Ulrich Seeberg, trug ihm auf, zu Hause Grüße zu bestellen und verließ das Allerheiligste des Klinikchefs.

      Auf dem Flur, bei den Fahrstühlen, traf er Dr. Yvonne Wismath, die schönste Internistin der ganzen Klinik, wie er sagte. „Du siehst wirklich umwerfend aus“, betonte er mit Nachdruck.

      „Die Liebe bekommt mir eben“, erwiderte Yvonne schmunzelnd.

      „Das kann niemand bestreiten. Übrigens, die Konzertkarten sind bestellt.“

      „Prima.“

      „Ich freue mich auf den Abend zu viert“, sagte Sven.

      „Ich mich auch.“

      Sven lächelte. „Bin schon sehr gespannt, wie dein Freund aussieht.“

      Yvonne lachte leise. „Zum Verlieben. Du wirst gut auf Solveig Abels Herz aufpassen müssen, damit sie es nicht an ihn verliert.“

      Sven winkte lächelnd ab.,, Keine Gefahr. Solveigs Herz gehört seit Langem schon mir, und ich habe es gut in Verwahrung.“

      Dr. Wismath warf einen Blick auf ihre Armbanduhr. „Er holt mich in zwanzig Minuten ab.“

      ,,Wer?“, fragte Sven Kayser.

      „Mein Freund.“

      Sven hob bedauernd die Schultern. „Schade, dass ich nicht so lange bleiben kann. Ich werde mich wohl oder übel bis zum Konzert gedulden müssen.“

      Sie verabschiedeten sich. Dr. Yvonne Wismath ging ins Ärztezimmer. Kurz darauf wurde sie angerufen. Im selben Moment fuhr unten Walter Schmidts Wagen vor. Die schöne Ärztin lächelte versonnen.

      Du bist ein bisschen zu früh dran, mein Lieber, dachte sie, und Wärme durchflutete ihr Herz. Ich kann noch nicht weg. Du musst leider ein paar Minuten warten.

      Sie nahm den Hörer ab und meldete sich. Nichts. Stille am anderen Ende der Leitung.

      „Hallo!“, rief Yvonne. „Hallo, wer ist da?“ Schweigen. „Hier spricht Dr. Wismath! Bitte melden Sie sich!“ Schluchzen ... Laut und verzweifelt. Ein Kind oder eine Frau.. „Was ist geschehen?“, fragte die Internistin beunruhigt. „Was kann ich für Sie tun?“

      „Yvonne ...“

      Die Internistin stutzte. „Sind Sie das, Petra?“

      „Jaaa ...“, weinte Petra Praetorius am anderen Ende.

      „Mein Gott, Petra, was haben Sie?“

      Petra weinte lauter.

      „Wo sind Sie?“, wollte Yvonne Wismath wissen. Unten stieg Walter aus dem Wagen und zündete sich eine Zigarette an. Der Wind riss ihm den Rauch von den Lippen. Von jenen Lippen, von denen sich Yvonne so gerne küssen ließ.

      „Ich ... weiß ... es ... nicht“, antwortete Petra abgehackt.

      „Wieso wissen Sie nicht, wo Sie sind?“

      „In einem Lokal.“ Petra schluchzte. „In irgendeinem Lokal. Ich weiß nicht, wie ich hierher komme, bin einfach gelaufen, gelaufen, ohne darauf zu achten, wohin. Nur fort, fort wollte ich.“

      „Fort von zu Hause?“, fragte Dr. Wismath.

      „Nein, fort von ihm.“

      „Von Ihrem Mann?“, fragte Yvonne. Ihr Freund schlenderte um seinen Wagen, besichtigte ihn eingehend von allen Seiten. Wie sollte er die Wartezeit sonst totschlagen?

      „Ach, es ist alles so grauenvoll, Yvonne“, jammerte Petra. „Ich bin so ratlos, so verzweifelt. Ich habe eine schreckliche Dummheit begangen, und nun bin ich entwurzelt. Ich habe kein Zuhause mehr, keinen Ehemann, keinen Vater ... Wenn Sie mir nicht helfen, bin ich verloren.“

      „Was reden Sie denn da, Petra? Wieso sind Sie verloren? Was haben Sie denn so furchtbar Schlimmes angestellt?“

      „Ich habe meinen Mann betrogen ... Das heißt, ich wollte ihn betrügen ... Ich habe mir einen Mann gekauft ... Für viel Geld ... Ich möchte doch so sehr ein Baby ...“

      Es wollte alles auf einmal aus Petra heraus und blieb deshalb immer wieder im Ansatz stecken. Yvonne Wismath begriff die Zusammenhänge kaum. Petra sprach so schrecklich wirr, dass Yvonne sich ernsthafte Sorgen um Petra Praetorius’ Geisteszustand machte. Immer wieder bat sie die Verwirrte, sich doch etwas zu beruhigen, doch je länger das Telefonat dauerte, desto wilder brachte Petra alles durcheinander.

      Es war der Internistin fast nicht mehr möglich, Petra Praetorius’ Wortschwall geistig zu verarbeiten. Die junge Frau war furchtbar sprunghaft, begann tausend Dinge, ohne sie zu beenden. Ein heilloser Wirrwarr war das. Winzige Fragmente, Puzzleteilchen, die Yvonne ohne Vorlage zusammensetzen musste, wenn sie sich auskennen wollte.

      Vorausgesetzt, Yvonne hatte einige Elemente richtig zusammengefügt, so ergab sich vorläufig folgendes Bild: Horst Bachmann war trotz erstklassiger Klinikbefunde dabei geblieben. Nein, kein Kind für Petra! Und Claus Praetorius hielt sich an das Verbot des Schwiegervaters, woraufhin seine unglückliche Frau in ihrer Verzweiflung einem Mann einhundertfünfzigtausend Mark dafür geboten hatte, dass er mit ihr ein Kind zeugte. Der Mann war mit diesem Geschäft einverstanden gewesen.

      Was ist das für ein schmutziger Kerl, der sich für so etwas hergibt?, dachte die Internistin angewidert. Sie wollte Petra nach seinem Namen fragen.

      Da nannte die junge Frau ihn von selbst, und Dr. Yvonne Wismath hatte das Gefühl, von einem mächtigen Blitz getroffen worden zu sein.

      Walter Schmidt! Ein Irrtum war ausgeschlossen! Yvonne hatte den Namen ganz deutlich gehört! Petra Praetorius hatte klar und vernehmlich Walter Schmidt gesagt!

      Für Dr. Yvonne Wismath stürzte eine Welt ein. Walter Schmidt, ihr Freund, nach Dr. Thorsten Klenke ihre zweite große Liebe, der Mann, der sie heiraten wollte, führte ein schändliches Doppelleben, schlug Kapital aus der Not einer verzweifelten Frau, nahm Geld für eine Handlung, die mit Liebe nicht das Geringste zu tun hatte und so verabscheuungswürdig war, dass es Yvonne nicht in Worte fassen konnte.

      Die wundervollen Tage, die erfüllenden Nächte, die schmachtenden Liebesschwüre – alles Lüge!, dachte Yvonne betroffen. Ich habe es geahnt. Ich habe die ganze Zeit befürchtet, dass dieses große Glück nicht halten wird. Es war einfach zu schön, um von Dauer sein zu können.

      Sie starrte aus dem Fenster und beobachtete den Mann, der sie so bitter enttäuscht hatte. Ihre Augen brannten. Tränen des Zorns, der Verachtung, der Enttäuschung und des Hasses, ja, auch des

      Hasses, stiegen in ihr hoch.

      Wie hatte ihr Walter das nur antun können? Sie war so unendlich glücklich mit ihm gewesen. Auf zarten Flügeln war sie in ihrer Seligkeit emporgeschwebt und dabei – wie Ikarus – zu nahe an die Sonne herangekommen. Und nun? Die Flügel waren verbrannt, vermochten sie nicht mehr zu tragen, also stürzte sie ab. Sie fiel und fiel und fiel in eine unendlich schwarze Tiefe, aus der es kein Entrinnen gab.

      Walter Schmidt, ich hasse dich!


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