Dickens' Geschichten über Kinder, für Kinder erzählt. Charles Dickens

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Dickens' Geschichten über Kinder, für Kinder erzählt - Charles Dickens


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Schüsseln; das glänzende Holz der Balken und der Täfelung; die allgemeine Freundlichkeit und Sauberkeit des Gebäudes machen es sehr hübsch."

      Dort, wo Berthas Hände hinkamen, war tatsächlich alles freundlich und sauber. Aber eben nur dort und nirgendwo sonst in dem wahnwitzigen Schuppen, den Calebs Fantasie ihr vorgaukelte.

      "Du trägst deine Arbeitskleidung; das bedeutet, du bist nicht so vergnügt, wie wenn du den schönen Mantel trägst?", fragte Bertha, während sie ihn berührte.

      "Nicht ganz so vergnügt", antwortete Caleb. "Aber ziemlich munter."

      "Vater", sagte das blinde Mädchen, kam an seine Seite und schlang einen Arm um seinen Hals, "erzähl mir etwas über May. Sie ist sehr schön."

      "Das ist sie in der Tat", sagte Caleb. Und das war sie – in der Tat. Es war für Caleb ziemlich selten, dass er nicht auf seine Erfindungsgabe zurückgreifen musste.

      "Ihr Haar ist dunkel", sagte Bertha nachdenklich, "dunkler als meins. Ihre Stimme ist süß und musikalisch, das weiß ich. Ich habe sie schon oft gehört und geliebt. Ihre Gestalt – "

      "Es gibt keine einzige Puppe im ganzen Raum, die ihr ebenbürtig wäre", sagte Caleb. "Und ihre Augen – "

      Er hielt inne, denn Bertha hatte sich näher an seinen Hals geschmiegt, und aus dem Arm, der ihn umklammerte, kam ein warnender Druck, den er nur zu gut verstand.

      Er hustete einen kurzen Moment, hämmerte an irgendetwas herum und verfiel dann wieder auf das Trinklied, das er zuvor angestimmt hatte; das Lied, das ihm durch all seine Schwierigkeiten half.

      "Unser Freund, Vater; der, der uns so viele Male geholfen hat, Mr. Tackleton. Ich werde nie müde, weißt du, von ihm zu hören. Oder war ich das jemals?", sagte sie hastig.

      "Natürlich nicht", antwortete Caleb. "Und mit Recht."

      "Ach! Mit wie viel Recht?", rief das blinde Mädchen mit solcher Inbrunst, dass Caleb es nicht ertragen konnte, ihr ins Gesicht zu sehen, , obwohl seine Absichten edel waren; stattdessen richtete er seine Augen auf den Boden, als ob sie darin seine arglose Täuschung hätte lesen können.

      "Dann erzähl mir noch einmal von ihm, lieber Vater", sagte Bertha. "Noch viele Male! Sein Gesicht ist gut, freundlich und sanft. Es ist ehrlich und wahrhaftig, da bin ich mir sicher. Das männliche Herz, das versucht, all seine Gefälligkeiten hinter Grobheit und Widerwille zu verbergen, schlägt in jedem seiner Blicke."

      "Und lässt ihn vornehm erscheinen", fügte Caleb in stiller Verzweiflung hinzu.

      "Und lässt ihn vornehm erscheinen!", rief das blinde Mädchen. "Ist er älter als May, Vater?"

      "Ja-aa", sagte Caleb widerwillig. "Er ist etwas älter als May, aber das bedeutet nichts."

      "Bertha", fügte er leise hinzu, "was ist passiert? Wie sehr du dich verändert hast, mein Liebling, in den wenigen Stunden – seit heute Morgen. Du warst den ganzen Tag so still und lustlos! Was hast du denn, Bertha? Sag es mir!"

      "Oh, Vater, Vater!", rief das blinde Mädchen und brach in Tränen aus. "Oh, mein hartes, hartes Schicksal!"

      Caleb wischte sich mit der Hand über die Augen, bevor er ihr antwortete.

      "Aber denk daran, wie fröhlich und glücklich du warst, Bertha! Wie gut und wie sehr du von vielen Menschen geliebt wurdest."

      "Das trifft mich tief ins Herz, lieber Vater! Immer so aufmerksam mir gegenüber! Immer so freundlich zu mir!"

      Caleb war sehr verwirrt und verstand überhaupt nichts mehr.

      "Blind – blind zu sein, Bertha, meine armer Liebling", sagte er, stockend "ist eine große Belastung, aber – "

      "Das habe ich nie so verspürt", rief das blinde Mädchen. "Ich habe noch nie das ganze Ausmaß gespürt. Nie! Ich habe mir manchmal gewünscht, ich könnte dich sehen, oder auch ihn; nur einmal, lieber Vater; nur für eine winzige Minute. Aber, Vater! Oh, mein guter, lieber Vater, habe Nachsicht mit mir, wenn ich undankbar bin", sagte das blinde Mädchen. "Aber das ist nicht der Kummer, der mich so schwer bedrückt!"

      "Bertha, meine Liebe!", sagte Caleb, "Ich habe etwas auf dem Herzen, das ich dir sagen möchte, solange wir allein sind. Hör mich bitte an! Ich muss dir etwas gestehen, mein Liebling."

      "Ein Geständnis, Vater?"

      "Ich bin vom Pfad der Wahrheit abgekommen und habe mich verloren, mein Kind", sagte Caleb, in dessen verwirrtem Gesicht ein bedauernswerter Ausdruck stand. "Ich bin vom Pfad der Wahrheit abgewichen, weil ich gütig zu dir sein wollte, dabei bin ich grausam gewesen."

      Sie wandte ihm ihr staunendes Gesicht zu und wiederholte: "Grausam! Du – grausam zu mir", rief Bertha ungläubig lächelnd.

      "Ich meinte es nicht so, mein Kind", sagte Caleb. "Aber ich war grausam, obwohl ich dies bis gestern nicht begriffen habe. Meine liebe, blinde Tochter, höre mich an und verzeih mir! Die Welt, in der du lebst, mein Herz, ist nicht so, wie ich sie dargestellt habe. Die Augen, denen du vertraut hast, haben dich belogen."

      Sie wandte ihm noch immer ihr staunendes Gesicht zu.

      "Dein Weg im Leben war hart, meine Arme", sagte Caleb, "und ich wollte ihn für dich ebnen. Ich habe bestimmte Dinge verändert oder gar erfunden, um dich glücklicher zu machen – Dinge, die es nie gegeben hat. Ich habe dir Dinge verheimlicht, dich getäuscht, Gott vergib mir! Und ich habe dich mit Phantasien überhäuft."

      "Aber lebende Menschen sind doch keine Fantasien?", sagte sie hastig. Dann wurde sie sehr blass und wich mehr und mehr von ihm zurück. "Man kann sie nicht ändern."

      "Aber das habe ich getan, Bertha", flehte Caleb. "Es gibt eine Person, die du kennst, meine Taube – "

      "Oh, Vater! Warum sagst du, dass ich sie kenne?", antwortete sie scharf und vorwurfsvoll. "Was und wen kenne ich? Ich, der ich keinen Führer habe! Ich, der ich so erbärmlich blind bin!"

      In ihrer Seelenqual streckte sie die Hände aus, als ob sie sich tastend den Weg bahnen wollte; dann bedeckte sie ihr Gesicht damit, traurig und verzweifelt.

      "Die Hochzeit, die heute stattfindet", sagte Caleb, "wird mit einem strengen, schäbigen, gemeinen Mann stattfinden. Mir und dir ein harter Meister, meine Liebe, seit vielen Jahren. Hässlich in seinem Aussehen und in seinem Wesen. Immer kalt und gefühllos. Der krasse Gegensatz zu dem, wie ich ihn dir beschrieben habe, mein Kind. In allem."

      "Oh, warum", rief das blinde Mädchen, scheinbar gequält bis zur Unerträglichkeit, "warum hast du das getan? Warum hast du mein Herz so mit Liebe erfüllt und mir dann alles weggenommen, was ich darin eingeschlossen habe? Oh, Himmel, wie blind ich bin! Wie hilflos und allein!"

      Ihr betrübter Vater ließ den Kopf hängen und gab ihr vor lauter Trauer keine Antwort.

      "Sag mir, wie mein Zuhause aussieht. Wie es wirklich aussieht."

      "Es ist ein unschöner Ort, Bertha; unschön und kahl, über alle Maßen. Das Haus wird kaum den Wind und den Regen eines weiteren Winters aushalten. Es ist so gut vor dem Wetter geschützt, Bertha, wie dein armer Vater in seinem Sackleinenmantel.

      "Die Geschenke, über die ich mich so sehr gefreut habe, die fast auf meinen Wunsch hin kamen und die mir so herzlich willkommen waren", sagte sie zitternd, "wo kamen dieser her?

      Caleb antwortete nicht. Sie wusste es bereits und schwieg.

      "Ich sehe, ich verstehe", sagte Bertha; "und jetzt schaue ich dich an, meinen liebenswürdigen, liebevollen, mitfühlenden Vater – sag mir, wie dieser aussieht?

      "Er ist ein alter Mann, mein Kind; ausgemergelt, gebeugt gehend, grauhaarig, erschöpft von harter Arbeit und Kummer; ein schwacher, törichter, hinterlistiger, alter Mann."

      Das blinde Mädchen warf sich vor ihm auf die Knie und nahm seinen grauen Kopf in ihre Arme. "Es ist mein Augenlicht –mein Augenlicht ist wieder da", rief sie. "Ich war blind, aber jetzt sehe ich; ich habe meinen Vater bis jetzt nie wirklich gesehen.


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