Dickens' Geschichten über Kinder, für Kinder erzählt. Charles Dickens

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Dickens' Geschichten über Kinder, für Kinder erzählt - Charles Dickens


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erzielte. Tatsächlich war der Tanzlehrer so stolz auf sie, dass er vor seiner Entlassung einigen seiner auserwählten Freunden unter den Kollegen (die Schuldner im Gefängnis wurden "Kollegen" genannt) eines schönen morgens um sechs Uhr im Hof – die Zellen der Kollegen waren zu klein für diesen Zweck - eine Vorführung präsentieren wollte, bei der so viel getanzt und die Schritte so perfekt ausgeführt wurden, dass er selbst, da er außerdem noch Geige spielen musste, hinterher völlig erschöpft war.

      Dieser anfängliche Erfolg, der dazu führte, dass der Tanzlehrer nach seiner Entlassung seine Tätigkeit fortsetzte, veranlasste das arme Kind dazu, es erneut zu versuchen. Sie hielt monatelang Ausschau nach einer Näherin. Schließlich kam irgendwann eine Hutmacherin, die wie alle anderen für eine Schuld, die sie nicht bezahlen konnte, ins Gefängnis musste; und zu ihr ging sie, um für sich selbst einen Gefallen zu erbitten.

      "Ich bitte um Verzeihung, gnädige Frau", sagte sie und lugte zaghaft um die Tür der Hutmacherin, die weinend im Bett lag, "aber ich bin hier geboren."

      Jeder Neuzugang schien sofort Bescheid zu wissen, denn die Hutmacherin trocknete sich die Augen und sagte, genau wie der Tanzlehrer:

      "Oh! Du bist das Kind, nicht wahr?"

      "Ja, Ma'am."

      "Es tut mir leid, dass ich nichts für dich habe", sagte die Hutmacherin und schüttelte den Kopf.

      "Darum geht es nicht, Ma'am. Ich möchte bitte Handarbeiten lernen."

      "Warum möchtest du das", erwiderte die Hutmacherin, "wenn ich hier vor dir sitze? Es hat mir nichts Gutes gebracht."

      "Nichts – was auch immer es ist – scheint irgendjemandem, der hierher kommt, viel Gutes gebracht zu haben", erwiderte sie auf ihre einfache Art, "aber ich möchte es trotzdem lernen".

      "Ich fürchte, du bist zu schwach, weißt du?", widersprach die Hutmacherin.

      "Ich glaube nicht, dass ich schwach bin, Ma'am."

      "Und du bist sehr, sehr klein, verstehst du?", entgegnete die Hutmacherin.

      "Ja, ich fürchte, ich bin wirklich sehr klein", erwiderte das "Kind des Marshalsea" und begann über seine unglückliche Kleinheit zu schluchzen, die es so oft einholte. Die Hutmacherin – die nicht unfreundlich oder hartherzig war, nur über und über verschuldet – war gerührt, nahm sie an die Hand, fand in ihr die geduldigste und ernsthafteste aller Schülerinnen und machte sie zu einer guten Arbeiterin.

      "Im Laufe der Zeit entwickelte der "Vater des Marshalsea" allmählich einen neuen Charakterzug. Er schämte sich sehr dafür, seine beiden Töchter für ihren Lebensunterhalt arbeiten zu lassen, und er versuchte den Anschein zu erwecken, dass sie dies nur zum Vergnügen und nicht gegen Bezahlung taten. Gleichzeitig aber nahm er ganz ohne Scham von jedem Geld an. Mit derselben Hand, mit der er vor einer halben Stunde die halbe Krone eines Mitgefangenen eingesteckt hatte, wischte er die Tränen weg, die über seine Wangen flossen, wenn davon die Rede war, dass seine Töchter ihm das Brot verdienten. So hatte das "Kind des Marshalsea", abgesehen von seinen anderen täglichen Aufgaben, immer auch sorgfältig die Illusion aufrechtzuerhalten, dass sie alle zusammen nur untätige Bettler waren.

      Die Schwester wurde Tänzerin. In der Familie gab es einen bankrotten Onkel, der von seinem Bruder, dem "Vater des Marshalsea", ruiniert worden war und der genausowenig wie dieser selbst mehr wusste, wie und warum – aber die Tatsache als etwas annahm, was nicht mehr zu ändern war. Er war eigentlich ein bereits pensionierter und einfacher Mann, der zu dem Zeitpunkt, als das Unglück über ihn hereinbrach, kein Gefühl dafür hatte, was es hieß, pleite zu sein – außer, dass er aufhörte, sich zu waschen, als ihm die schlechte Nachricht präsentiert wurde, und sich seither nie wieder Gesicht und Hände wusch. In besseren Tagen war er ein eher armer Musiker gewesen; und als ihm gemeinsam mit seinem Bruder das Geld ausging, verdingte er sich damit, indem er in einer kleinen Theaterkapelle eine Klarinette spielte, die so schmutzig war wie er selbst. Es war das Theater, in dem seine Nichte Tänzerin wurde, und in dem er lange Zeit eine feste Größe gewesen war, bis sie dort ihren Platz einnahm; und er nahm die Aufgabe, ihr Vormund zu sein, so an, wie er eine Krankheit, ein Vermächtnis, ein Fest, den Hungertod – alles andere als Seife – angenommen hätte.

      Damit dieses Mädchen ihre wenigen Schillinge pro Woche verdienen konnte, war es notwendig, dass das "Kind des Marshalsea" ein ernste Gespräch mit ihrem Vater führte.

      "Fanny wird ab heute nicht mehr bei uns leben, Vater. Sie wird tagsüber hier sein, aber sonst wird sie draußen bei ihrem Onkel wohnen."

      "Du überraschst mich. Warum?"

      "Ich glaube, Onkel braucht Gesellschaft, Vater. Man sollte sich um ihn kümmern und ihm helfen."

      "Gesellschaft? Er verbringt einen Großteil seiner Zeit hier. Und du kümmerst dich um ihn und hilfst ihm, Amy, viel mehr als deine Schwester es je tun wird. Ihr geht alle so viel raus, ihr geht alle so viel raus."

      Damit wollte er die Form wahren und so tun, als hätte er keine Ahnung davon, dass Amy selbst tagsüber zur Arbeit ging.

      "Aber wir sind immer sehr froh, nach Hause zu kommen, Vater; nicht wahr? Und was Fanny anbelangt, so wäre es vielleicht, mal ganz abgesehen davon, dass sie Onkel Gesellschaft leistet und sich um ihn kümmert, auch ganz gut für sie selbst, nicht ständig hier zu leben. Wie du weißt, ist sie nicht hier geboren, so wie ich, Vater."

      "Nun, Amy, ich kann dir nicht ganz folgen, aber ich schätze, es ist nur allzu natürlich, dass Fanny lieber draußen ist, und das solltest du auch öfter tun. Also, du und Fanny und dein Onkel, meine Liebe, ihr sollt euren Willen bekommen. Gut, gut. Ich werde mich nicht einmischen; kümmert euch nicht um mich."

      Ihren Bruder aus dem Gefängnis herauszuholen, aus der niedrigen Arbeit, für die Gefangenen draußen Besorgungen zu machen, und aus der schlechten Gesellschaft, in die er geraten war, blieb ihre schwerste Aufgabe. Mit achtzehn Jahren hätte sich ihr Bruder Edward von der Hand in den Mund, von Stunde zu Stunde, von Penny zu Penny, bis zum Alter von achtzig Jahren weitergeschleppt. Niemand kam ins Gefängnis, von dem er etwas Nützliches oder Gutes lernen konnte, und sie fand keinen anderen Gönner für ihn als ihren alten Freund und Paten, den Gefängniswärter.

      "Lieber Bob", sagte sie, "was soll aus dem armen Tip werden?" Sein Name war Edward, aber Ted war innerhalb der Mauern zu Tip geworden.

      Der Wärter hatte seine eigene Meinung darüber, was aus dem armen Tip werden würde, und war in der Hoffnung, genau dies zu verhindern, sogar so weit gegangen, mit Tip zu sprechen und ihn dazu zu drängen, wegzulaufen und seinem Land als Soldat zu dienen. Aber Tip hatte sich nur bei ihm bedankt und gesagt, sein Land wäre ihm egal.

      "Nun, meine Liebe", sagte der Wärter, " etwas muss mit ihm geschehen. Soll ich versuchen, ihn bei einem Anwalt unterzubringen?"

      "Das wäre sehr nett von dir, Bob!"

      Von da an sprach der Wärter mit den Anwälten, die ständig im Gefängnis ein- und ausgingen. Er sprach so beharrlich, dass im Büro eines Anwalts der Kammer von Clifford's Inn schließlich ein Hocker und eine Bezahlung von zwölf Schillingen pro Woche für Tip gefunden wurden.

      Tip trödelte ganze sechs Monate in Clifford's Inn herum, und schlenderte nach dieser Zeit eines Abends zurück zu seiner Schwester, um ihr mit fest in die Taschen gepressten Händen zu sagen, dass er nicht wieder zurückgehen würde.

      "Nicht wieder zurück?", sagte das arme, kleine, ängstliche "Kind des Marshalsea", für das Tip immer in der ersten Reihe seiner Schützlinge stand.

      "Ich habe es so satt", sagte Tip, "dass ich es geschmissen habe."

      Tip wurde allem sehr schnell müde. Mit kurzen Unterbrechungen, in denen er wieder in Marshalsea faulenzte und Besorgungen machte, brachte ihn seine kleine, zweite Mutter, unterstützt von ihrem treuen Freund, in einem Lagerhaus, einer Gärtnerei, im Hopfenhandel, wieder in der Justiz, in einem Auktionshaus, einer Brauerei, bei einem Börsenmakler, erneut in der Justiz, bei einem Kutschenfahrdienst, bei einen Gemischtwarenhändler, einer Destillerie, zurück in der Justiz, bei einem Tuchhändler, auf dem Fischmarkt,


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