Der Dreißigjährige Krieg. Ricarda Huch

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Der Dreißigjährige Krieg - Ricarda Huch


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und sich ver­bar­gen.

      Ein­mal er­wach­te Si­byl­le in der Nacht durch ein ab­son­der­li­ches Kra­chen der Stie­ge un­ter dem Da­che, und da sie, vor­sich­tig schlei­chend, dem Geräusch nach­ging, ka­men ihr ih­res Bru­ders Be­diens­te­te ver­stört ent­ge­gen und mel­de­ten, dass er in Beglei­tung ei­nes ein­zi­gen Edel­kna­ben auf die Zin­ne des Schlos­ses ge­stie­gen sei, um nach dem Fein­de aus­zu­lu­gen, und dass er ge­droht habe, es dür­fe ih­nen nie­mand fol­gen. Si­byl­le weck­te zit­ternd den Al­ten, klei­de­te ihn not­dürf­tig an und zog ihn, der kaum ver­stand, was vor­ging, mit sich fort aus dem Tor hin­aus auf den Schloss­platz. Es war No­vem­ber, und der Sturm heul­te feucht von Wes­ten her über den Rhein. Nach oben bli­ckend, ge­wahr­te Si­byl­le auf dem Da­che eine schat­ten­haf­te Be­we­gung und un­ter­schied zwei Ge­stal­ten, von de­nen die klei­ne­re eine Fa­ckel trug, de­ren Flam­me die sau­sen­de Luft fla­ckernd aus­ein­an­der­bog; die an­de­re, hoch und schmal, warf lan­ge Arme in die Luft, bück­te sich, knie­te nie­der und beug­te sich weit zwi­schen den Zin­nen vor in die Tie­fe. Mit ent­setz­tem Fin­ger deu­te­te Si­byl­le auf das her­ab­hän­gen­de Haupt, des­sen lan­ges Haar der Wind hin und her blies; plötz­lich er­losch die Fa­ckel, die von dem Kna­ben ge­hal­ten wur­de, wor­über der in sei­nem Pelz schau­dern­de Alte er­schrak und, bei­de Arme nach oben aus­brei­tend, den Na­men sei­nes Soh­nes hin­auf­jam­mer­te. Angst­voll drück­te Si­byl­le ihre Hand auf sei­nen Mund, weil sie glaub­te, es sei ge­fähr­lich, einen Nacht­wand­ler an­zu­ru­fen; oh­ne­hin hat­te der Wind die schwa­chen Grei­sen­lau­te ver­weht, und es schi­en nicht, als ob der irre Träu­mer sich der Ge­gen­wart sei­ner An­ge­hö­ri­gen be­wusst ge­wor­den sei.

      Ja­ko­be war er­wacht, als ihr Mann das La­ger ver­ließ; da sie aber dar­an ge­wöhnt war, hat­te sie sich nicht dar­um be­küm­mert und war wie­der ein­ge­schla­fen. Als Si­byl­le mit gräm­lich schar­fen Wor­ten dar­auf hin­deu­te­te, sag­te Dok­tor So­len­an­der, der Schlaf sei der ar­men Frau wohl zu gön­nen, die tag­über Pla­ge und Sor­ge vollauf habe. Vi­el­leicht sei es rat­sam, um ver­derb­li­che Zu­fäl­le zu ver­hü­ten, dass Ja­ko­be künf­tig das Schlaf­ge­mach zu­schlie­ße und ih­ren Mann nicht hin­aus­ge­hen las­se, vor­aus­ge­setzt, dass sie sich ge­traue, ihn zu be­meis­tern. Üb­ri­gens sei da nichts zu ma­chen, als dass der Kör­per des Kran­ken ver­stän­dig durch gute Luft und mil­de, be­kömm­li­che Nah­rung ge­pflegt wer­de, da­mit von dort aus das trü­be We­sen nicht noch ge­nährt wer­de; er habe auch er­fah­ren, dass die ab­ster­ben­den Mo­na­te No­vem­ber und De­zem­ber Schwer­mü­ti­gen ge­fähr­lich wä­ren, und ver­trös­te­te auf das neue Jahr, des­sen wach­sen­des Licht Bes­se­rung brin­gen kön­ne.

      Die­se Hoff­nung ver­sieg­te in den Früh­lings­mo­na­ten, da sich in dem Zu­stan­de des Kran­ken nichts We­sent­li­ches än­der­te, wie er auch wech­sel­te. Ja­ko­be ver­moch­te ihn wohl nachts im Schlaf­zim­mer fest­zu­hal­ten, in­dem sie sei­nen Wut­aus­brü­chen tap­fer stand­hielt; nun aber wei­ger­te er sich zu es­sen, weil die Spei­sen, die man ihm vor­setz­te, ver­gif­tet sei­en, und be­zich­tig­te die kal­vi­ni­schen Ärz­te, dass sie ihm nach dem Le­ben stell­ten. Wenn der Alte, Si­byl­le oder Ja­ko­be vor sei­nen Au­gen aus sei­ner Schüs­sel aßen, nahm er wohl auch ein we­nig da­von, aber mit Seuf­zen und Ekel, und wen­de­te sich bald still­schwei­gend weg nach der Wand; denn er blieb meis­tens im Bett lie­gen und stand erst am spä­ten Abend auf, um stun­den­lang im Ge­mach auf und ab zu ge­hen.

      Die Kun­de von der selt­sa­men Er­kran­kung des Er­ben von Jü­lich-Cle­ve war nicht ge­heim­zu­hal­ten und reg­te vie­le Höfe auf, in­dem die Fürs­ten das An­recht und die An­wart­schaft über­leg­ten, die sie etwa an der be­trächt­li­chen Erb­schaft könn­ten gel­tend ma­chen. Die schwäch­li­che Lei­bes­be­schaf­fen­heit Jan Wil­helms hat­te schon in sei­nen Kna­ben­jah­ren al­ler­lei be­son­de­re Ge­dan­ken in der Ver­wandt­schaft auf­kom­men las­sen; als je­doch der jun­ge Her­zog mann­bar wur­de und hei­ra­te­te, hat­te man es da­bei be­wen­den und auf sich be­ru­hen las­sen. Wie nun die Nach­kom­men­schaft aus­blieb und ein Ge­bre­chen um sich griff, das al­ler ärzt­li­chen Kunst spot­te­te, setz­te man sich al­ler­or­ten in Be­reit­schaft, um bei der ers­ten Ge­le­gen­heit zu­zu­grei­fen, ehe ein an­de­rer zu­vor­käme. Vollends als im Jah­re 1592 der alte Her­zog starb, des­sen er­lo­sche­ner Geist dem Zu­sam­men­bruch noch ge­wehrt hat­te, wie eine von Düns­ten ver­hüll­te Mond­schei­be die Bil­der der Erde trü­be zu­sam­men­hält, die nach ih­rem Un­ter­gan­ge in Nacht ver­sin­ken, nahm die Ver­wir­rung und Ent­zwei­ung im Schlos­se auf das ärgs­te zu und eben­so die Be­gier der be­tei­lig­ten An­ver­wand­ten, sich ein­zu­mi­schen.

      Si­byl­le und Jan Wil­helm hat­ten drei äl­te­re Schwes­tern, die in der Zeit auf­ge­wach­sen wa­ren, als der nun ver­stor­be­ne Her­zog, Wil­helm der Rei­che, noch rüs­tig und sei­nes Geis­tes mäch­tig ge­we­sen war. Im evan­ge­li­schen Glau­ben er­zo­gen, wa­ren sie froh, den Ver­fol­gun­gen, die sie durch den wach­sen­den Ein­fluss der ka­tho­li­schen Räte er­dul­den muss­ten, zu ent­rin­nen, in­dem sie sich mit pro­tes­tan­ti­schen Fürs­ten ver­mähl­ten, die äl­tes­te, Ma­rie Eleo­no­re, mit dem bran­den­bur­gi­schen Her­zog von Preu­ßen, die bei­den an­de­ren mit zwei Wit­tels­ba­cher Vet­tern, dem Pfalz­gra­fen Phil­ipp Lud­wig von Neu­burg, der eine un­er­schüt­ter­li­che Säu­le des lu­the­ri­schen Be­kennt­nis­ses war, und dem Pfalz­gra­fen Jo­hann von Zwei­brücken, ei­nem un­er­schro­cke­nen Vor­kämp­fer des Kal­vi­nis­mus. Als Ma­rie Eleo­no­re, von ih­rem Va­ter selbst ge­lei­tet, in Preu­ßen an­lang­te, er­gab es sich, dass der Bräu­ti­gam blöd­sin­nig und also kei­nes­wegs der statt­li­che Frei­er war, als wel­chen man ihn am Jü­li­cher Hofe emp­foh­len hat­te; al­lein die Braut, von de­ren Ent­schei­dung ab­hän­gig ge­macht wur­de, was nun ge­sche­hen soll­te, dach­te an ihre trüb­se­li­ge Ge­fan­gen­schaft im Schlos­se zu Düs­sel­dorf, wo ihr Va­ter, um sie zur Mes­se zu zwin­gen, sie an den Haa­ren ge­schleift hat­te, und ur­teil­te, dass sie es als Her­zo­gin von Preu­ßen eher bes­ser als schlim­mer ha­ben und we­nigs­tens in Si­cher­heit ih­rem Glau­ben ob­lie­gen kön­nen wer­de. Dem­ge­mäß er­klär­te sie sich be­reit, des Schwach­sin­ni­gen Frau zu wer­den und ihn treu und ge­dul­dig zu pfle­gen. Jetzt ließ sie es sich an­ge­le­gen sein, ihr vä­ter­li­ches Land den Bran­den­bur­gern zu­zu­wen­den, da­mit es nicht in die Ge­walt der Ka­tho­li­ken käme.

      Der Pfalz­graf von Zwei­brücken, ein bie­de­rer, un­ge­stü­mer Herr, der es nicht an­ders wuss­te, als dass die Pro­tes­tan­ten Söh­ne des Lichts und die Ka­tho­li­ken Söh­ne der Fins­ter­nis wä­ren, und die letz­te­ren be­kämpf­te, wie und wo er ver­moch­te, miss­trau­te der Ja­ko­be, die erst kürz­lich vom Papst durch die Gol­de­ne Rose aus­ge­zeich­net wor­den war; aber als er in das Trei­ben am Düs­sel­dor­fer Hofe mit ei­ge­nen Au­gen hin­einsah, ge­wann es da­mit eine an­de­re Ge­stalt. Es wur­de deut­lich, dass der erz­ka­tho­li­sche Schen­kern, der es mit Spa­ni­en hielt, und Si­byl­le, die täg­lich lan­ge Brie­fe voll Heim­lich­kei­ten an die je­sui­ti­schen Wit­tels­ba­cher in Mün­chen schrieb, ihre Fein­de wa­ren und sie in al­len ih­ren Rech­ten kränk­ten.

      Die pro­tes­tan­ti­schen Stän­de, Graf von Fal­ken­stein, die Her­ren von Bon­gart, Ors­beck und Palland, mit de­nen der Pfalz­graf sich in Ver­bin­dung setz­te, er­zähl­ten, die arme Her­zo­gin sei übel dar­an; ob­wohl sie stolz und lei­den­schaft­lich sei, ver­mö­ge sie al­lein nichts


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