Die verbannte Prinzessin. Heinrich Thies
Читать онлайн книгу.Tod des Vaters
Nachrichten aus einer anderen Welt
Karte: Schauplätze einer Affäre
Stammtafel der Welfen zur Zeit des Barock
Sophie Dorothea, Prinzessin von Hannover
* 15. 9. 1666 Celle, † 13. 1. 1726 Ahlden
Öl auf Leinwand, 74 x 61 cm,
von Louis Ferdinand (?), ca. 1682
Hoher Besuch
Celle, September 1682. Nebel hing noch über den Wiesen, als gegen sechs Uhr in der Frühe eine herrschaftliche Kutsche die Stadtgrenze von Celle passierte. Es war kühl, nur wenig über Null. Die Herzogin von Hannover fröstelte, als sie den Vorhang vor ihrem Kutschenfenster zurückschob, um einen Blick auf das Schloss zu werfen, das sich mit seinen ockergelben Mauern wie eine Festung vor ihr erhob. Trotz der Brokatkissen, mit denen sie die roten Samtpolster zusätzlich abgepolstert hatte, waren ihr die Stöße der holprigen Fahrt in die Knochen gefahren. Sie fühlte sich wie zerschlagen.
Bereits am Vorabend war sie in Hannover aufgebrochen. Es hatte tagelang geregnet. Da war es klar, dass die Kutsche nur in gedrosseltem Tempo vorankommen würde. Sophie hatte gehofft, während der nächtlichen Fahrt schlafen zu können, war aber immer wieder aufgeschreckt – ob beim Pferdewechsel im Posthof Engensen oder bei den unfreiwilligen Aufenthalten, die der Schlamm erzwang.
Aber jetzt schien die Sonne, der Nebel lichtete sich, und die Hähne krähten aus den engen Gassen des Fachwerkstädtchens einem schönen Herbsttag entgegen.
Das Ziel war erreicht. Die Wachen am Schlossgraben erkannten das hannoversche Wappen, sie grüßten ehrerbietig und ließen die schlammbespritzte Equipage passieren. Ein Page öffnete den Kutschenschlag mit respektvoller Verbeugung und half dem hohen Besuch beim Aussteigen. Doch kaum hatte die Fürstin den Schlosshof betreten, kam es auch schon zu einem Wortwechsel.
»Führt mich bitte unverzüglich zum Herzog«, forderte Sophie den Oberhofmeister auf.
»Ich bin untröstlich, Euer Durchlaucht, aber Seine Hoheit befinden sich noch im Schlafgemach …«
»Noch im Bett? Das überrascht mich nicht, aber es ist auch ganz gleich. Ich muss ihn sofort sprechen. Unverzüglich – von mir aus im Bett, angekleidet oder unangekleidet.«
»Aber Euer Durchlaucht, das geht doch …«
»Wie bitte? Was hier geht oder nicht geht, das zu entscheiden, mein Herr, überlasst bitte mir.«
»Aber …«
»Kein Aber. Aus dem Weg.«
Mit diesen Worten ließ die Dame im goldbestickten Reisekostüm den Hofbeamten stehen und schritt auf das Schlossportal zu. Vorbei an verdutzten Wachen und Pagen, Mägden und Schlossfräuleins steuerte sie die Gemächer des Herzogs im Ostflügel an, ging über große Treppen, durch verwinkelte Gänge, vorbei an goldgerahmten Porträts mit den stumpfen Blicken längst verblichener Fürsten.
Sie war zwar schon viele Jahre nicht mehr im Celler Schloss gewesen, doch sie kannte den Weg noch gut. Sie hatte Herzog Georg Wilhelm schließlich einmal sehr nahe gestanden, war mit ihm sogar verlobt gewesen. Aber was zählten schon die Regungen des Herzens? Liebe? Nein, Liebe, das war für die Herzogin von Hannover eine höchst gewöhnliche Empfindung. Wer vorankommen wollte in der Welt, hatte seinen Kopf zu gebrauchen. Und wenn man wie Sophie königlichem Geblüt entstammte, Tochter des »Winterkönigs«, des pfälzischen Königs Friedrichs V. von Böhmen war, Enkeltochter Jakobs I. von England und damit Nachfahrin Maria Stuarts, eine echte Stuart, dann hatte man sein Leben bedeutenderen Zielen zu unterwerfen: den Gesetzen der Politik, den Spielregeln der Macht – und zwar nicht nur im eigenen Interesse, sondern vor allem im Interesse der Nachkommen. Darum hatte Sophie von der Pfalz eingewilligt, als Georg Wilhelm sie gebeten hatte, ihre Zuneigung fortan seinem jüngeren Bruder Ernst August zu schenken. Denn der ältere Spross des Welfenhauses verspürte seinerzeit keinen besonderen Drang, sein Leben in den Dienst von Regierungsgeschäften zu stellen. Georg Wilhelm zog das Junggesellenleben vor: Jagd und opulentes Essen, Reisen nach Frankreich, Holland und Venedig, Musik und Theater. So beschloss er, Ernst August die kluge Sophie abzutreten, ebenso wie seine Erbansprüche. Alle Ländereien sollten nach seinem Tode dem Bruder zufallen.
Aber dann hatte sich alles anders entwickelt. Ganz anders. Sophie war nie darüber hinweggekommen: Georg Wilhelm hatte diese Französin geheiratet, eine Landadelige, die Tochter einer Hugenottenfamilie niederer Herkunft: Eleonore d’Olbreuse – den »kleinen Dreckhaufen«, den »Mäusedreck«, wie Sophies Nichte Liselotte von der Pfalz sie in scharfzüngigen Briefen nannte. Und die Lästerzunge sprach Sophie aus dem Herzen. Immer mehr Rechte und Besitztümer hatte Georg Wilhelm nach und nach seiner Madame zugeschustert. Und dann war aus der Verbindung auch noch eine Tochter hervorgegangen, die nachträglich vom Kaiser in Wien als erbberechtigte Prinzessin legitimiert worden war: Sophie Dorothea, geboren am 10. September 1666. In den Augen Sophies ein »Bastard«, mit dem sich ihr Herr Schwager da ungeniert über alle Abmachungen hinwegsetzte. Kein Wunder, dass dieses Zuckerpüppchen als eine der besten Partien in Deutschland galt! Wer die Prinzessin von Celle zum Traualtar führte, erhielt als Zugabe das Fürstentum Lüneburg, das eigentlich ihrem Ältesten zustand, gleich mit. O nein, da konnte sie nicht tatenlos zusehen. Um Himmels Willen!
Die höchste Alarmstufe war erreicht, als Sophie über Andreas Gottlieb von Bernstorff, den hannoverschen Spitzel am Celler Hof, erfuhr, dass Sophie Dorothea mit dem Sohn von Herzog Anton Ulrich von Wolfenbüttel verlobt werden sollte – einem Vetter, aber gleichzeitig auch Intimfeind des Herzogs von Hannover. Das hatte gerade noch gefehlt!
Schon am nächsten Tag sollten Vater und Sohn aus Wolfenbüttel in Celle eintreffen, um die Verbindung perfekt zu machen – aus Anlass des 16. Geburtstages von Sophie Dorothea, der erst vier Tage zurücklag.
Die Depesche aus Celle hatte in Hannover einen Wutausbruch nach sich gezogen. Als Herzog Ernst August sich einigermaßen