Die verbannte Prinzessin. Heinrich Thies
Читать онлайн книгу.Absage, sondern vor allem wegen ihrer Tochter.
»Dass du dich nicht schämst, Sophie Dorothea wie einen Einsatz beim Kartenspiel zu behandeln«, schimpfte sie.
»Du bist ungerecht«, entgegnete er. »Hier geht es nicht um ein Spiel, hier geht es um die Zukunft des Herzogtums, um meine Verantwortung als Sohn eines alten Geschlechts und um die Pflicht, die ich gegenüber meinem Bruder habe.«
»Pardon? Pflicht? Das glaubst du doch selbst nicht. Um Macht geht es dir, um nichts anderes als um Macht. Das Glück unserer Tochter zählt dabei nichts.«
»Mein Schatz, wir müssen alle unser persönliches Glück hinter dem großen Ganzen zurückstellen, das weißt du so gut wie ich.«
»Großes Ganzes! Hohle Worte sind das. Nichts als hohle Worte. Mir scheint, diese Dame aus Hannover hat dich verhext. Es gab Zeiten, da hast du ganz anders geredet. ›Die hohe Politik‹, hast du lamentiert. ›Was interessiert mich das Gerangel um die besten Plätze bei diesem Wettstreit der Eitelkeiten. Ich will leben, gut leben.‹ Was ist daraus geworden? Was?«
Der Herzog blieb die Antwort schuldig, wandte sich brüsk ab und verließ den Raum. Doch das schwierigere Gespräch stand ihm noch bevor.
Die bittere Pille
Sophie Dorothea schüttelte nur den Kopf, als ihr der Heiratsplan mitgeteilt wurde. Dann brach sie in Tränen aus. »Nie, niemals«, stieß sie schluchzend hervor. »Niemals werde ich die Frau von Schweineschnauze. Lieber sterbe ich.«
Ihre Mutter hatte oft genug erzählt, wie verächtlich Sophie und Ernst August sie behandelt hatten; was für eine Bande böser und unkultivierter Menschen den hannoverschen Hof beherrschte. Und in diese Höhle wollte ihr Vater sie verstoßen! Es war nicht zu fassen. Sie warf sich ihrer Mutter in die Arme und weinte. Hemmungslos. Der Herzog von Celle stand hilflos daneben. Im verzweifelten Bemühen, seine Tochter zu beruhigen, gab er ihr das diamantenbesetzte Porträt Georg Ludwigs, das ihr dessen Mutter als Geburtstagsgeschenk mitgebracht hatte. Doch die erhoffte Wirkung blieb aus. Wütend warf Sophie Dorothea die Miniatur mit dem verhassten Cousin gegen die Wand, dass die Splitter durch den ganzen Raum flogen.
Es war ihr völlig unbegreiflich, wie ihr Vater so etwas von ihr verlangen konnte. Jeden Wunsch hatte er ihr bisher von den Augen abgelesen. Zu Ehren ihres sechzehnten Geburtstages hatte er von seiner Schauspielertruppe ein Stück aufführen lassen und wie so oft selbst auf der Bühne gethront und mitgespielt. Und jetzt das? Sie fühlte sich verraten und erniedrigt. Ihr war, als bräche alles zusammen, was ihrem Leben bisher Halt gegeben hatte.
Mit ihrem mahagoniglänzenden Haar und den goldbraunen Augen, mit ihrer Ungezwungenheit und Lebensfreude war sie immer der Stolz ihrer Eltern gewesen. Sie war geliebt und verwöhnt worden. Wie eine schöne Puppe hatte ihre Mutter sie stets frisiert und gekleidet. Und nicht nur bei Hofe flogen ihr die Herzen zu. Wenn sie mit ihrer Ponykutsche durch die Stadt chauffiert wurde, winkten die Leute.
Sie sprach fließend französisch, wurde unterrichtet von den besten Gelehrten des Herzogtums, ausgebildet im Gesang und dem Cembalospiel, eingeführt in die Grundregeln des höfischen Lebens und der kunstvollen Handarbeit. »Ich muss bekennen, dass man ihresgleichen nicht in Deutschland findet«, schwärmte eine fürstliche Beobachterin nach einer Begegnung mit der damals Dreizehnjährigen. »So klug und artig. Sie ist schon so groß wie ich und vollkommen ausgereift. Wirklich, ein Schatz. Aber was in ihrem Herzen vorgeht, weiß man natürlich nicht. Denn sie ist so klug, dass sie ihre Gefühle sehr wohl verbergen kann …«
Sophie Dorothea genoss es, bewundert zu werden; sie liebte es, sich im Spiegel zu betrachten, zu scherzen und zu flirten. Als einzige Schwäche wurde ihr denn auch ein starker Hang zur Koketterie zugeschrieben. Es heißt, ihr Kammerdiener Jacques Agneau, ein strenger Calvinist, habe es ihr sehr übel genommen, wenn sie schon morgens einen Spiegel verlangte und ihr stattdessen bisweilen die Bibel in die Hand gedrückt.
Manch galante Tändelei wurde der impulsiven Dame nachgesagt. Der Page Christian August von Haxthausen, später Minister bei August dem Starken, musste sogar den Celler Hof verlassen, weil er dem Mädchen Liebesbriefe geschrieben hatte.
Es soll der Prinzessin auch untersagt worden sein, mit den Söhnen der Gräfin Maria Christine Königsmarck zu spielen, die um 1680 in Celle zu Besuch waren. Gleichwohl konnte offenkundig nicht verhindert werden, dass Philipp Christoph, einer der beiden Königsmarck-Söhne, einen nachhaltigen Eindruck bei Sophie Dorothea hinterließ.
Für ihren sechs Jahre älteren Cousin Georg Ludwig dagegen konnte sie sich nicht erwärmen. Kein Wunder. Der hannoversche Prinz galt mit seiner gedrungenen, untersetzten Gestalt und den hervorstehenden Augen nicht nur als hässlich, sondern auch als verschlossen, wortkarg und steif. »Trocken und kalt wie Eis«, mit diesen Worten charakterisierte ihn immer wieder seine Cousine Elisabeth Charlotte, besser bekannt als Liselotte von der Pfalz, die Herzogin von Orleans. Nicht einmal seine eigene Mutter scheint ihn geliebt zu haben. »Mehr als kalt«, nannte sie ihren ältesten Sohn. »Der starrsinnigste Kerl, der mir je begegnete. Sein Gehirn ist von einer so dicken Kruste überzogen, dass ich wette, niemand wird je erfahren, was sich darunter befindet.«
Schon früh hatte sich Georg Ludwigs Vater bemüht, seinem Ältesten militärisches Denken und soldatische Tugenden wie Tapferkeit und Härte einzupflanzen. Bereits im Alter von 15 Jahren hatte Georg Ludwig an seinem ersten Feldzug teilgenommen. Schon früh führte ihn sein Papa auch an das andere Geschlecht heran. So wurde der Prinz mit sechzehn Vater eines unehelichen Kindes. Alsbald pflegte Georg Ludwig auch regelmäßigen Kontakt mit einer Mätresse, der Gräfin Katharina Maria von dem Bussche, Schwester der Mätresse seines Vaters.
Leidenschaft war also sicher auch auf seiner Seite bei der Anbahnung der Verbindung mit Sophie Dorothea nicht im Spiel. Doch der Ehevertrag, der zwischen Hannover und Celle ausgehandelt werden sollte, tröstete ihn über die Vernunftehe hinweg, eröffnete er ihm doch die schönsten Aussichten. Denn der Herzog von Celle erklärte sich damit einverstanden, sieben Ämter seiner Grafschaft Hoya mit einem Jahresertrag von 50 000 Talern an Hannover abzutreten und seinen gesamten Besitz nach seinem Tode dem Ehemann Sophie Dorotheas zu vermachen. Darüber hinaus billigte Herzog Georg Wilhelm seiner Tochter eine einmalige Mitgift von 150 000 Talern und eine jährliche Rente von 10 000 Talern zu – eine Rente, über die in Wirklichkeit nur ihr Ehemann verfügen durfte. »Die Heirat interessiert ihn wenig, aber zehntausend Taler haben ihn überzeugt, wie sie wohl auch jeden anderen überzeugt hätten«, schrieb seine Mutter an ihre Nichte Liselotte. »Es ist eine bittere Pille«, hatte Sophie schon während der vorausgegangenen Verhandlungen in einem Brief an ihren Bruder geseufzt, »aber wenn sie mit 100 000 Talern vergoldet wird, macht man die Augen zu und schluckt sie herunter.«
Sophie Dorothea war einer Ohnmacht nahe, als ihr Vater sie an diesem Septembertag aufforderte, der Tante und künftigen Schwiegermutter die Hand zu reichen. Die Herzogin aus Hannover beobachtete das Familiendrama dagegen nahezu unbewegt. Peinlich berührt wandte sich die Fürstin ab, während Sophie Dorothea und ihre Mutter sich weinend in den Armen lagen.
Doch die Zeit trocknete die Tränen. Sophie Dorothea überwand ihren Widerwillen. Sie fügte sich in das Unvermeidliche. Nach einem Höflichkeitsbesuch von Georg Ludwig in Celle fand sie sich mit der Heirat schließlich ab. Innerlich gebrochen und vermutlich von ihrem Vater gezwungen, schrieb sie ihrer zukünftigen Schwiegermutter am 21. Oktober 1682 einen Brief, in dem sie sich allen Vereinbarungen unterwarf: »Ich habe so große Hochachtung vor meinem Herrn und Gebieter, dem Herzog, ihrem Gemahl, und vor meinem Herrn und Gebieter, meinem eigenen Vater, dass, welche Behandlung Sie auch immer geruhen mögen, mir zuteil werden zu lassen, ich mit allem zufrieden sein werde. Mögen ihre Herzogliche Gnaden überzeugt sein, dass Sie keine Schwiegertochter hätten finden können, welche ihre Pflichten besser kennte.«
Die Hochzeit wurde am 2. Dezember 1682 im Celler Schloss gefeiert – wie der französische Gesandte René Marquis de Arcy berichtete, »ganz im Stillen und fast ohne, dass es jemand wusste«.
Die Hochzeit
Ein Sturm fegte über das Celler Schloss hinweg, während Sophie Dorothea an einem düsteren Dezembertag des Jahres