Nordwestpassage. Roald Amundsen
Читать онлайн книгу.Ausfall dieser Beobachtungen ab. Ich kann nicht leugnen, viele hatten ihre Hoffnung darauf gesetzt, dass die Kompassnadel nach Westen zeige – nach den Bisamochsen auf der Insel Melville und nach Prinz-Patrick-Land. Die Deklinationsnadel wurde losgelassen und wir folgten ihren Bewegungen mit atemloser Spannung. Die Nadel schwankte lange hin und her und blieb dann in südwestlicher Richtung stehen. Obgleich auch ich zeitweise mit angenehmen Gefühlen an die Jagdgefilde im Nordwesten gedacht hatte, fühlte ich mich jetzt, wo die Entscheidung gefallen war, sehr befriedigt, denn mein ursprünglicher Plan konnte weiterverfolgt werden. Auch meine Kameraden waren
von demselben Gefühl beseelt. Von Anfang an waren wir alle darin einig gewesen, dass der beste Weg für die Nordwestpassage gerade der sein müsse, wohin die Magnetnadel jetzt deutete.
Wiik war ein zuverlässiger Arbeiter, wir hätten keinen gewissenhafteren und sorgfältigeren Gehilfen bekommen können.
Leutnant Hansen bekam keine Gelegenheit zum Gebrauch seiner astronomischen Instrumente. Die Sonne wollte sich nicht zeigen und wir mussten uns mit der Messung einzelner bekannter Punkte begnügen. Glücklicherweise hatte Kommandeur Pullen im Jahre 1854 eine Spezialkarte von der Insel Beechey aufgenommen, und diese war uns nun von großem Nutzen. Der Leutnant fand übrigens Veranlassung, die Beschaffenheit des Bodens zu untersuchen, und er nahm eine große Menge Versteinerungen mit. Northumberland House ist der Name eines Hauses, das auf der Insel Beechey im Herbst 1852 von Pullen gebaut wurde. Es sollte für das Geschwader von Sir Edward Belcher, der auf die Suche nach Franklin ausgezogen war, Proviant und Ausstattungsgegenstände enthalten. Bei der Heimreise dieses Geschwaders wurde das Haus nebst Inhalt als ein Depot für Franklin zurückgelassen, falls dieser an der Insel vorbeikäme. Drei Boote von verschiedener Konstruktion wurden auch zurückgelassen. Auf seiner Untersuchungsexpedition mit dem »Fox« besuchte Sir Leopold McClintock diesen Ort im Jahr 1858. Damals schon hatte das Depot Schaden gelitten. Und als Sir Allan Young 1878 mit der »Pandora« dahin kam, war es von Bären, die eingebrochen waren, so gut wie zerstört. Kein Wunder also, dass wir im Jahr 1903 das Ganze vollständig vernichtet fanden. Die letzten Reste von Kohlen nahmen wir mit. Desgleichen einen kleinen Vorrat Sohlenleder, das uns sehr willkommen war. Obgleich so viele Jahre lang Wetter und Wind ausgesetzt, war das Leder noch ganz gut, ja es wurde sogar unserem neuen Vorrat von »prima amerikanischem Sohlenleder« vorgezogen.
Die Ruinen des Franklin-Depots auf der Insel Beechey
Aber das Schicksal dieses Depots erscheint mir als eine Warnung für die Polarfahrer, die ihre Hoffnung auf fünfzigjährige Depots setzen.
Die im Auftrag von Lady Franklin zum Andenken an ihren Mann und seine Gefährten und seine Leute von McClintock errichtete Marmorplatte war in Ordnung. Sie lag noch da, wo sie im Jahre 1858 hingelegt worden war, am Fuß der Belcher-Säule, die zur Erinnerung an die Verunglückten der Belcher-Expedition errichtet wurde. An dieser Säule ist auch eine kleine Erinnerungstafel an den in der Gegend ertrunkenen französischen Leutnant Béllot eingelassen. Dies alles fanden wir im besten Zustand, desgleichen die Gräber selbst; einen einzigen umgestürzten Grabstein richteten wir wieder auf …
Die Traurigkeit und Schwere des Todes ruht über der Insel Beechey; es ist kein Leben, keine Vegetation da, kaum Wasser ist zu finden. Als zwei von unseren Leuten nach vieler Mühe endlich Wasser zum Füllen unserer Behälter entdeckt hatten und es in einem unserer Segeltuchboote zum Schiff schleppten, bekam das Boot ein Loch und das Wasser lief aus. Ein Spaziergang auf den Gipfel der Insel gewährte uns einen ziemlich guten Überblick, der freilich ohne den anhaltenden Nebel noch besser gewesen wäre. Einige Meilen weit konnten wir aber doch da und dort hinausspähen. Das Meer war auf allen Seiten eisfrei, nirgends war auch nur eine einzige Scholle zu sehen.
Aber was ist das? Plötzlich ist der Eingang zu der Erebus-Bucht mit einer schweren weißen Masse angefüllt. Es sieht am ehesten wie plötzlich aufgetauchtes zusammenhängendes Neueis, »Pfannkucheneis«, aus. Unsere Fernrohre bestätigen das Phänomen – es ist Bewegung in der Masse …
Und dann ertönt in des Walfischfängers erfreulicher Sprache die Kunde, es sei ein gewaltiger Schwarm Weißwale, der sich da nähere.
Am vierundzwanzigsten August gegen Mittag waren wir mit unseren magnetischen Beobachtungen fertig. Wir hatten unser Zelt am Ufer eines ausgetrockneten Flussbetts aufgeschlagen. Die Stelle ist durch eingerammte Fassdauben und große Steine bezeichnet, sodass es einem etwaigen künftigen Observator wahrscheinlich nicht schwer sein wird, den Ort wiederzufinden.
Noch einmal versammelten wir uns alle miteinander bei dem alten Franklin-Depot und untersuchten genau, ob sich nicht vielleicht noch etwas fände, was uns von Nutzen sein könnte. Einige hatten ihr Herz an einen alten Handkarren gehängt und verwendeten sich eifrig für dessen Mitnahme. Auf die Frage, ob sie ihn zu sich in ihre Koje nehmen wollten, ließen sie von ihrem Begehren ab. Sie sahen ein, dass wir keinen Platz dafür hatten. Aber der Schmied hatte einen Fund gemacht, über den er in höchstes Entzücken ausbrach – einen uralten Amboss. Ihn von dessen Mitnahme abzubringen, wäre nicht ratsam gewesen. Die Expedition wäre einfach zugrunde gegangen, wenn wir den Amboss nicht mitgenommen hätten! – Er wurde nie benutzt!
Das Denkmal für Franklin, Béllot und Belcher auf der Insel Beechey
Den Bericht über unsere bisherigen Erlebnisse steckten wir in eine Blechhülse und hängten sie an den am meisten in die Augen fallenden Platz – über die Béllot-Platte an der Belcher-Säule. Dann ruderten wir an Bord hinüber – alle sehr befriedigt von dem Aufenthalt auf Beechey und nur von dem Wunsch beseelt, weiterzukommen.
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