Nordwestpassage. Roald Amundsen
Читать онлайн книгу.erregt, und die Fernrohre wurden fleißig benützt.
Beim Anblick des Eises begann sich in den meisten von uns das Jägerblut zu regen. Durch die Ferngläser wurde nach möglicher Beute gespäht, und allerlei Bärenjagdgeschichten waren sehr häufig der Gegenstand der Unterhaltung … Selbstverständlich stand Freund Petz in aller Erwartung obenan, aber nichtsdestoweniger hätte man auch eine »Klappmütze« – die großen prachtvollen Seehunde, die man an den grönländischen Küsten im Eis antrifft – freundlich empfangen. Zwei unserer gewaltigsten Nimrode ließen sogar etwas von der Möglichkeit, einen Walfisch zu morden, verlauten.
Am fünfzehnten Juli endlich konnten die Herren Jäger ihr Mütchen kühlen. Wir fuhren an diesem Tag eine kleine Strecke zwischen das Eis hinein und schossen vier große Klappmützen. Das frische Fleisch mundete uns allen herrlich! Und Lindströms Beredsamkeit floss über von Roulade, Sülze und Würsten, dass allen Bewohnern der Gjöa das Wasser im Mund zusammenlief. Er erzählte von seinen kulinarischen Taten als Küchenchef auf der »Fram«. Leider bewegten sich seine Reden nur in der Vergangenheit, während wir auf seine Taten in der Gegenwart warteten und hofften. Vorläufig freilich vergebens! Nun – Ehre sei dem Gjöa-Koch! Er hat uns trotzdem manches gute Beefsteak vorgesetzt!
Doch nicht allein den Menschen mundet das frische Fleisch gar köstlich, die Hunde liefern alle erdenklichen Beweise, dass auch sie keine Kostverächter sind. Sie fressen sich toll und voll, ihre Leiber stehen hervor wie ausgestopfte Ballons, und namentlich Lurven zeichnet sich dabei aus. Er zeigt sich jetzt als ein besonderes Ferkel, und sein ganzer Körper ist mit Fett und Blut eingeschmiert. Das auf der Wache hart arbeitende Reinigungsamt ist nach solchen Festmahlzeiten vollauf beschäftigt. Jeder Seemann kennt diese Seite der Sache, dass man Hunde an Bord hat. Man denke sich dann vier auf einmal, die aller Stubendressur bar sind!
Am nächsten Tag waren wir wieder im Eis drin und schossen noch sieben Seehunde.
Während dieser Zeit der Seehundjagd sind die Harpunen und Messer in voller Tätigkeit. Unser erfinderischer Maschinist ist indes so schlau gewesenen, der mit der Transmission in Verbindung stehenden Lotmaschine einen Schleifstein anzubringen, der nun das Schleifen ganz allein besorgt.
Lindström findet, Seehundleber sei der delikateste Leckerbissen, den es gebe, und er bewirtet uns früh und spät damit. Sie schmeckt übrigens auch gar nicht schlecht. Als wir uns der »Kleinen Hellefiskbank« näherten, setzte der Maschinist, der ein ebenso eifriger Fischer wie Jäger ist, seine Fischgeräte instand und richtete sich droben im Heckboot ein, von wo aus er das Fischen im großen Stil betrieb. Er war selbst sehr hoffnungsvoll und wurde darin von dem Koch unterstützt, während wir anderen uns etwas skeptisch verhielten. Groß war daher sein Triumph, als er eines Morgens wirklich einen kleinen Heilbutt fing, der uns übrigens herrlich schmeckte.
Am zwanzigsten Juli bekamen wir den »Sukkertoppen« (Zuckerhut) in Sicht. Übrigens behält die Küste ihren Charakter mit hohen zerrissenen Gipfeln bei. Sonst war es hier lebendiger – mit ganzen Schwärmen von Walfischen dicht vor uns. Das Wetter war in der Nähe des Landes auch besser als weiter draußen; bei einer leichten Brise aus Süden blieb es hell und klar. Die Temperatur des Wassers stieg bis zu vier Grad Celsius. Eis sahen wir merkwürdigerweise gar keines, obgleich man hätte denken sollen, der beständige Nordwind, den wir die ganze Zeit entgegen gehabt hatten, hätte eine Menge Eis südwärts getrieben. Es war vielleicht gar kein Eis mehr da –?
Jetzt machten wir zum ersten Mal die Entdeckung, dass wir uns nicht mehr auf den Kompass verlassen konnten. Dies ist überhaupt an der Westküste von Grönland eine recht wohlbekannte Erscheinung. Noch weiter draußen im Meer ist er dagegen ganz zuverlässig. Die Ursache davon sind wahrscheinlich die stark eisenhaltigen Gebirge.
Der vierundzwanzigste Juli war ein wundervoller Tag, ganz still und leuchtend hell. Es war seit unserer Abreise der erste wirkliche Sommertag. Wir benutzten diese Gelegenheit, um alles Brot, das wir in neubackenem Zustand von zu Hause mitgenommen und drunten im Schiffsraum ausgebreitet hatten, an die Luft zu bringen. Ein großer Teil davon war verdorben, aber wir schnitten das Verschimmelte weg und lüfteten das andere, sooft es angezeigt schien.
»Segel voraus!«, ertönte es plötzlich. Und da wird es lebendig an Bord! Alle Ferngläser – und wir haben viele auf der Gjöa – werden herausgeholt.
»Ein Vollschiff!«, heißt es.
»Oh nein, wir begnügen uns mit einem Schoner!«, denke ich.
»Ich sehe ganz deutlich, dass es eine Brigg ist!«
»Wahrscheinlich ist es eines der königlich-dänischen Grönlandhandelsschiffe, das auf dem Heimweg ist!«
»Da ist noch eins!«, rief einer von uns, mit dem Fernrohr vor dem Auge.
Na, es begann ja ordentlich bevölkert zu werden hier draußen in der Eiswüste! Wir wandern auf Deck hin und her und plaudern seelenvergnügt darüber, welch eine Überraschung wir für die Entgegenkommenden sein würden. Ich kann auch nicht leugnen, dass wir das Deck ein klein wenig festlich herrichteten … Es könnte ja Besuch kommen!
Dann wird ein Fernrohr auf endgültig bestimmte Weise zusammengeklappt und dazu erhebt sich ein schallendes Gelächter.
»Nanu –?«
»Meine Herren«, sagt Leutnant Hansen, »es sind Eisberge.«
Empörter Widerspruch unsererseits; man späht aus und disputiert, und indessen nähern wir uns dem streitigen Gegenstand immer mehr. Die Aufregung verschwindet, das Vollschiff wird aufgegeben, die Brigg desgleichen. Der Schoner hat noch einen Anhänger, bis wir so weit herangekommen sind, dass wir vor uns eine große Ansammlung von Eisklippen haben, die auf dem Grund von der »Großen Hellefiskbank« zu stehen scheinen.
Etwas später am Vormittag bekamen wir die Insel Disko in Sicht, hoch und oben abgedacht und aus weiter Ferne leicht erkennbar. Aber es ist ein weiter Weg bis zu ihr hin. Um acht Uhr abends waren wir noch dreißig Seemeilen entfernt und erst um halb elf Uhr am nächsten Vormittag erreichten wir das Land. Eine Reihe fest stehender Eisklippen sah aus, als wollte sie die Einfahrt zu dem dahinter liegenden Godhavn absperren. Aber bald kam der Kolonievorstand Nielsen mit einem Boot zu uns heraus, uns willkommen zu heißen und hereinzulotsen.
Schwere Windstöße fuhren uns entgegen, und wir mussten hineinkreuzen, da der Motor uns nicht allein weiterbrachte. Nachts um ein Uhr warfen wir den Anker aus.
Godhavn liegt auf einer kleinen, niedrigen Insel, die von der Insel Disko durch einen ganz schmalen Sund getrennt ist. Die Ortschaft zählte im Jahre 1903 hundertundacht Seelen und sie ist der Wohnsitz des grönländischen Inspektors. Sie liegt außerordentlich schön da mit dem mächtigen hohen Disko im Norden sowie im Süden wie im Westen das Meer, das von Zeit zu Zeit mit gewaltigen Eisbergen angefüllt ist.
Wir machen sofort Besuch bei den Spitzen des Ortes, dem Inspektor und dem Kolonievorstand. Schon im vergangenen Jahr hatte ich mit Herrn Inspektor Daugaard-Jensen in Briefwechsel gestanden, und er hatte versprochen, mir zehn Schlittenhunde mit allem Zubehör zu verschaffen. Er empfing uns mit großer Liebenswürdigkeit und konnte uns mitteilen, dass alles wohlbehalten angekommen sei – Schlitten, Kajaks, Ski, zwanzig Fass Petroleum und so weiter … Der königlich-dänische Grönlandhandel war so entgegenkommend gewesen, diese ganze Ausstattung auf einem seiner Schiffe hierher zu befördern. Ich schulde Herrn Direktor Rydberg und dem Herrn Bureau-Vorsteher Krenchel warmen Dank für die ausgezeichnete Behandlung, die der Gjöa-Expedition vonseiten des Grönlandhandels zuteilwurde.
Godhavn mit der Insel Disko im Hintergrund
Kolonievorstand Nielsen war in jeder Beziehung unermüdlich dienstfertig. Wir Expeditionsleute teilten uns sogleich in zwei Parteien, von denen die eine die notwendigen Beobachtungen vornehmen sollte, während die andere alle Arbeit an Bord besorgte. Leutnant Hansen stand den astronomischen, Wiik den magnetischen Beobachtungen vor. Lund und Hansen sollten alles an Bord befördern und außerdem das Schiff zur Fortsetzung der Reise klarmachen. Ristvedt eilte hin und her und hatte alle Hände voll zu tun. Bald musste er dem Astronomen, bald dem Magnetiker den