Sophienlust Staffel 15 – Familienroman. Susanne Svanberg
Читать онлайн книгу.sie beobachtet wurde. Arglos beugte sie sich noch einmal in den Wagen hinein, um eine kleine Reisetasche herauszunehmen. Lauter Süßigkeiten waren darin. Anja durfte sie später an ihre Kameraden verteilen.
»Nach den Schilderungen von Frau Rennert sind Sie Anjas Tante«, sagte plötzlich eine dunkle sympathische Stimme hinter Grit.
Die junge Frau sah erstaunt hoch und blickte in zwei dunkle Augen. Es war, als knisterte es zwischen ihnen. Jener berühmte Funke schien überzuspringen. Doch diese Empfindung verlöschte ebenso jäh, wie sie aufgekommen war. Grit wollte sie nicht wahrhaben. Sie wollte nie mehr einem Mann vertrauen, nachdem sie so unsagbar enttäuscht worden war.
David Danner verfolgte die Szene mit finsterem Gesicht. »Grit Möllendiek ist meine Verlobte«, mischte er sich ein.
Hans Strasser war es, als bekomme er eine eiskalte Dusche. Eben hatte er das hübscheste Mädchen entdeckt, das er je gesehen hatte, und nun war sofort ein anderer da, der seine Besitzerrechte verteidigte. Es konnte ja nicht anders sein. Ein so schönes junges Geschöpf wie Grit fand natürlich viele Bewunderer.
Sie ist viel, viel reizender als Marina, stellte Hans Strasser mit Bewunderung fest. Ein Traum von einem Mädchen! Flüchtig dachte er daran, dass Grit genau die Frau war, auf die er unbewusst immer gewartet hatte. Doch was waren das für törichte Gedanken? Ein kleiner Beamter hatte bei einer solchen Frau niemals Chancen. Das war nur etwas für reiche Männer. Für Männer wie dieser bärtige Modejüngling mit dem protzigen amerikanischen Wagen.
»Sie sind sicher der Mann, der Anja damals nach Sophienlust gebracht hat«, erinnerte sich Grit. »Ich habe Ihnen sehr zu danken. Sie haben schon in der Auswahl des Heims Anja sehr geholfen. Dass Sie die Kleine auch weiterhin besuchen, ist sehr nett von Ihnen.«
Eigentlich hatte sich Hans Strasser vorgenommen, mit Anjas Tante über die Adoption des Kindes durch ihn zu sprechen. Doch nun, da er Grit gegenüberstand, wusste er, dass seine Hoffnung sinnlos war. Bei dieser hübschen jungen Frau war Anja natürlich viel besser aufgehoben als bei ihm. Sie hatte Zeit für das Kind und konnte Anja, schon finanziell gesehen, viel mehr bieten als er.
Schmerzliche Enttäuschung fühlte Hans Strasser in sich. Er war bereit gewesen, um Anja zu kämpfen. Ihr zuliebe hatte er sein Verhältnis mit Marina gelöst. Wie ein Vater hatte er zu Anja sein wollen. Doch das alles erschien ihm jetzt richtig lächerlich. Anja brauchte ihn überhaupt nicht. Sie hatte eine Tante, die ganz bestimmt gut für sie sorgen würde. Hans Strasser wusste, er musste mit dieser Tatsache fertig werden. Vielleicht hatte Marina doch recht gehabt, als sie ihm vorgeworfen hatte, dass er sich albern benehme?
»Ich wollte gerade zu Anja«, sagte er resignierend. »Aber jetzt …«
»Kommen Sie ruhig mit«, bat Grit freundlich.
Doch Hans Strasser schüttelte den Kopf. »Ich möchte nicht stören. Vielleicht warte ich im Park, bis die erste Wiedersehensfreude abgeklungen ist.« Er deutete eine kurze steife Verbeugung an und ging langsam zu seinem Wagen zurück.
*
Anja, die gerade den sprechenden Papagei Habakuk mit Nüssen gefüttert hatte, erkannte ihre Tante sofort. Sie lief auf Grit zu und schmiegte sich innig in ihre Arme.
»Ich bin gekommen, um dich nach Hause zu holen, Anja«, sagte das silberblonde Mädchen leise. »Es wird dir sicher bei mir gefallen. Ich möchte immer gut zu dir sein, kleine Anja. Denn ich habe dich doch lieb. Sehr lieb.«
Anja sah aufmerksam in Grits schönes Gesicht. Sie spürte sehr genau, dass ihre Tante es ernst meinte, dass sie sich bei ihr sicher und geborgen fühlen konnte. Stürmisch schlang sie beide Ärmchen um Grits Hals und brachte so ihre Freude und Zustimmung zum Ausdruck.
»Du sollst wieder eine Heimat haben, Anja, und wissen, wohin du gehörst. Ich will dir helfen, alles Schlimme zu vergessen und wieder froh zu sein.« Diese Worte klangen wie ein Schwur, und so meinte es Grit auch.
Anja nickte voll Dankbarkeit. Sie war noch zu klein, um ermessen zu können, was dieser Entschluss für eine junge Frau wie Grit bedeutete. Doch sie nahm sich fest vor, ihre Tante nie zu ärgern und immer lieb zu ihr zu sein.
Grit ließ das Kind kurz los und wandte sich den mitgebrachten Geschenken zu. David Danner, der sich bis jetzt im Hintergrund des Raumes mit Frau Rennert unterhalten hatte, trat aus dem Schatten der hohen Blattpflanzen und übergab Grit die beiden Pakete. Sofort beugte sich Grit darüber und begann auszupacken. Die übrigen Kinder, die im Wintergarten waren, kamen neugierig näher.
In diesen spannenden Minuten achtete niemand so richtig auf Anja. Sie sah mit großen staunenden Augen zu dem bärtigen Mann empor. Zunächst spiegelte sich Verwunderung auf ihrem hübschen Kindergesicht. Doch dann schien sich mehr und mehr Gewissheit herauszuschälen.
Anja schluckte. Für sie versank die friedliche Welt im Wintergarten und machte einer schlimmen Erinnerung Platz. Nur zu gut wusste sie jetzt, wo sie dieses Gesicht schon gesehen hatte. Oben im Wald bei der Pferdekoppel war es gewesen.
Unverwandt sah das Kind den Mann an. Immer größer, immer ängstlicher wurden Anjas dunkle Augen. Sie fasste sich an den Hals, als spürte sie zwei grobe würgende Hände dort.
David Danner fühlte sich im Kreis der Kinder plötzlich nicht mehr wohl. Er wusste, das, was er nie geglaubt hätte, war eingetreten. Anja hatte ihn erkannt. Nur gut, dass sie sich nicht verständlich machen konnte. Wenn er ganz ruhig blieb, würde sicher niemand den Zusammenhang ahnen.
Vorsichtig blickte er in die Runde. Alle Kinder sahen gespannt zu, wie Grit auspackte. Sogar die Heimleiterin beugte sich ein wenig vor, um einen Blick in den großen Karton werfen zu können.
Warnend hob David Danner den Zeigefinger. Seine dunklen Augen funkelten Anja zornig an. Er wollte das Kind mit dieser Geste einschüchtern. Dass er damit die maßlose Angst, die die Kleine noch immer beherrschte, nur noch vergrößerte, ahnte er nicht.
Die Woge der grausigen Furcht schlug über Anja zusammen. Sie begann zu zittern. Klappernd schlugen ihre Zähne aufeinander. In panischer Angst versuchte sie zu schreien. Sie warf die Ärmchen in die Höhe und zuckte wie im Krampf. Keuchend rang sie nach Luft.
Grit, die die Veränderung zuerst bemerkte, wandte sich erschrocken zu ihrer kleinen Nichte um und nahm Anja wie ein Kleinkind auf den Arm. Doch das Mädchen hatte sich bereits so sehr in seine panische Angst hineingesteigert, dass es keine tröstenden Worte hörte, dass es überhaupt nicht wahrnahm, dass Grit es beschützen wollte. Keine Sekunde wandte es den Blick von David Danner, der sich jetzt hinter den hohen Blattpflanzen zu verbergen versuchte. Schweißperlen bildeten sich auf Anjas runder Kinderstirn. Wild schlug sie um sich. Und plötzlich löste sich ein hoher schriller Ton aus Anjas Mund. Ein zweiter Ton folgte, ging über in ein heiseres, wildes, angsterfülltes Gurgeln.
Grit und Frau Rennert standen wie erstarrt. Sollte jetzt das eintreffen, woran niemand mehr so richtig glaubte? Sollte Anja wieder Laute hervorbringen können?
Grässliche, fast tierische Laute waren es, die jetzt über Anjas Lippen kamen. Sie hörten sich so furchtbar an, dass die Erwachsenen erschraken und die Kinder sich entsetzt die Ohren zuhielten.
»Sie gehört in eine Anstalt«, sagte David Danner, der völlig ruhig zu sein schien. Er hatte sich längst wieder in der Gewalt und war der Überzeugung, dass sich Anjas Äußerungen auf diese tierischen Laute beschränken würden. Damit konnte sie ihm nicht gefährlich werden.
»Anja, bitte, beruhige dich doch. Es tut dir niemand etwas. Alle haben dich gern. Alle sind lieb zu dir. Du brauchst keine Angst zu haben.« Grit hielt die Kleine mit aller Kraft fest.
»Er …, er …«, keuchte Anja plötzlich und deutete auf David Danner.
Alle sahen auf den Mann in dem modischen Freizeitanzug. Er stand breitbeinig neben dem Philodendron und schüttelte lachend den Kopf. »Völlig übergeschnappt, die arme Kleine!«
»Pferde«, schrie Anja voll Verzweiflung. »Im Wald!«
»Jetzt wird mir die Sache aber zu dumm«, meinte David Danner voll Hochmut. »Grit, ich werde dich gegen Abend abholen.« Er winkte