Das Auge des Feinschmeckers. Frank Winter
Читать онлайн книгу.und muss Ihnen sagen, ich ziehe meinen Hut vor der Überlegenheit der Schotten in puncto Suppen. Schildkrötensuppe und Mulligatawny ausgenommen. Ein langjähriger Freund von mir führt diesen Sachverhalt auf die lange und innige Verbundenheit mit den Franzosen zurück, die berühmt sind für ihre Suppen.«
Dr. Redgill, in den »Annals of the Cleikum Club«, zitiert in F. Marian McNeills »The Scots Kitchen«
Alles, was Sie mit Scotch kochen können – Teil 1: Cullen Skink
»Das war unerträglich. Auf eine derartige Verkörperung der Küchenunterwelt habe ich nie zuvor beißen müssen. Mir ist jetzt noch ganz schlecht davon. Psychisches Nachbeben, wenn Sie verstehen, was ich meine. Ich werde mich darum kümmern, dass die Verantwortlichen bei Wasser und Brot in einer Zelle darben, während ihnen von außen der Duft feiner Spezereien zugefächelt wird. Inzwischen glaube ich sogar, meine Besprechung ist zu milde ausgefallen. Sie halten das hier für eine gute Idee, ja?«, wollte MacDonald wissen. Die Expedition auf Arthur’s Seat ließ ihn vor Anstrengung kleine Wölkchen auspusten. Vom 822 Fuß hohen Berg hatte man einen wunderbaren Ausblick auf die Stadt. »Absolut, es wird ausgezeichnet wirken auf den Fernsehschirmen, glauben Sie mir«, erwiderte Jim Robertson, der Regisseur des Fernsehteams, ruhig. Er hatte sich an die improvisierten Vorträge seines Hauptdarstellers mittlerweile gewöhnt.
»Ich komme mir vor wie der Yeti auf der Suche nach seinen Ersparnissen«, klagte der Genießer, freute sich aber durchaus über den schönen Blick in die Ferne.
»Der wohnt ganz woanders, glauben Sie mir. Und eine Kochsendung würde er bestimmt nicht moderieren.«
»Mister Robertson. Ich bin nicht mit einem Ansager zu vergleichen, sehe mich mehr als passionierten Koch, der sich bereit erklärt hat, mit den werten Zuschauern einige seiner Küchengeheimnisse zu teilen.«
»Ist klar.«
»Erklären Sie mir noch einmal, warum wir auf Arthur’s Seat drehen und nicht in den Highlands?«
»Aber sehr gerne. Sie sind doch ein leibhaftiger und überzeugter Bürger dieser Stadt, nicht wahr?«
MacDonald rückte seine Seidenkrawatte gerade. »Das kann man mit Fug und Recht sagen.«
»Sehen Sie. Und das Programm heißt ›Alles, was Sie mit Scotch kochen können‹. Präsentiert von ... na?«
»Von mir«, sagte MacDonald nicht ohne Stolz.
»Exakt«, erwiderte Robertson und wischte sich unter seinem Käppi die Stirn. »Sie sind der Mittelpunkt der Sendung. Nur weil der Scotch, mit dem wir kochen, im Hochland hergestellt wird, müssen wir nicht in die Berge reisen.«
»Sie glauben nicht, dass die Zuschauer Einwände hegen gegen einen ausgebrannten Vulkan als Kulisse für meine Rezepte?«
»Nein, Mister MacDonald, das denke ich wirklich nicht, denn dieser ausgebrannte Vulkan ist zufällig eines der Wahrzeichen unserer Stadt. Kaum eine Metropole kann einen derartigen Ort vorweisen, nicht wahr?«
»In der Tat«, erwiderte er, nun endlich überzeugt. Was der Regisseur verschwieg, war die Tatsache, dass der Etat keine Reisekosten enthielt. So erklomm das Produktionsteam nebst fünf Möbelpackern den höchsten Punkt der Kette von breiten Hügeln, ein selbst für die BBC Scotland ungewöhnliches Unterfangen. Zwei der massigen Männer stemmten einen Schreibtisch in die Höhe, der Rest trug einen Campingtisch und eine Topfsammlung, deren Anblick jeden Hobbykoch zu Tode gedemütigt hätte. MacDonald bildete zusammen mit seinem Regisseur das Schlusslicht. Sein Blutdruck stieg mit jedem Schritt wie das Quecksilber eines gereizten Thermometers. »Lassen Sie mich nur noch einen Moment den wunderschönen Blick genießen, Mister Robertson. So viel Zeit muss sein.« Er griff zu seinem silbernen Flachmann, den er gewöhnlich nur bei extremer Kälte einsetzte, und gönnte sich einen Doppelschluck Scotch. »Möchten Sie auch einen?«
»Nein, danke, ich gewöhne es mir gerade ab«, sagte Robertson, wenig überzeugend.
Der Gourmet wich erschrocken einen Schritt zurück. »Ein Freund beschritt diesen Weg auch einmal. Von dem Zeitpunkt an konnte man nichts mehr mit ihm anfangen. Saß nur noch in der Ecke und schwieg vor sich hin, ein schreckliches Schicksal. So möchte ich nicht enden.«
»Können wir weiter?«
»Aber ja, ich habe nichts dagegen. Nur wacker voran.«
Der Tross hatte sich in der Zwischenzeit unaufhaltsam dem Gipfel genähert. Auf dem letzten, schmalen Pfad mimten die Packer Hannibals Elefanten bei der Überquerung der Alpen, sich fragend, wozu der ganze Unsinn veranstaltet wurde. Möbel, gut, aber Pfannen und dergleichen Kram? Die präzisen Anweisungen Robertsons brachten Licht ins Trägerdunkel. »Den Schreibtisch bitte mit dem Rücken zum Berg, den kleineren Tisch zwei Fuß davor, danke.« MacDonald nahm hinter dem gewichtigen Sekretär Platz, vor sich einen dekorativen Halbkreis mit erlesenen Whiskys. Ähnlichkeiten mit einer beliebten britischen TV-Serie namens »Monty Python’s Flying Circus« waren keinesfalls zufällig. »Gut, fangen wir einfach an wie besprochen«, sagte der unermüdliche Mister Robertson.
»Ich bin bereit«, verkündete MacDonald. »Die Frage, wer den Whisky erfunden hat, ist fast so alt wie das Rätsel um Huhn und Ei, aber doch sehr klar zu beantworten. Natürlich waren es die Schotten. Wer sonst? Die Legende behauptet, dass eines wunderschönen Tages, als zur Erntezeit Getreide gedroschen wurde, unbeabsichtigt etwas Gerste im Wasser landete. Die Körner begannen zu keimen. Unsere werten Ahnen beliebten, dieses Gemisch zu kochen, der Dampf traf auf eine kalte Oberfläche, kondensierte zu einer kristallklaren Essenz, und siehe da, der Scotch war geboren. Ein denkwürdiger Tag in der Geschichte der Schotten und auch der Menschheit. Ein halbes Jahrtausend ist das nun her. Doch keine Angst, meine lieben Zuschauer, ich habe nicht vor, Sie zu Tode zu langweilen mit einem Übermaß an Historie. Ganz und gar nicht, denn diese können Sie viel besser nachlesen. Was ich Ihnen biete, ist eine Reise durch die Whisky-Küche. Bei mir erfahren Sie in den nächsten Wochen, welche schmackhaften Gerichte sich mit der goldenen Flüssigkeit kreieren lassen. Heute beginnen wir mit einer veredelten Form des Ihnen wohlbekannten Cullen Skink.«
»Schnitt, okay, das haben wir im Kasten«, rief Robertson freudig. »Jetzt wird das Süppchen gekocht.«
»Als ob es so einfach wäre, eine ansprechende Vorspeise zu zaubern«, sagte MacDonald halb beleidigt. »Das mag im Dosenzeitalter eine gar häufige Annahme sein, aber ich sage Ihnen, frische Kost ist weitaus anspruchsvoller. Kochen ist eine Kunst, wie meine Tante Beatriz in Lissabon immer zu sagen pflegt. Zweifeln Sie etwa daran?«
»Aber nein, Mister MacDonald, im Gegenteil, ich freue mich nur, dass alles so reibungslos geklappt hat. Das erleben wir selten. Sie sind wirklich ein Naturtalent.«
»Bei dem Wind hier oben macht sich das wahrscheinlich bezahlt.«
»Sie kriegen das schon hin.«
»Vielen Dank für Ihr unerschütterliches Vertrauen, aber bedenken Sie, Ihre Kameraausrüstung wiegt bestimmt eine Tonne. Und erst meine Kochtöpfe! Wenn es die in prallem Zustand vom Berg weht, denken die Leute, der Vulkan sei wieder ausgebrochen.«
»Der würde bei weitem nicht so gut riechen. Aber wer weiß, vielleicht können die Bewohner der Stadt vom Duft ihrer Kreation auf den richtigen kulinarischen Weg gebracht werden.«
MacDonald faltete sorgfältig sein dunkelblaues Jackett und legte es auf den Schreibtisch. »Falls meine Suppe misslingt, werde ich mich im Fallschirmspringen üben oder ich beginne eine Karriere als Koch im ›Welcome to TexMex‹. Die Voraussetzungen dafür würde ich auch mit halb so viel Gehirnzellen und nur einer Hand noch mitbringen!«
»Das ›Welcome to TexMex‹, sagen Sie?«
»Ja, kennen Sie das Etablissement etwa?«
»Es hat seit Kurzem einen neuen Besitzer. Sein Name ist Francis Drake, ein knallharter Geschäftsmann.«
»Haben Sie jemals in dem sogenannten Restaurant diniert, Mister Robertson?«
»Ich nicht. Allerdings war mein Bruder schon dort.«