Mord im Hause des Herrn. Franziska Steinhauer

Читать онлайн книгу.

Mord im Hause des Herrn - Franziska Steinhauer


Скачать книгу

      Lundquist nahm ab.

      »Sven Lundquist.«

      »Aha! Da habe ich ja gleich den Richtigen! Was fällt eigentlich der schwedischen Polizei ein, meine Firma durchsuchen zu lassen und meine Familie so zu erschrecken?«

      Der Anrufer schrie so laut, dass alle Anwesenden ihn problemlos verstehen konnten.

      »Ich dachte, Schweden sei ein Rechtsstaat! Aber nun sehe ich, wie weit der Arm der staatlichen Repression reichen kann – sogar über Landesgrenzen hinweg!«

      »Mit wem spreche ich denn eigentlich?«, fragte Lundquist in eine Atempause hinein.

      »Na, wie viele unterjocht ihr denn noch gerade durch eure globalisierten Handlanger der Staatsgewalt? Habt ihr bei der Masse womöglich den Überblick verloren? Ich bin Gunnar Thaisen!«

      ****

      Die drei Radfahrer am Horizont waren nun schon gut zu sehen.

      Je näher sie kamen, desto deutlicher wurde auch ihre Wut sichtbar. Sie traten mit großer Kraft in die Pedale, und ihm schien, als flögen sie förmlich heran.

      Vielleicht war es doch ein Fehler gewesen. Er hätte ja auch einfach so weitermachen können wie bisher. Wenn es nicht so ein traumhafter Sommer gewesen wäre – bei Dauerregen hätte es ihm bestimmt nicht so viel ausgemacht. Bei anderen Gelegenheiten hatte er auch schon mal Fehler eingearbeitet – und jedes Mal war er von ihnen dafür bestraft worden. Er argumentierte sonst immer mit der Glaubwürdigkeit. Wenn immer alle drei alle Aufgaben richtig hatten, wäre das viel zu auffällig und die Lehrer kämen ihnen mit Sicherheit bald auf die Schliche. Das sahen der Dicke, der Dünne und der Lange zwar jedes Mal ein, aber es änderte nichts daran, dass sie ihn für jeden einzelnen der eingeschleusten Fehler bestraften.

      Ihm blieb ohnehin keine Wahl, er musste Fehler einbauen, schon um sich einen Rest Würde zu bewahren. Vielleicht auch ein bisschen Triumph, denn allein waren sie wegen ihrer Trägheit nicht in der Lage, die Fehler zu entdecken: Sie waren ihm ausgeliefert.

      Die Prügel dafür steckte er inzwischen schon fast mit Stolz ein.

      Doch diesmal würde es anders sein, das war ihm klar. Anfangs hatten sie die Hausaufgaben einfach bei ihm abgeschrieben. Jeden Nachmittag holte jemand vom Trio die von ihm bearbeiteten Aufgaben am vereinbarten Platz ab, um sie anschließend, nachdem sie die Hausaufgaben übertragen hatten, wieder in den toten Briefkasten in der alten Linde zu legen, damit er auf dem Schulweg seine Hefte und Ordner wieder in seine Mappe stecken konnte. So blieb ihre Verbindung unentdeckt. In der Schule sprachen sie so gut wie kein Wort miteinander, damit die Lehrer nicht auf die Idee kamen, dass er ihnen bei den Hausaufgaben geholfen hatte.

      Helfen! Sie hatten ihn dazu gezwungen! Erst versuchten sie es mit Prügel. Als das nicht fruchtete, gossen sie Gift in den Goldfischteich seiner Mutter. Die Fische starben einen qualvollen Erstickungstod. Aber er willigte erst ein, nachdem sie versucht hatten, seinen geliebten Kater zu vergiften.

      Der Tierarzt war über das Ausmaß der Quälereien schockiert gewesen. Er meinte, das ginge weit über das hinaus, was er je an Tierquälerei gesehen habe. Zwar konnte er den Kater retten, aber Kamikatze war seitdem ein anderer. Seit dieser Zeit ließ er ihn nicht mehr vor die Tür, doch Kamikatze wollte ohnehin nicht mehr raus. Aus dem mutigen und furchtbaren Herrscher über das Revier und alle darin lebenden Artgenossen, Insekten und Mäuse war ein schreckhaftes Häufchen Fell geworden.

      Und er war schuld.

      Hätte er früher eingewilligt, wäre der Kater verschont geblieben – Kamikatze war zum Opfer seines Stolzes geworden.

      Das musste er sich eingestehen.

      An diesem Punkt war er bereit, ihren Forderungen nachzugeben.

      Mit einem nervösen Blick durch sein Zimmerfenster vergewisserte er sich, dass Kamikatze für die drei Rächer unerreichbar in dem Regal über seinem Bett lag.

      Ihn würden sie diesmal jedenfalls nicht kriegen.

      ****

      »Ich muss unbedingt mit dir reden«, drängte die leise Stimme am Telefon.

      »Ich wüsste nicht, worüber wir uns zu unterhalten hätten.«

      »Zum Beispiel über dein Alibi für die Mordnacht. Die Polizei wird danach fragen. Hast du denn eines?«, säuselte es süß in sein Ohr und er bekam eine Gänsehaut.

      »Ich brauche keins.«

      »Wie kannst du dir so sicher sein? Sie werden alle überprüfen, und du hast keins.«

      »Woher willst du das denn so genau wissen? In mein Schlafzimmer kann niemand gucken«, höhnte er.

      »Ach, in deinem Schlafzimmer warst du ja auch gar nicht, nicht wahr? Ich weiß schließlich genau, dass du in der Nacht oben in der Kirche warst«, flüsterte die Stimme.

      Wie kam er da nur wieder raus?

      »Ich glaube nicht an Gott. Ich geh da noch nicht mal am Tage hin. Was sollte ich da ausgerechnet in der Nacht.«

      »Mag schon sein. Aber ich habe dein Motorrad gehört und euch in der Kirche verschwinden sehen.«

      »Was soll das? Mit wem spreche ich da eigentlich?«

      »Unwichtig. Wenn du nicht mit mir reden willst, dann suche ich mir eben einen anderen Gesprächspartner mit mehr Interesse für meine Geschichte. Und ich werde einen finden, verlass dich drauf!«

      Plötzlich war alle Sanftheit in der Stimme verschwunden. »Drohst du mir mit der Polizei? Jemand, der nicht einmal seinen Namen nennt!«

      »Noch kannst du dein Schicksal abwenden.« Sprach er da mit einem Mann oder einer Frau? Verdammt, was, wenn man ihn wirklich gesehen hatte? Die Stimme war schwer einzuordnen. Vielleicht hatte er aber einfach auch schon ein bisschen zu viel getrunken. In diesem Zustand war es manchmal ziemlich schwierig, etwas auseinanderzuhalten.

      Als er seine Aufmerksamkeit wieder auf das Telefonat lenken wollte, stellte er fest, dass der beunruhigende Anrufer aufgelegt hatte.

      Auch gut, dachte er benebelt, damit hatte sich das eben erledigt.

      Doch das war nur einer von vielen fatalen Irrtümern in diesem Mordfall.

      ****

      »Wie?«, fragte Lundquist überrumpelt. »Was soll das heißen?«

      »Na, was soll das wohl heißen? Das kann ja wohl nicht so schwer zu begreifen sein. Ich bin Gunnar Thaisen! Und wie du sicher hören kannst, bin ich sehr lebendig und überaus wütend! Sind bei euch eigentlich alle so unglaublich fähig wie du?«

      »Wir haben hier einen Toten, der unter dem Namen Gunnar Thaisen einen Wagen in Dänemark gemietet hat. Er konnte einen gültigen Führerschein und einen Ausweis vorlegen.«

      »Na prima! Ich gratuliere! Und deshalb durchwühlt jetzt die dänische Polizei meine Firma und erzählt meiner Frau, ich sei ermordet worden! Es mag ja noch andere Gunnar Thaisens in Dänemark geben. So selten ist der Name ja wohl nicht.«

      »Aber die werden wohl nicht alle unter deiner Adresse gemeldet sein, oder?«

      »Meine Güte! Meine Adresse steht im Telefonbuch und im Internet auf der Website meiner Firma. Nichts leichter als das, die herauszufinden und sich gefälschte Papiere zu besorgen!«

      »Sind die Kollegen noch bei dir? Gut, dann lass mich doch mal mit einem von ihnen sprechen.«

      Lundquist deckte die Muschel mit der Hand ab, während er wartete.

      »Dieser Gunnar Thaisen ist jedenfalls tatsächlich außerordentlich lebendig und stinksauer!«

      Als sich einer der dänischen Ermittler meldete, besprachen sie, wie nun vorzugehen sei.

      Gunnar Thaisen könne sich ausweisen, erfuhr Lundquist von seinem dänischen Kollegen, er sei Rollstuhlfahrer, habe auch einen Behindertenausweis


Скачать книгу