Mord im Hause des Herrn. Franziska Steinhauer

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Mord im Hause des Herrn - Franziska Steinhauer


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Streit mit ihr gegeben, und ein wenig konnte er ihren Standpunkt auch nachvollziehen, aber schließlich hatte auch er ein Recht auf ein eigenes Leben. Er war alt genug!

      Nach Annas Tod hatte das Leben für ihn jeden Sinn verloren. Seine Gedanken verdüsterten sich, er fiel in eine tiefe Depression, sehnte nichts so sehr herbei wie den eigenen Tod. Doch er fing sich wieder, hielt tapfer durch, Lisas wegen. Damals hatte seine Mutter bereitwillig seinen Haushalt übernommen, der durch hektische An- und Abwesenheiten geprägt war. Polizeidienst ist nur theoretisch planbar. Natürlich genoss sie den Umgang mit ihrer Enkeltochter und freute sich darüber, wirklich dringend gebraucht zu werden. Doch schleichend hatte sie damit auch wieder begonnen, das Leben ihres Sohnes in die Hand zu nehmen. Zuerst war es ihm gar nicht richtig aufgefallen, wie fordernd sie geworden war, dann widersetzte er sich um des lieben Friedens willen nicht und redete sich ein, das alles sei notwendig, um Lisa ein warmes Zuhause bieten zu können.

      Als er gerade so weit war, sich gegen ihre Einmischungen zur Wehr zu setzen, hatte man die Ursache für seine rätselhaften Beschwerden gefunden: Multiple Sklerose. Wie eine schwere Decke legte sich diese Diagnose auf sein Leben und schien die letzten Reste von Mut und Stärke zu ersticken. Wieder war es seine Mutter, die ihn auffing und ihm Halt und Zuversicht gab.

      Lundquist seufzte. Er war nun Ende dreißig, Witwer mit Tochter, und hatte sich Hals über Kopf in eine Sängerin an der Göteborger Oper verliebt, im Krankenhaus, gleich nach dem spektakulären Fall im Herbst.

      Als er sie zu sich einlud, war er auf die Konsequenzen nur unzureichend vorbereitet.

      Niemals wäre ihm in den Sinn gekommen, seine Mutter könne in Magda eine Bedrohung sehen, gar eifersüchtig sein. Allerdings wohnte seit jenem Abend eine neue unbekannte Kälte mit in seiner Wohnung. Sprachlos hatte er all die unverschämten und mehr oder weniger versteckten spitzen Pfeile verfolgt, die seine Mutter am ersten Abend auf seinen Gast abgeschossen hatte.

      Magda hatte einfach wundervoll reagiert.

      Ruhig und freundlich überhörte sie alle Anspielungen auf den »einfachen Weg zum Erfolg, fast wie im Schlaf« und Ähnliches. Als er sie nach Hause gebracht hatte – sie wohnte ein Haus weiter – zeigte sie sogar großes Verständnis für seine Mutter und erklärte ihm bei einem Glas Wein das geheimnisvolle Wesen der Schwiegermütter. So war es dann doch noch ein sehr lustiger Abend geworden.

      Wehmütig beobachtete er die Autos, die sich ihren Weg durch die aufgewirbelte Dunkelheit suchten. Wie viele glückliche Familienväter mochten auf dem Weg ins warme Heim sein, wo sie schon sehnsüchtig erwartet wurden?

      Neid kroch in ihm hoch.

      Und Wut.

      Gut, seine Mutter war eifersüchtig. Das würde mit der Zeit wahrscheinlich vergehen. Aber Zeit war etwas, was Sven Lundquist nicht mehr unbegrenzt zur Verfügung stand. Multiple Sklerose war eine heimtückische Krankheit, die in manchen Fällen für eine gewisse Zeit zurückgedrängt werden konnte. Der Preis dafür waren Übelkeit, Erbrechen, Gliederschmerzen. Das Leben ging weiter, die Krankheit wartete jedoch in einer Art Dämmerschlaf und wiegte den Patienten oft genug in falscher Zuversicht.

      Und dann schickte sie einfach völlig unvermittelt einen neuen Schub.

      Und immer blieb eine Verschlechterung zurück.

      »Hier – das gibt’s doch gar nicht!«, unterbrach Knyst, der dem allgemeinen Aufruf zum Feierabend nicht gefolgt war, seine quälenden Gedanken und zwang ihn in die Realität des Büros zurück.

      »Hast du was gefunden?«, fragte Lundquist neugierig und schaute, froh über die Störung seiner unerfreulichen Gedankengänge, auf den Monitor.

      »Gunnar Thaisen ist gar kein gebürtiger Däne. Er stammt aus Schweden. Hier ist ein unklarer Vermerk – irgendwie wurden seine Daten von der Behörde verändert.«

      Lars hämmerte ekstatisch auf die Tastatur.

      »Sieht so aus, als hätte er seinen Namen ändern lassen.

      Ich komme hier nicht rein. Das sind geschützte Dateien. Verschlüsselt abgelegt, nur mit Passwort zu erreichen. Ich bin kein Hacker, also werden wir morgen die Kollegen von der Meldebehörde um Auskünfte bitten müssen. Das eine Formular, das ich gefunden habe, ist jedenfalls die Bestätigung einer Abmeldung aus Schweden mit dem Hinweis auf einen Umzug nach Dänemark. Eine neue Adresse ist allerdings nicht angegeben.«

      »Vielleicht wusste er noch nicht genau, wohin er ziehen wollte.«

      »Das kann gut sein. Diese Anmeldebescheinigung ist von 1977, also zweiunddreißig Jahre alt und wurde für ein Kind ausgestellt mit Geburtsdatum 12.07.1967. Da war der Junge gerade mal zehn Jahre alt. Wahrscheinlich also eine Entscheidung der Familie – er wurde bestimmt nicht gefragt, ob er damit einverstanden war.«

      Sven stützte seinen rechten Arm auf der Hüfte ab. Das tat er in der letzten Zeit öfter, hatte sein Freund Lars beobachtet, der als einziger in der Abteilung von Lundquist Erkrankung wusste.

      Besorgt zog er eine Augenbraue in die Höhe.

      »Ich verstehe nur nicht, warum diese Dokumente verschlüsselte Teile haben«, sagte Lundquist. »Was ist schon so geheim daran, wenn eine Familie nach Dänemark umzieht?«

      »Das muss bis morgen warten, Sven. Haben die Kollegen inzwischen die Familie ausfindig gemacht?«

      »Nein. Offensichtlich ist keiner zu Hause. Ich habe mir von der Autovermietung seine Telefonnummer geben lassen und es auch probiert. Aber es geht nur der Anrufbeantworter dran. Ich habe hinterlassen, man möchte uns bitte zurückrufen, es sei wichtig. Schließlich kann ich ja wohl kaum was von einer Leiche in einer Kirche erzählen.«

      »Aber hier, sieh mal. Die Suchmaschine hat eine Computerfirma gefunden, die einem Gunnar Thaisen gehört. Vielleicht ist das ja unser Gunnar.« Lundquist trat hinter ihn und schaute auf die Homepage einer Firma, die für ihren Softwareservice warb und behauptete, eine an jeden Bedarf anpassbare Software entwickeln zu können, die sowohl für PC wie auch Apple zur Verfügung stünde. Außerdem bot die Firma die Erstellung und Wartung professioneller Websites sowie Komplettlösungen mit Hardware an.

      »Schluss für heute. Das können wir morgen überprüfen. Grüße an Gitte!«

      Lundquist griff nach seinem Mantel, den er über die Lehne seines Stuhls geworfen hatte.

      »Warte. Ich nehme dich mit!«, rief Lars Knyst und fuhr den Rechner runter.

      »Mann, es ist ganz schön aufregend Vater zu werden, das kann ich dir sagen!«, sprudelte Lars im Wagen heraus.

      »Das ist noch gar nichts«, sagte Sven Lundquist mit sonorer Orakelstimme. »Die meisten Probleme kommen erst nach der Geburt – und dann begleiten sie dich ein Leben lang. Lass dir das von einem erfahrenen Vater gesagt sein.«

      »Sprechen wir über durchwachte Nächte, zahnende Babys und Windeln, die zu wechseln sind?«

      »Nicht unbedingt. An kurze Nächte bist du doch schon berufsbedingt gewöhnt. Das dürfte dir doch wenig ausmachen. Nein, ich dachte dabei eher an die spannende Zeit der heraufziehenden Trotzphasen, die dann irgendwann in die lang andauernde Dauerstressphase münden, die allgemein als Pubertät bezeichnet wird.«

      »Da haben wir wohl beide noch ein paar Jahre Zeit. Bis dahin können wir uns ja locker auf diese Herausforderung einstellen.«

      »Ich glaube nicht, dass man das kann. Eine Bekannte erzählte mir, dass sich ihre fünfzehnjährige Göre zum Kiffen und Saufen mit Freunden trifft. Sie klettert einfach nachts aus dem Fenster und ist weg. Die Mutter ist völlig ratlos, weiß nicht, wie sie das abstellen soll. Jede Nacht sitzt sie schlaflos im Wohnzimmer, verfolgt von der Vorstellung ihre Tochter läge irgendwo bewusstlos in der Kälte am Straßenrand, würde in vollkommen desorientiertem Zustand Opfer einer Vergewaltigung oder gar ermordet. Die Mutter durchlebt tausend Ängste – während sich die Göre in ihrer neu gewonnenen Macht sonnt und kräftig auftrumpft. Unsere niedlichen Kleinen lernen im Lauf der Zeit, tiefe Verletzungen auszuteilen. – Wenn ich ehrlich bin, graut mir davor.«

      Lundquist sah in das


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