Vom Kriege. Carl von Clausewitz

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Vom Kriege - Carl von Clausewitz


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daß außer Erfahrung und einem starken Willen noch manche andere seltene Eigenschaften des Geistes zum ausgezeichneten Feldherrn erforderlich sind.

      Wir haben mit der Gefahr, den körperlichen Anstrengungen, den Nachrichten und der Friktion diejenigen Gegenstände genannt, welche sich als Elemente in der Atmosphäre des Krieges zusammenfinden und dieselbe zu einem erschwerenden Mittel für alle Tätigkeit machen. Sie lassen sich also in ihren hindernden Wirkungen wieder unter dem Gesamtbegriff einer allgemeinen Friktion zusammenfassen. - Gibt es nun kein milderndes Öl für diese Reibung? - Nur eins, und dieses eine steht dem Feldherrn und dem Kriegsheer nicht nach Willkür zu Gebote: es ist die Kriegsgewohnheit des Heeres.

      Gewohnheit stärkt den Körper in großen Anstrengungen, die Seele in großen Gefahren, das Urteil gegen den erstem Eindruck. Überall wird [90] durch sie eine kostbare Besonnenheit gewonnen, welche vom Husaren und Schützen bis zum Divisionsgeneral hinaufreicht und dem Feldherrn das Handeln erleichtert.

      Wie das menschliche Auge im finsteren Zimmer seine Pupille erweitert, das wenige vorhandene Licht einsaugt, nach und nach die Dinge notdürftig unterscheidet und zuletzt ganz gut Bescheid weiß: so der geübte Soldat im Kriege, während dem Neulinge nur die stockfinstere Nacht entgegentritt.

      Kriegsgewohnheit kann kein Feldherr seinem Heere geben, und schwach ist der Ersatz, den Friedensübungen gewähren; schwach im Vergleich mit der wirklichen Kriegserfahrung, aber nicht im Vergleich mit einem Heere, wo auch diese Übungen nur auf mechanische Kunstfertigkeiten gerichtet sind. Die Übungen des Friedens so einzurichten, daß ein Teil jener Friktionsgegenstände darin vorkomme, das Urteil, die Umsichtigkeit, selbst die Entschlossenheit der einzelnen Führer geübt werde, ist von viel größerem Wert, als diejenigen glauben, welche den Gegenstand nicht aus Erfahrung kennen. Es ist unendlich wichtig, daß der Soldat, hoch oder niedrig, auf welcher Stufe er auch stehe, diejenigen Erscheinungen des Krieges, die ihn beim erstenmal in Verwunderung und Verlegenheit setzen, nicht erst im Kriege zum erstenmal sehe; sind sie ihm früher nur ein einziges Mal vorgekommen, so ist er schon halb damit vertraut. Das bezieht sich selbst auf körperliche Anstrengungen. Sie müssen geübt werden, weniger, daß sich die Natur, als daß sich der Verstand daran gewöhne. Im Kriege ist der neue Soldat sehr geneigt, ungewöhnliche Anstrengungen für Folgen großer Fehler, Irrungen und Verlegenheiten in der Führung des Ganzen zu halten und dadurch doppelt niedergedrückt zu werden. Dies wird nicht geschehen, wenn er bei Friedensübungen darauf vorbereitet wird.

      Ein anderes, weniger umfassendes, aber doch höchst wichtiges Mittel, die Kriegsgewohnheit im Frieden zu gewinnen, ist das Heranziehen kriegserfahrener Offiziere anderer Heere. Selten ist in Europa überall Frieden, und nie geht der Krieg in den anderen Weltteilen aus. Ein Staat, der lange im Frieden ist, sollte also stets suchen, von diesen Kriegsschauplätzen sich einzelne Offiziere, aber freilich nur solche, die gut gedient haben, zu verschaffen, oder von den seinigen einige dahin zu schicken, damit sie den Krieg kennenlernen.

      Wie gering auch die Anzahl solcher Offiziere zur Masse eines Heeres erscheinen möge, so ist doch ihr Einfluß sehr fühlbar. Ihre Erfahrungen, die Richtung ihres Geistes, die Ausbildung des Charakters wirken auf ihre Untergebenen und Kameraden, und außerdem sind sie auch dann, wenn sie nicht an die Spitze eines Wirkungskreises gestellt werden können, als der Gegend kundige Männer zu betrachten, die man in vielen einzelnen Fällen befragen kann.

      Zweites Buch: Über die Theorie des Krieges

      [92]

      Krieg in seiner eigentlichen Bedeutung ist Kampf; denn Kampf ist allein das wirksame Prinzip in der mannigfaltigen Tätigkeit, die man in der weiteren Bedeutung Krieg nennt. Kampf aber ist ein Abmessen der geistigen und körperlichen Kräfte vermittelst der letzteren. Daß man die geistigen nicht ausschließen darf, versteht sich von selbst, denn der Zustand der Seele hat ja den entschiedensten Einfluß auf die körperlichen Kräfte.

      Das Bedürfnis des Kampfes hat den Menschen früh zu eigenen Erfindungen geführt, um sich die Vorteile in demselben zuzuwenden; dadurch ist der Kampf sehr verändert worden; wie er aber auch beschaffen sein mag, sein Begriff wird dadurch nicht verändert, und er ist es, der den Krieg ausmacht.

      Die Erfindungen sind zunächst Waffen und Ausrüstung der einzelnen Kämpfenden gewesen. Diese müssen geschaffen und eingeübt werden, ehe der Kampf beginnt; sie werden nach der Natur des Kampfes eingerichtet, erhalten also von ihm das Gesetz; aber offenbar ist die Tätigkeit, welche sich damit beschäftigt, eine andere als der Kampf selbst; sie ist nur die Vorbereitung zum Kampf, nicht die Führung desselben. Daß Bewaffnung und Ausrüstung nicht wesentlich zum Begriff des Kampfes gehören, ist klar, denn bloßes Ringen ist auch Kämpfen.

      Der Kampf hat die Einrichtung der Waffen und der Ausrüstung bestimmt, und diese modifizieren den Kampf; es ist also Wechselwirkung zwischen beiden.

      Aber der Kampf selbst bleibt darum doch eine ganz eigentümliche Tätigkeit, und das um so mehr, als er sich in einem ganz eigentümlichen Element, nämlich in dem Element der Gefahr, bewegt.

      Ist also je irgendwo eine Trennung verschiedenartiger Tätigkeiten notwendig, so ist es hier; und wir brauchen, um die praktische Wichtigkeit dieses Gedankens durchschauen zu lassen, nur leise daran zu erinnern, wie oft die tüchtigste Persönlichkeit in dem einen Felde als die unbrauchbarste Pedanterie in dem andern erschienen ist.

      [94] Es ist auch keineswegs schwer, in der Betrachtung die eine Tätigkeit von der anderen zu trennen, wenn man die bewaffnete und ausgerüstete Streitkraft als gegebene Mittel betrachtet, von denen man, um sie zweckmäßig zu gebrauchen, nichts zu kennen braucht als ihre Hauptresultate.

      Die Kriegskunst im eigentlichen Sinn wird also die Kunst sein, sich der gegebenen Mittel im Kampf zu bedienen, und wir können sie nicht besser als mit dem Namen der Kriegführung bezeichnen. Dagegen werden allerdings zur Kriegskunst im weiteren Sinne auch alle Tätigkeiten gehören, die um des Krieges willen da sind, also die ganze Schöpfung, d. i. Aushebung, Bewaffnung, Ausrüstung und Übung der Streitkräfte.

      Es ist für die Realität einer Theorie höchst wesentlich, diese beiden Tätigkeiten zu trennen, denn es ist leicht einzusehen, daß, wenn jede Kriegskunst mit der Einrichtung der Streitkräfte anfangen und diese für die Kriegführung, so wie sie dieselben angegeben, bedingen wollte, sie nur auf die wenigen Fälle anwendbar sein könnte, wo die vorhandenen Streitkräfte dem gerade entsprächen. Will man dagegen eine Theorie haben, die für die große Mehrheit der Fälle geeignet, für keinen aber ganz unbrauchbar sei: so muß sie auf die große Mehrheit der gewöhnlichen Streitmittel und bei diesen auch auf die wesentlichsten Resultate gebaut sein.

      Die Kriegführung nun ist also die Anordnung und Führung des Kampfes. Wäre dieser Kampf ein einzelner Akt, so würde kein Grund zu einer weiteren Einteilung sein; allein der Kampf besteht aus einer mehr oder weniger großen Zahl einzelner, in sich geschlossener Akte, die wir Gefechte nennen, wie wir das im ersten Kapitel des ersten Buches gezeigt haben, und die neue Einheiten bilden. Daraus entspringt nun die ganz verschiedene Tätigkeit, diese Gefechte in sich anzuordnen und zu führen und sie unter sich zum Zweck des Krieges zu verbinden. Das eine ist die Taktik, das andere die Strategie genannt worden.

      Die Einteilung in Taktik und Strategie ist jetzt im Gebrauch fast allgemein, und jeder weiß ziemlich bestimmt, wohin er ein einzelnes Faktum stellen soll, ohne daß er sich des Einteilungsgrundes klar bewußt ist. Wo aber solche Einteilungen vom Gebrauch dunkel befolgt werden, müssen sie einen tiefen Grund für sich haben. Diesen Grund haben wir aufgesucht, und wir können sagen, daß es eben der Gebrauch der Majorität ist, der uns zu ihm geführt hat. Dagegen müssen wir die von einzelnen Schriftstellern versuchten willkürlichen, nicht aus der Natur der Sache genommenen Feststellungen des Begriffs eben darum nicht gefaßt haben, auch als nicht im Gebrauch vorhanden betrachten.

      Es ist also nach unserer Einteilung die Taktik die Lehre vom Gebrauch der Streitkräfte


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