Vom Kriege. Carl von Clausewitz
Читать онлайн книгу.Taktik.
Selbst Verschanzungen, deren Lage und Einrichtung ganz offenbar ein Teil der Gefechtsdisposition sind, also taktische Gegenstände, gehören doch für die Ausführung ihres Baues nicht zur Theorie der Kriegführung, sondern die dahin gehörigen Kenntnisse und Fertigkeiten müssen der ausgebildeten Streitkraft schon innewohnen; die Gefechtslehre setzt sie voraus.
Von den Gegenständen, welche der bloßen Erhaltung der Streitkraft angehören, weil keiner ihrer Teile sich mit dem Gefecht identifiziert, steht die Ernährung der Truppen demselben doch am nächsten, weil sie fast täglich und für jedes Individuum tätig sein muß. So geschieht es, daß sie den kriegerischen Akt in seinen strategischen Bestandteilen ganz durchdringt. Wir sagen: in seinen strategischen Bestandteilen, weil innerhalb des einzelnen Gefechts die Ernährung der Truppen höchst selten einen den Plan modifizierenden Einfluß haben wird, wenngleich der Fall doch auch denkbar genug bleibt. Die meiste Wechselwirkung wird also zwischen der Strategie und der Sorge für den Unterhalt der Streitkräfte eintreten, und es ist nichts gewöhnlicher, als daß die Rücksicht auf diesen Unterhalt die strategischen Hauptlineamente eines Feldzuges und Krieges mitbestimmt. Wie häufig und wie entscheidend diese Rücksichten auch sein mögen, der Unterhaltsbetrieb der Truppen bleibt immer eine von dem Gebrauch derselben wesentlich verschiedene Tätigkeit, die nur mit ihren Resultaten darauf Einfluß hat.
Viel entfernter stehen dem Gebrauch der Truppen die andern von uns genannten Gegenstände administrativer Tätigkeit. Die Krankenpflege, so höchst wichtig sie für das Wohl eines Heeres ist, trifft doch dasselbe nur immer in einem kleinen Teil seiner Individuen und hat daher nur einen sehr schwachen und mittelbaren Einfluß auf den Gebrauch der übrigen; die Ergänzung der Ausrüstungsgegenstände tritt, insofern sie nicht schon durch den Organismus der Streitkräfte eine ihnen innewohnende fortlaufende Tätigkeit hat, nur periodisch ein und wird also auch bei den strategischen Entwürfen nur selten zur Sprache kommen.
Wir müssen uns aber hier vor einem Mißverständnis bewahren. Im einzelnen Fall können faktisch diese Gegenstände von entscheidender Wichtigkeit sein. Die Entfernung der Hospitäler und Munitionsvorräte kann sehr füglich als der einzige Grund für sehr wichtige strategische Entscheidungen gedacht werden; das wollten wir weder in Abrede, noch in den Schatten stellen. Wir sprechen aber nicht von dem faktischen Verhältnis des einzelnen Falles, sondern von dem Abstrakten der Theorie, und unsere Behauptung ist also: daß ein solcher Einfluß zu selten ist, um der Theorie der Krankenpflege [99] und der Munitions- und Waffenergänzung eine Wichtigkeit für die Theorie des Kriegführens zu geben, es also der Mühe wert erscheinen zu lassen, die verschiedenen Wege und Systeme, welche jene Theorien angeben möchten, mit ihren Resultaten in die Theorie des Kriegführens mit aufzunehmen, wie das mit der Ernährung der Truppen allerdings der Fall ist.
Werden wir uns jetzt des Resultats unserer Betrachtungen noch einmal deutlich bewußt, so zerfallen die dem Kriege angehörigen Tätigkeiten in zwei Hauptabteilungen: in solche, die nur Vorbereitungen zum Kriege sind, und in den Krieg selbst. Diese Einteilung muß denn auch die Theorie treffen.
Die Kenntnisse und Fertigkeiten der Vorbereitungen werden sich mit der Schaffung, Ausbildung und Erhaltung aller Streitkräfte beschäftigen. Welchen allgemeinen Namen man ihnen geben will, lassen wir dahingestellt sein; aber man sieht, daß Artillerie, Befestigungskunst, sogenannte Elementartaktik, die ganze Organisation und Administration der Streitkräfte und alle ähnlichen Dinge dahin gehören. Die Theorie des Krieges selbst aber beschäftigt sich mit dem Gebrauch dieser ausgebildeten Mittel für den Zweck des Krieges. Sie bedarf von den ersteren nur die Resultate; nämlich die Kenntnis der von ihr übernommenen Mittel nach ihren Haupteigenschaften. Diese nennen wir Kriegskunst im engeren Sinn oder Theorie des Kriegführens oder Theorie des Gebrauches der Streitkräfte, was alles für uns dieselbe Sache bezeichnet.
Diese Theorie wird also das Gefecht abhandeln als den eigentlichen Kampf; die Märsche, Lager und Quartiere als Zustände, die mehr oder weniger damit identisch sind. Den Unterhalt der Truppen aber wird sie nicht wie eine ihr angehörige Tätigkeit, sondern seinen Resultaten nach wie andere gegebene Umstände in Betracht ziehen.
Diese Kriegskunst im engeren Sinn zerfällt nun wieder selbst in Taktik und Strategie. Jene beschäftigt sich mit der Gestalt des einzelnen Gefechts, diese mit seinem Gebrauch. Beide berühren die Zustände von Märschen, Lagern und Quartieren nur durch das Gefecht, und diese Gegenstände werden also taktisch oder strategisch, je nachdem sie sich auf die Gestalt oder auf die Bedeutung des Gefechts beziehen.
Gewiß wird es viele Leser geben, die diese sorgfältige Unterscheidung von zwei einander so nahe liegenden Dingen wie Taktik und Strategie für sehr überflüssig halten, weil sie auf das Kriegführen selbst keinen unmittelbaren Einfluß hat. Freilich müßte man ein großer Pedant sein, um von einer theoretischen Einteilung die unmittelbaren Wirkungen auf dem Schlachtfelde zu suchen.
Das erste Geschäft einer jeden Theorie ist das Aufräumen der durcheinander geworfenen und, man kann wohl sagen, sehr ineinander verworrenen Begriffe und Vorstellungen; und erst, wenn man sich über Namen und Begriffe verständigt hat, darf man hoffen, in der Betrachtung der Dinge mit [100] Klarheit und Leichtigkeit vorzuschreiten, darf man gewiß sein, sich mit dem Leser immer auf demselben Standpunkt zu befinden. Taktik und Strategie sind zwei in Raum und Zeit sich einander durchdringende, aber doch wesentlich verschiedene Tätigkeiten, deren innere Gesetze und deren Verhältnis zueinander schlechterdings nicht deutlich gedacht werden können, ohne ihren Begriff genau festzustellen.
Wem dies alles nichts ist, der muß entweder gar keine theoretische Betrachtung gestatten, oder seinem Verstande müssen die verworrenen und verwirrenden, auf keinen festen Punkt gestützten, zu keinem ruhigen Resultat gelangenden, bald platten, bald phantastischen, bald in leerer Allgemeinheit schwimmenden Vorstellungen noch nicht weh getan haben, die wir über die eigentliche Kriegführung deswegen so oft hören und lesen müssen, weil noch selten ein Geist wissenschaftlicher Untersuchung auf diesem Gegenstande geruht hat.
Zweites Kapitel: Über die Theorie des Krieges
Zuerst verstand man unter Kriegskunst nur die Zubereitung der Streitkräfte
Man hatte früher unter dem Namen von Kriegskunst oder Kriegswissenschaften immer nur die Gesamtheit derjenigen Kenntnisse und Fertigkeiten verstanden, welche sich mit den materiellen Dingen beschäftigen. Die Einrichtung und Zubereitung und der Gebrauch der Waffen, der Bau von Festungen und Schanzen, der Organismus des Heeres und der Mechanismus seiner Bewegungen waren die Gegenstände dieser Kenntnisse und Fertigkeiten, und sie führten alle zur Darstellung einer im Krieg brauchbaren Streitkraft. Hier hatte man es mit einem materiellen Stoff, mit einer einseitigen Tätigkeit zu tun, und es war im Grunde nichts als eine sich nach und nach vom Handwerk zu einer verfeinerten mechanischen Kunst erhebende Tätigkeit. Dies alles verhielt sich zum Kampf selbst nicht viel anders wie die Kunst des Schwertfegers zur Fechtkunst. Von dem Gebrauch im Augenblick der Gefahr und unter beständiger Wechselwirkung, von den eigentlichen Bewegungen des Geistes und Mutes in der ihnen angelegten Richtung war noch nicht die Rede.
[101] In der Belagerungskunst kommt zuerst der Krieg selbst vor
In der Belagerungskunst zuerst war etwas von der Führung des Kampfes selbst, von der Bewegung des Geistes, dem diese Materien übergeben sind, sichtbar, aber meistens nur insofern er sich in neuen materiellen Gegenständen schnell verkörperte, wie Approchen, Trancheen, Kontreapprochen, Batterien usw., und jeden seiner Schritte durch ein solches Produkt bezeichnete; es war nur der Faden, dessen man bedurfte, um diese materiellen Schöpfungen damit anzureihen. Da sich bei dieser Art von Krieg der Geist fast nur in solchen Dingen ausspricht, so war der Sache damit ziemlich Genüge geschehen.
Dann streifte die Taktik bis dahin
Später versuchte es die Taktik, in den Mechanismus ihrer Zusammenfügungen den Charakter einer allgemeinen, auf die Eigentümlichkeiten des Instrumentes gebauten Disposition zu legen, welcher freilich schon auf das Schlachtfeld führt, aber nicht zu freier Geistestätigkeit, sondern mit einem durch Formation und Schlachtordnung zu einem Automaten umgeschaffenen Heer, welches, durch das bloße Kommandowort angestoßen, seine Tätigkeit wie ein Uhrwerk abwickeln sollte.
Das