Vom Kriege. Carl von Clausewitz
Читать онлайн книгу.einräumen, daß er in der Stelle dieser Feldherren viel größere hätte machen können, sondern er erkennt diese Fehler aus dem Zusammenhange der Dinge und fordert von der Sagazität des Handelnden, daß er sie hätte sehen sollen.
Dies ist also ein Urteil durch den Zusammenhang der Dinge und also auch durch den Erfolg. Aber es gibt noch einen ganz andern Eindruck des Erfolges auf dasselbe, nämlich wenn er ganz einfacherweise als Beweis für oder gegen die Richtigkeit einer Maßregel gebraucht wird. Dieses kann man das Urteil nach dem Erfolg nennen. Ein solches Urteil scheint nun auf den ersten Anblick ganz unbedingt verwerflich, und doch ist es wieder nicht so.
Als Bonaparte 1812 nach Moskau zog, kam alles darauf an, ob er durch die Eroberung dieser Hauptstadt und das, was vorhergegangen war, den Kaiser Alexander zum Frieden bewegen würde, wie er ihn 1807 nach der Schlacht bei Friedland und den Kaiser Franz 1805 und 1809 nach den Schlachten von Austerlitz und Wagram dazu bewogen hatte; denn wenn er den Frieden in Moskau nicht erhielt, so blieb ihm nichts als das Umkehren, d. h. nichts als eine strategische Niederlage übrig. Wir wollen davon absehen, was Bonaparte getan hatte, um nach Moskau zu kommen, und ob dabei nicht schon vieles, wodurch dem Kaiser Alexander der Entschluß zum Frieden gegeben werden konnte, verfehlt war; wir wollen auch von den zerstörenden Umständen absehen, von denen der Rückzug begleitet war, und die ihre Ursache vielleicht schon in der Führung des ganzen Feldzuges hatten. Immer wird die Frage dieselbe bleiben, denn wieviel glänzender auch das Resultat des Feldzuges bis Moskau hätte sein können, es blieb doch immer ungewiß, ob der Kaiser Alexander [139] dadurch in den Frieden hineingeschreckt werden würde; und wenn der Rückzug auch keine solche Vernichtungsprinzipien in sich getragen hätte, er konnte nie etwas anderes als eine große strategische Niederlage sein. Ging der Kaiser Alexander einen nachteiligen Frieden ein, so gehörte der Feldzug von 1812 in die Reihe der Feldzüge von Austerlitz, Friedland und Wagram. Aber auch diese Feldzüge hätten ohne den Frieden wahrscheinlich zu ähnlichen Katastrophen geführt. Welche Kraft, Geschicklichkeit und Weisheit also der Welteroberer auch angewendet haben mochte, diese letzte Frage an das Schicksal blieb überall dieselbe. Soll man nun die Feldzüge von 1805, 1807 und 1809 verwerfen und um des Feldzuges von 1812 wegen behaupten, sie wären alle ein Werk der Unklugheit, der Erfolg sei gegen die Natur der Dinge, und im Jahre 1812 hätte sich endlich die strategische Gerechtigkeit gegen das blinde Glück Luft gemacht? Das wäre eine sehr gezwungene Ansicht, ein tyrannisches Urteil, wofür man den Beweis bis zur Hälfte schuldig bleiben müßte, weil kein menschlicher Blick imstande ist, den Faden des notwendigen Zusammenhanges der Dinge bis zu dem Entschluß der besiegten Fürsten zu verfolgen.
Noch weniger kann man sagen, der Feldzug von 1812 verdiente eben den Erfolg wie die andern, und, daß er ihn nicht hatte, liege in etwas Ungehörigem, denn man wird die Standhaftigkeit Alexanders nicht als etwas Ungehöriges betrachten können.
Was ist natürlicher, als zu sagen: in den Jahren 1805, 1807 und 1809 hat Bonaparte seine Gegner richtig beurteilt, im Jahre 1812 hat er sich geirrt; damals also hat er recht gehabt, diesmal unrecht, und zwar beides, weil es der Erfolg so lehrt.
Alles Handeln im Kriege ist, wie wir schon gesagt haben, nur auf wahrscheinliche, nicht auf gewisse Erfolge gerichtet; was an der Gewißheit fehlt, muß überall dem Schicksal oder Glück, wie man es nennen will, überlassen bleiben. Freilich kann man fordern, daß dies sowenig als möglich sei, aber nur in Beziehung auf den einzelnen Fall: nämlich, sowenig als in diesem einzelnen Fall möglich, nicht aber, daß man den Fall, wobei die Ungewißheit am geringsten ist, immer vorziehen müßte; das wäre ein ungeheurer Verstoß, wie das aus allen unseren theoretischen Ansichten hervorgehen wird. Es gibt Fälle, wo das höchste Wagen die höchste Weisheit ist.
In allem nun, was der Handelnde dem Schicksal überlassen muß, scheint sein persönliches Verdienst ganz aufzuhören und also auch seine Verantwortlichkeit; nichtsdestoweniger können wir uns eines inneren Beifalles nicht enthalten, sooft die Erwartung zutrifft, und wir fühlen, wenn sie fehlschlug, ein Mißbehagen des Verstandes, und weiter soll das Urteil von Recht und Unrecht auch nicht bedeuten, was wir aus dem bloßen Erfolg entnehmen, oder vielmehr, was wir in ihm finden.
[140] Aber es ist nicht zu verkennen, daß das Wohlgefallen, welches unser Verstand am Zutreffen, das Mißfallen, was er am Verfehlen hat, doch auf dem dunkeln Gefühle beruht, daß zwischen diesem, dem Glück zugeschriebenen Erfolg und dem Genius des Handelnden ein feiner, dem Auge des Geistes unsichtbarer Zusammenhang bestehe, der uns in der Voraussetzung Vergnügen macht. Was diese Ansicht beweist, ist, daß unser Anteil steigt, zu einem bestimmteren Gefühle wird, wenn das Treffen und Verfehlen sich bei demselben Handelnden oft wiederholt. So wird es begreiflich, wie das Glück im Kriege eine viel edlere Natur annimmt als das Glück im Spiel. Überall wo ein glücklicher Krieger unsere Interessen nicht anderweitig verletzt, werden wir ihn mit Vergnügen auf seiner Bahn begleiten.
Die Kritik wird also, nachdem sie alles, was in das Gebiet menschlicher Berechnung und Überzeugung gehört, abgewogen hat, für den Teil, wo der tiefe geheime Zusammenhang der Dinge sich nicht an sichtbaren Erscheinungen verkörpert, den Ausgang sprechen lassen, und diesen leisen Spruch einer höheren Gesetzgebung auf der einen Seite vor dem Tumult roher Meinungen schützen, indem sie zugleich von der andern Seite die plumpen Mißbräuche zurückweist, die von dieser höchsten Instanz gemacht werden können.
Dieser Ausspruch des Erfolges muß also überall erzeugen, was die menschliche Klugheit nicht ermitteln kann, und so werden es denn die geistigen Kräfte und Wirkungen hauptsächlich sein, für die er in Anspruch genommen wird, teils weil sie sich am wenigsten mit Zuverlässigkeit beurteilen lassen, teils weil sie dem Willen selbst so nahe liegen, daß sie ihn um so leichter bestimmen. Wo Furcht oder Mut den Entschluß fortreißen, da gibt es zwischen ihnen nichts Objektives mehr abzumachen, und folglich nichts, wo Klugheit und Berechnung dem wahrscheinlichen Erfolge noch einmal begegnen könnte.
Jetzt müssen wir uns noch einige Betrachtungen über das Instrument der Kritik erlauben, nämlich über die Sprache, deren sie sich bedient, weil diese dem Handeln im Kriege gewissermaßen zur Seite bleibt; denn die prüfende Kritik ist ja nichts als die Überlegung, welche dem Handeln vorhergehen soll. Wir halten es darum für etwas höchst Wesentliches, daß die Sprache der Kritik denselben Charakter habe, den das Überlegen im Kriege haben muß, sonst würde sie aufhören, praktisch zu sein, und der Kritik keinen Eingang in das Leben verschaffen.
Wir haben in unserer Betrachtung über die Theorie der Kriegführung gesagt, daß sie den Geist der Führer im Kriege erziehen oder vielmehr bei seiner Erziehung leiten soll, daß sie nicht bestimmt ist, ihn mit positiven Lehren und Systemen auszurüsten, die er wie Instrumente des Geistes gebrauchen könnte. Ist aber im Kriege zur Beurteilung eines vorliegenden Falles niemals die Konstruktion wissenschaftlicher Hilfslinien notwendig [141] oder auch nur zulässig, tritt die Wahrheit da nicht in systematischer Gestalt auf, wird sie nicht mittelbar, sondern unmittelbar durch den natürlichen Blick des Geistes gefunden: so muß es auch in der kritischen Betrachtung also sein.
Zwar haben wir gesehen, daß sie überall, wo es zu weitläuftig sein würde, die Natur der Dinge festzustellen, sich auf die in der Theorie davon ausgemachten Wahrheiten stützen muß. Allein so wie im Kriege der Handelnde diesen theoretischen Wahrheiten mehr gehorcht, indem er ihren Geist in den seinigen aufgenommen hat, als indem er sie wie ein äußeres steifes Gesetz betrachtet: so soll auch die Kritik sich ihrer nicht wie eines fremden Gesetzes oder einer algebraischen Formel bedienen, deren neue Wahrheit für die Anwendung gar nicht aufgeschlossen zu werden braucht, sondern sie soll diese Wahrheit selbst immer durchleuchten lassen, indem sie nur die genaueren und umständlicheren Beweise der Theorie überläßt. So vermeidet sie eine geheimnisvolle dunkle Sprache und bewegt sich in einfacher Rede, in einer lichten, d. i. immer sichtbaren Vorstellungsreihe fort.
Freilich wird dies nicht immer vollkommen zu erreichen, aber es muß das Streben der kritischen Darstellung sein. Sie muß zusammengesetzte Formen der Erkenntnis sowenig als möglich brauchen und nie sich der Konstruktion wissenschaftlicher Hilfslinien wie eines eigenen Wahrheitsapparates bedienen, sondern alles durch den natürlichen freien Blick des Geistes ausrichten.
Aber dieses fromme Bestreben, wenn wir uns den Ausdruck erlauben dürfen, ist leider bisher in den wenigsten kritischen Betrachtungen herrschend gewesen, die meisten sind vielmehr