Vom Kriege. Carl von Clausewitz
Читать онлайн книгу.was man gesagt hat, zu belegen. Dies ist in allen Fällen hinreichend, wo man bloß die Möglichkeit einer Erscheinung oder Wirkung dartun will.
Endlich kann man viertens aus der umständlichen Darstellung eines historischen Ereignisses und aus der Zusammenstellung mehrerer irgendeine Lehre ziehen, die also in diesem Zeugnis selbst ihren waren Beweis findet.
Bei dem ersten Gebrauch kommt es meistens nur auf eine flüchtige Erwähnung des Falles an, weil man ihn nur einseitig benutzt. Es ist dabei selbst [145] die historische Wahrheit eine Nebensache, ein erfundenes Beispiel könnte auch dienen; nur haben historische immer den Vorzug, praktischer zu sein und den Gedanken, welchen sie erläutern, dem praktischen Leben selbst näher zu führen.
Der zweite Gebrauch setzt eine umständlichere Darstellung des Falles voraus, nur ist die Richtigkeit dabei wieder Nebensache, und in dieser Beziehung dasselbe zu sagen, was wir vom ersten Fall gesagt haben.
Beim dritten Gebrauch reicht meistens die bloße Angabe eines unzweifelhaften Faktums hin. Wenn man die Behauptung aufstellt, daß verschanzte Stellungen unter gewissen Bedingungen ihren Zweck erfüllen können, so braucht man bloß die Stellung vom Bunzelwitz zu nennen, um diese Behauptung zu belegen.
Soll aber durch die Darstellung eines historischen Falles irgendeine allgemeine Wahrheit erwiesen werden, so muß dieser Fall in allem, was Bezug auf die Behauptung hat, genau und umständlich entwickelt, er muß gewissermaßen vor dem Auge des Lesers sorgfältig aufgebaut werden. Je weniger dies zu erreichen ist, um so schwächer wird der Beweis, und um so mehr wird es nötig, was dem einzelnen Fall an Beweiskraft abgeht, durch die Menge der Fälle zu ersetzen, weil man nämlich mit Recht voraussetzt, daß die näheren Umstände, die man nicht imstande gewesen ist, anzugeben, in einer gewissen Anzahl von Fällen ihren Wirkungen nach, sich ausgeglichen haben werden.
Wenn man aus der Erfahrung beweisen will, daß die Reiterei besser hinter, als neben dem Fußvolk steht, daß es bei nicht entscheidender Übermacht höchst gefährlich ist, den Gegner sowohl in einer Schlacht als auf dem Kriegstheater, also sowohl taktisch als strategisch mit getrennten Kolonnen weit zu umfassen: so reicht es in dem ersten Fall nicht hin, einige verlorene Schlachten zu nennen, wo die Reiterei auf den Flügeln, und ein paar gewonnene, wo sie hinter dem Fußvolk stand, und im letzten Fall reicht es nicht hin, an die Schlachten von Rivoli oder Wagram, an die Angriffe der Österreicher auf das italienische Kriegstheater 1796, oder der Franzosen auf das deutsche in eben diesem Feldzug zu erinnern, sondern es muß durch eine genaue Verfolgung aller Umstände und der einzelnen Vorgänge dargetan werden, auf welche Weise jene Formen der Stellung und des Angriffs wesentlich zum schlechten Ausgang beigetragen haben. Dann wird sich auch ergeben, inwieweit jene Formen verwerflich sind, welches notwendig mitbestimmt werden muß, weil eine ganz allgemeine Verwerfung jedenfalls die Wahrheit verletzen würde.
Daß man, wenn die umständliche Darlegung des Faktums nicht tunlich ist, die fehlende Beweiskraft durch die Anzahl der Beispiele ergänzen kann, haben wir schon eingeräumt, aber es ist nicht zu leugnen, daß dies ein gefährlicher Ausweg ist, der häufig gemißbraucht wird. Statt eines sehr umständlich dargelegten Falles begnügt man sich, drei oder vier bloß zu berühren, und gewinnt dadurch den Schein eines starken Beweises. Aber es gibt Gegenstände, [146] wo ein ganzes Dutzend angeführter Fälle nichts beweist, wenn sie sich nämlich häufig wiederholen, und es also ebenso leicht ist, ein Dutzend Fälle mit engegengesetztem Ausgang dawider anzuführen. Wer uns ein Dutzend verlorene Schlachten nennt, in welchen der Geschlagene in getrennten Kolonnen angriff, dem können wir ein Dutzend gewonnene nennen, wo eben diese Ordnung gebraucht wurde. Man sieht, daß auf diese Weise kein Resultat zu erreichen wäre.
Wenn man sich diese verschiedenen Verhältnisse überlegt, so wird man einsehen, wie leicht mit Beispielen Mißbrauch getrieben werden kann.
Ein Ereignis, was nicht in allen seinen Teilen sorgfältig aufgebaut, sondern im Fluge berührt wird, ist wie ein aus zu großer Entfernung gesehener Gegenstand, an dem man die Lage seiner Teile nicht mehr unterscheiden kann, und der von allen Seiten ein gleiches Ansehen hat. Wirklich haben solche Beispiele den widersprechendsten Meinungen zur Stütze dienen müssen. Dem einen sind Dauns Feldzüge das Muster weiser Behutsamkeit, dem anderen der Zaghaftigkeit und Unentschlossenheit. Bonapartes Vordringen über die Norischen Alpen im Jahr 1797 kann als die herrlichste Entschlossenheit, aber auch als eine wahre Unbesonnenheit erscheinen; seine strategische Niederlage 1812 kann als eine Folge eines Übermaßes an Energie, aber auch eines Mangels daran vorgestellt werden. Alle diese Meinungen sind vorgekommen, und man begreift wohl, wie sie haben entstehen können, weil jede sich den Zusammenhang der Dinge anders gedacht hat. Gleichwohl können diese widersprechenden Meinungen nicht miteinander bestehen, und eine von beiden muß also notwendig unwahr sein.
So sehr viel Dank wir dem vortrefflichen Feuquières für die zahlreichen Beispiele schuldig sind, womit er seine Memoiren ausgerüstet hat, teils weil dadurch eine Menge historischer Nachrichten auf uns gekommen sind, die wir sonst entbehren würden, teils weil er dadurch zuerst eine sehr nützliche Annäherung theoretischer, d. h. abstrakter Vorstellungen an das praktische Leben bewirkt hat, insofern die angeführten Fälle als Erläuterung und nähere Bestimmung der theoretischen Behauptung zu betrachten sind: so hat er doch den Zweck, welchen er sich meistens dabei vorsetzt: die theoretischen Wahrheiten historisch zu erweisen, schwerlich bei einem unbefangenen Leser unserer Zeit erreichen können. Denn wenn er auch die Ereignisse zuweilen mit einiger Umständlichkeit erzählt, so fehlt doch viel daran, daß aus ihrem inneren Zusammenhang die gezogenen Folgerungen notwendig hervorgingen.
Aber das bloße Berühren von historischen Ereignissen hat noch den andern Nachteil, daß ein Teil der Leser diese Ereignisse nicht hinreichend kennt oder im Gedächtnisse hat, um sich auch nur das dabei denken zu können, was sich der Autor dabei gedacht hat, so daß für sie nichts übrig bleibt, als sich imponieren zu lassen oder ohne alle Überzeugung zu bleiben.
Es ist allerdings sehr schwer, geschichtliche Ereignisse so vor dem Auge des Lesers aufzubauen oder sich zutragen zu lassen, wie es nötig ist, um sie [147] zu Beweisen brauchen zu können, denn es fehlt den Schriftstellern meistens ebenso sehr an den Mitteln als an Zeit und Raum dazu; wir behaupten aber, daß, wo es auf die Feststellung einer neuen oder einer zweifelhaften Meinung ankommt, ein einziges gründlich dargestelltes Ereignis belehrender ist als zehn bloß berührte. Das Hauptübel dieser oberflächlichen Berührung liegt nicht darin, daß der Schriftsteller sie gibt mit dem falschen Anspruch, dadurch etwas beweisen zu wollen, sondern daß er diese Ereignisse nie ordentlich kennengelernt hat, und daß von dieser oberflächlichen, leichtsinnigen Behandlung der Geschichte dann hundert falsche Ansichten und theoretische Projektmachereien entstehen, die nie zum Vorschein gekommen wären, wenn der Schriftsteller die Verpflichtung hätte, alles, was er Neues zu Markt bringt und aus der Geschichte beweisen will, aus dem genauen Zusammenhang der Dinge unzweifelhaft hervorgehen zu lassen.
Hat man sich von diesen Schwierigkeiten bei dem Gebrauch historischer Beispiele und von der Notwendigkeit dieser Forderung überzeugt, so wird man auch der Meinung sein, daß die neueste Kriegsgeschichte immer das natürlichste Feld für die Wahl der Beispiele sein muß, insoweit sie nur hinreichend bekannt und bearbeitet ist.
Nicht nur, daß entferntere Perioden andern Verhältnissen angehören, also auch einer andern Kriegführung, und daß also ihre Ereignisse weniger lehrreich und praktisch für uns sind, sondern es ist auch natürlich, daß die Kriegsgeschichte wie jede andere nach und nach eine Menge von kleinen Zügen und Umständen einbüßt, die sie anfangs noch aufzuweisen hatte, daß sie immer mehr an Farben und Leben verliert, wie ein ausgeblaßtes oder nachgedunkeltes Bild, so daß zuletzt nur noch die großen Massen und einzelne Züge zufällig stehen bleiben, die ein übertriebenes Gewicht dadurch bekommen.
Betrachten wir den Zustand der jetzigen Kriegführung, so müssen wir uns sagen, daß es hauptsächlich die Kriege bis zu dem Österreichischen Erbfolgekriege sind, welche wenigstens in der Bewaffung noch, eine große Ähnlichkeit mit den heutigen haben, und die, wenn sich auch sonst in den großen und kleinen Verhältnissen viel geändert hat, den heutigen Kriegen doch noch nahe genug stehen, um viel Belehrung aus ihnen zu ziehen. Ganz anders ist es schon mit dem Spanischen Erbfolgekriege, wo das Feuergewehr noch nicht so ausgebildet und die Reiterei noch die Hauptwaffe war.